„Ich hätte mir einfach nicht erlauben können zu weinen.“
„Respect my existence or expect my resistance“
Die Demo möchte Celine sich nicht entgehen lassen, obwohl sie erschöpft von der Arbeit ist. Anlässlich des 57. Jahrestags der berühmten Rede von Martin Luther King, „I have a dream“, findet in Saarbrücken eine Demo statt. Sie ist in Eile, denn die Demo beginnt um 17 Uhr. Celine wirbelt durch die Wohnung und zieht sich schnell noch ein schwarzes Shirt mit dem Aufdruck „No chance for Nazis“ an und steckt ein Plakat in ihren Jutebeutel. Dann gehen wir schon aus der Tür.
Seit dem Tod von George Floyd gehen weltweit Tausende auf die Straße, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu protestieren. Gerade in den USA werden nahezu wöchentlich neuen Fälle über Polizeigewalt gegenüber Schwarzen und Rassismus bekannt. Die Reaktionen hierauf reichen von friedlichen Demonstrationen bis hin zu Gewalt, Randalen und Plünderung. Die Black Lives Matter Bewegung ist 2013 in den USA entstanden. Auslöser war der gewaltsame Tod des afroamerikanischen Teenagers Trayvon Martin. Dieser wurde von George Zimmermann in einem Handgemenge erschossen. Zimmermann plädierte auf Notwehr, wurde jedoch wegen Mordes angeklagt und später von einer Grand Jury freigesprochen.
Nach diesem Vorfall wurde in den sozialen Medien erstmals der Hashtag #BlackLivesMatter verbreitet, der mittlerweile für eine globale Bewegung steht.
An der ersten Demo gegen Rassismus beteiligten sich am 6. Juni laut Polizeiangaben 15.000 Menschen in Berlin und bis zu 25.000 in München. Insgesamt kam es in mehr als 19 Städten in Deutschland zu Demonstrationen. Aus Solidarität ziehen sich alle Beteiligten schwarze Kleidung an.
Wir steigen ins Auto und fahren los. Die Fahrzeit beträgt 40 Minuten. Celine erzählt mir, dass es ihre fünfte oder sechste Demo ist, ganz genau weiß sie es nicht mehr. Vor ihrer ersten Demo hatte sie ein auf beiden Seiten beschriftetes Plakat gestaltet und sich dabei bewusst für eine braune und eine weiße Seite entschieden. Beide Seiten sind mit einem schwarzen Stift beschriftet. Auf der braunen Seite stehen die Worte: „respect my existence or expect my resistance“ (Respektiere meine Existenz oder erwarte meinen Widerstand). Diesen Spruch hatte Celine auf Pinterest gesehen und fand diesen ganz passend. Auf der weißen Seite des Plakats steht ganz groß „BLM“ geschrieben, also Black Lives Matter. „Zuerst habe ich überlegt, ob es okay ist, das Plakat zu nutzen, weil ich eine hellere Haut habe und mich dabei gefragt, ob ich anderen Leuten etwas wegnehme. Denn auch ich kann Menschen mit noch dunklerer Haut etwas wegnehmen. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass es für mich und meine Identität total wichtig ist.“ Auch heute hat sie dieses Plakat wieder dabei.
Im Auto sprechen wir darüber, wie Celine von dem Tod von George Floyd erfahren hat. „Ich habe den Tod von George Floyd durch Social Media mitbekommen, als ich abends schon im Bett lag.“ Man merkt, dass Celine hier mit der Stimme stockt und etwas langsamer spricht, sie wirkt wirklich betroffen. „Im ersten Moment dachte ich echt nur: fuck. Dann habe ich gehofft, dass es Fake News sind.“
Das ganze Video von der Tat hat sie sich nicht angeschaut, bis heute nicht. Sie sagt, dass sie es einfach nicht schafft und nicht kann. „Ich hatte das Video angefangen zu schauen, dann habe ich in die Kommentare gescrollt, um zu sehen, was da passiert. Weil ich einfach viel zu sensibel dafür bin. In den Kommentaren habe ich dann schon gelesen, worum es geht und habe beschlossen, nicht weiter zu schauen. Ich kann einfach nicht zuschauen wie der Mann hingerichtet wird.“
„Ich folge Colin Kaepernick auf Instagram, also ein ehemaliger Spieler von der NFL, der nicht aufgehört hat zu knien.“ Der Footballspieler ist 2016 während der Nationalhymne auf die Knie gegangen, um auf die Polizeigewalt und Rassismus in den USA aufmerksam zu machen. Diese Aktion kostete ihn seine Karriere. Sogar der US-Präsident Donald Trump hatte Kaepernicks Aktion kritisiert. Durch dieses Verhalten wurde er jedoch zu einem Vorreiter der Black Lives Matter Bewegung.
Auf dem Parkplatz angekommen, schnappt Celine sich ihr Handy und zeigt mir ein Foto von der ersten Demo auf Instagram. Auf dem Foto sieht man eine große Menschenmenge, die in schwarzer Kleidung kniet. Teilweise halten einzelne Teilnehmer Plakate hoch. An der Demo am 6. Juni in Saarbrücken haben mehr als 3.300 Menschen teilgenommen.
Celine berichtet von ihrer Erfahrung bei der Demo: „Gerade bei der ersten Demo, wo wir genauso lang gekniet haben wie der Polizist auf George Floyd, empfand ich das als total belastend. Diesen Gedanken, dass man so lange da liegt und keine Luft mehr bekommt, kann ich gar nicht in Worte fassen... Mir wird schlecht davon, wenn ich daran denke. Ich fand es total anstrengend, sowohl psychisch als auch körperlich. Es war einfach belastend. Als die Zeit vorbei war, dachte ich dann - endlich vorbei (Celine atmet aus) und dann denkst du dir... Ja, das konnte George Floyd nicht mehr machen...“ 8 Minuten und 46 Sekunden dauerte sein Todeskampf.
Als Kind hat Celine ganz viel Alltagsrassismus erfahren. Vor allem in der Grundschule. Sprüche wie „Ach, du bist ja so braun, wurdest du mit Scheiße vollgeschmiert?“ gehörten zum Alltag. Ein Erlebnis aus ihrer Kindheit ist Celine besonders im Gedächtnis geblieben. Im Schulbus hat sie oft keinen Sitzplatz mehr bekommen und musste stehen. Sie erinnert sich noch genau daran, dass sie einmal relativ weit hinten stand. Plötzlich haben ein paar Jungs wegen ihrer Hautfarbe angefangen, auf ihr rumzuhacken und sie zu beleidigen. Celine spricht mit leiser Stimme, als sie davon erzählt.
Heute ist es noch so, dass Celine schnell stigmatisiert wird. Aufgrund ihrer Hautfarbe gehen viele davon aus, dass sie gut singen, rappen oder twerken kann. „Es ist sehr nervig, wenn eine Person dich nicht kennt, dich gleich in eine Schublade aufgrund deines Aussehens steckt.“
Wir laufen vom Parkplatz ungefähr fünf Minuten zu dem Platz, auf dem die Demo stattfindet. Trotz eigentlich regnerischem Wetter scheint die Sonne. Als wir angekommen sind, stehen auf dem Platz nur vereinzelt ein paar Menschen. Alle tragen einen Mund-Nasen-Schutz und achten darauf, dass der Abstand eingehalten wird. Einige haben Schilder und Flaggen dabei. Alle Altersklassen von jung bis alt sind vertreten.
Um 17.15 Uhr beginnt die Demo und wir werden nochmal darauf hingewiesen, die Masken anzuziehen. Dann wird laut „Black Lives Matter“ gerufen. Zuerst ist Celine noch zurückhaltend, dann nach zwei Rufen macht sie laut mit. Sie wirkt euphorisch. Die Demo dauert ungefähr zwei Stunden und es waren circa 130 Teilnehmer vor Ort. Von Reden, Musikeinlagen und Tänzen war alles mit dabei. Dabei habe ich Celine immer wieder beobachtet, sie wirkte voller Tatendrang. „Diese Demo war anders als die anderen. Aber ich finde es schade, dass nur so wenige Leute da waren.“
Auf den letzten Demos hatte Celine neue Kontakte geknüpft und engagiert sich seitdem für Change Network in der Rubrik Alltagsrassismus. Das Change Network ist eine gemeinnützige Organisation, die sich gegen Rassismus einsetzt. In der Rubrik Alltagsrassismus geht es um alle Formen von Rassismus. Zu den Aufgaben gehören unter anderem die Förderung von Vereinen, die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Aufarbeitung des kolonialen Erbes. Celine ist alle zwei Wochen bei den Treffen oder Zoom-Meetings mit dabei. Alles steht noch in den Startlöchern. „Ich wollte mich schon immer engagieren, wusste aber nicht wann und wie. Durch die Demo bin ich dann auf das Change Network aufmerksam geworden. Das ist eine Sache, bei der ich mir denke, dass ich darauf Bock habe und bereit bin, meine Zeit zu opfern.“
Celine wünscht sich für die Zukunft mehr Gleichberechtigung. Mehr Menschen sollen auf das Thema Rassismus aufmerksam gemacht werden und aktiv dagegen vorgehen. „Ich glaube, es dauert noch lange, bis wir dahin kommen, dass alle Menschen gleichbehandelt werden. Es ist ein schwieriger und kräftezehrender Kampf, für den es sich lohnt einzustehen. Wer ihn niemals beginnt, kann ihn niemals gewinnen.“