Buchbranche 4 Minuten

Kann man noch ohne schlechtes Gewissen lesen?

Eine Person liest ein Buch in der Natur und hat einen fragenden Gesichtsausdruck.
Zwischen Leselust und Umweltbewusstsein. (Symbolbild) | Quelle: Jana Sajin
12. Dez. 2024

Liebesromane, Sachbücher, Thriller – die Welt der Bücher ist unendlich, doch unsere Ressourcen nicht. Wie umweltschädlich ist das Lesen und wie können wir nachhaltig lesen? 

Für viele Menschen ist das Lesen ein fester Bestandteil des Alltags. Rund 8,08 Millionen Menschen ab 14 Jahren lesen laut der AWA-Analyse 2023 in Deutschland täglich Bücher. Trotz der fortschreitenden Digitalisierung bevorzugen die meisten Leser*innen weiterhin gedruckte Bücher, wie eine Bitkom-Umfrage aus dem Jahr 2023 zeigt. Insgesamt lesen 80 Prozent der Deutschen ab 16 Jahren immer noch klassische Bücher, während lediglich 36 Prozent zu E-Books greifen.

Bei den Studierenden der Hochschule der Medien ist das Leseverhalten etwas ausgeglichener: Viele greifen zumindest gelegentlich zu einem E-Reader, auch wenn die Nachhaltigkeit dabei laut einer nicht repräsentativen Umfrage nur für die Wenigsten im Vordergrund steht.

Ebanezer, Wirtschaftsingenieurwesen | Quelle: Jana Sajin
Amina, Werbung- und Marktkommunikation | Quelle: Jana Sajin
Luca, Verpackungstechnik | Quelle: Jana Sajin
Maxime, Online-Medien-Management | Quelle: Jana Sajin
Jan, Online-Medien-Management | Quelle: Jana Sajin

Seitenweise Umweltbelastung?

Im Zuge des Klimawandels und der Ressourcenknappheit gewinnt die Nachhaltigkeit auch in der Buchbranche immer mehr an Bedeutung. In einer Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2020 hat Carl-Otto Gensch errechnet, dass 1,1 Kilogramm CO₂ bei der Herstellung eines Buches aus Frischfaserpapier entsteht. Frischfaserpapier wird aus Zellstoff hergestellt, dessen Fasern weltweit importiert werden. Das Papier hat eine besonders weiße Farbe, da es keine Altpapierreste enthält und mit Chemikalien gebleicht wird, erklärt ein Vergleich von Palamo.  

Die Herstellung eines Buches aus Recyclingpapier stellt eine nachhaltigere Alternative dar. Laut dem Öko-Institut entstehen dabei lediglich 0,9 Kilogramm CO₂. Zudem müssen bei der Nutzung von Recyclingpapier keine neuen Bäume abgeholzt werden. Um die Wälder zu schützen, ist es essenziell, die Papierherstellung nachhaltig zu gestalten. Es wird nämlich fast jeder zweite industriell gefällte Baum weltweit zur Papierherstellung verwendet, wie eine WWF-Studie aus dem Jahr 2021 berichtet.

Die Herstellung von gedruckten Büchern ist ressourcen- und energieaufwendig, dennoch haben sie einen entscheidenden Vorteil: ihre Langlebigkeit. Udo Herrmann, Referent des Umweltministeriums in Sachsen-Anhalt, schildert, gedruckte Bücher seien sehr langlebig und können oft mehrfach genutzt werden. Besonders bei Kinderbüchern sei die Weitergabe über Generationen hinweg vorprogrammiert. Auch Antje Bieber, Projektmanagerin im Carl Hanser Verlag, erklärt: „Bücher sind darauf ausgelegt, vererbt und verschenkt zu werden. Das ist Nachhaltigkeit.“ 

 „Bücher sind darauf ausgelegt, vererbt und verschenkt zu werden. Das ist Nachhaltigkeit.“ 

Antje Biber, Projektmanagerin im Carl Hanser Verlag

Eine digitale Alternative?

Um die Wälder vor der Abholzung zu schützen, ist es naheliegend, den Papierverbrauch zu minimieren. Der E-Reader wirkt wie eine schonendere Alternative – aber stimmt das wirklich? 

Auch ein E-Reader verbraucht bei der Herstellung Ressourcen und Energie. Laut der Prosa-Studie des Öko-Instituts von 2011 verursacht die Produktion eines E-Readers mit E-Ink-Display etwa acht Kilogramm CO₂ – dafür könnte man ungefähr sieben gedruckte Bücher aus Frischfaserpapier produzieren. Zudem wird zur Herstellung eines E-Readers Erdöl benötigt, das anschließend zu Plastik verarbeitet wird, erklärt Herrmann.

Nach der Herstellung gelten die E-Reader laut dem Öko-Institut jedoch als umweltschonend, da sie Papier, Energie und Treibhausgase einsparen. Die Prosa-Studie zeigt außerdem auf, dass der entscheidende Vorteil von E-Readern in ihrer Energieeffizienz liegt, da sie nur sehr wenig Strom verbrauchen. Viele E-Reader heutzutage besitzen ein E-Ink-Display. Diese Displays können Texte scharf darstellen und so das Lesen erleichtern, außerdem haben sie keine Hintergrundbeleuchtung und ziehen nur beim Umblättern Strom. Dadurch haben die Geräte eine lange Akkulaufzeit, die in der Regel bis zu zwei Wochen hält. Das macht die E-Reader sehr energieeffizient. Es ist jedoch wichtig zu berücksichtigen, dass ein E-Reader auch nach der Herstellung Energie verbraucht, ohne dass der Nutzer etwas davon mitbekommt. Herrmann erklärt, dass allein die Bereitstellung von Daten in Form von E-Books Energie verbraucht. 

Um die Ökobilanz eines E-Readers letztendlich richtig zu beurteilen, kommt es laut der Prosa-Studie auf das individuelle Leseverhalten an. Die entscheidenden Faktoren seien zum einen, wie lange das Gerät genutzt wird und zum anderen, wie viele gedruckte Bücher dadurch ersetzt werden. Je länger ein E-Reader im Einsatz ist und je mehr Bücher er ersetzt, desto nachhaltiger wird er. Für Vielleser*innen, die jährlich mehr als zehn Bücher lesen, seien die E-Reader eine nachhaltige Alternative zu gedruckten Büchern. Wenn der E-Reader über Jahre hinweg genutzt wird und eine Vielzahl an gedruckten Büchern ersetzt, habe er einen positiven Effekt auf die Ökobilanz des Leseverhaltens.

So können Leser*innen und Verlage zum Umweltschutz beitragen

Eines steht fest: Jede Form des Lesens verbraucht Ressourcen oder Energie – bis heute gibt es keine Möglichkeit, Bücher zu lesen, ohne jegliche Spuren zu hinterlassen. Es gibt jedoch dennoch Maßnahmen, die Konsument*innen und Verlage ergreifen können, um das Lesen nachhaltiger zu gestalten. 

Als Verlag ist es wichtig, Bücher in deutschen Druckereien drucken zu lassen, so reduzieren sich die Transportwege, erklärt Bieber. Auch bei den Materialien rücke die Nachhaltigkeit in den Fokus. Für viele Verlage sei es selbstverständlich, FSC-zertifiziertes Papier zu verwenden, ein offizielles Label, dass die Herkunft des Papiers transparenter macht. Als Käufer*in könne man darauf achten, das die Bücher in Deutschland hergestellt wurden. Bieber betont auch, dass es wichtig ist, die Verschwendung von Papier zu vermeiden. Aus diesem Grund werde daran gearbeitet, viele Prozesse in den Druckereien zu standardisieren. Der Carl Hanser Verlag habe beispielsweise die Grammatur, also die Dicke des Papiers, sowie die Formate überwiegend auf jeweils zwei Standards reduziert. Diese Vereinheitlichung helfe dabei, Papierreste zu vermeiden.

Mädchen läuft vor Bibliothek mit einem Buch
Bibliotheken fördern die Mehrfachnutzung von Büchern und leisten so einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Lesen. (Symbolbild)
Quelle: Jana Sajin

Andreas Bulling, Teamleiter an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, appelliert an die Konsument*innen, eine gewisse Verantwortung für ihre Käufe zu übernehmen. Der erste Schritt zum nachhaltigen Handeln sei das Bewusstsein über ein Produkt und die Folgen des eigenen Kaufverhaltens. Erst, wenn man sich über die Herkunft und Herstellung eines Produkts bewusst ist, schaue man nach nachhaltigeren Alternativen.

Eine nachhaltigere Alternative stellt laut Janet Wagner, Universitätsbibliothekarin in Berlin, das Teilen dar. So einfach es klingt, durch das Teilen von Büchern können wir laut Wagner einen entscheidenden Beitrag zur Verringerung des Konsums und der Verschwendung leisten. „Allein das Besitzen von Büchern ist nicht wirklich nachhaltig, deshalb teilt eure Bücher miteinander", sagt Wagner.

„Allein das Besitzen von Büchern ist nicht wirklich nachhaltig, deshalb teilt eure Bücher miteinander."

Janet Wagner, Bibliothekarin an der freien Universität in Berlin

Bibliotheken seien hier die beste Lösung. Wer es ganz nachhaltig möchte, könne sich sogar einen E-Reader in einer Bibliothek ausleihen, diesen dann einige Wochen benutzen und wieder zurückbringen.