Erinnerungskultur

Unser Gestern im Heute

Es gibt unterschiedliche Wege auf koloniale Spuren hinzuweisen. Einer ist es, direkt und lautstark darauf aufmerksam zu machen – wie das Linden-Museum in seiner aktuellen Ausstellung.
03. Dez. 2021
Um Rassismus im Alltag aktiv zu bekämpfen, müssen wir unseren Blick in die Vergangenheit richten und uns fragen: Was hat Kolonialismus mit unserem Leben heute zu tun?

Schulen, Straßen, Plätze, Parks und sogar ein Gletscher in der Antarktis tragen seinen Namen. Am stärksten dürfte dieser Namensgeber allerdings in Zusammenhang mit dem Institut, das nach ihm benannt ist, im Gedächtnis bleiben: Das Robert-Koch-Institut (RKI) erfasst kontinuierlich die COVID-19-Lage, schätzt das Risiko für die deutsche Bevölkerung ein und ist deshalb täglich in der Berichterstattung zu finden.

Aber wer war Robert Koch? Warum ist er ein so beliebter Namensgeber?

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Die Bedeutung Robert Kochs für Medizin und Wissenschaft. | Quelle: Andrea Knops

Robert Koch ist nicht nur einer der bedeutendsten Mediziner*innen seiner Zeit, sondern bis heute einer der bekanntesten Vertreter*innen deutscher Wissenschaft. Zu Kochs Lebzeiten nahm die Medizin eine Schlüsselrolle bei den kolonialen Bemühungen Deutschlands ein. Allerdings diente diese Kolonialmedizin nicht der Heilung kranker Menschen, sondern sollte den ökonomischen Aufschwung sichern. Koch sah in den Kolonien die Möglichkeit, Forschung nach seinen Vorstellungen zu betreiben.

Die „unbegrenzten Möglichkeiten“ der Kolonien lockten demnach nicht nur Militär und Siedler*innen, sondern auch Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen. Deutschland besaß ab dem Jahr 1884 einige Kolonien, die wichtigsten und größten davon in Afrika.

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Deutsche Kolonien in Afrika | Quelle: Andrea Knops

Kochs letzte Reise diente der Erforschung der Schlafkrankheit in Deutsch-Ostafrika. Dabei wollte er nicht nur den Erreger identifizieren, sondern auch eine medikamentöse Therapie testen. Hierzu wurde das arsenhaltige Mittel Atoxyl eingesetzt, obwohl schon damals bekannt war: Atoxyl ist in hohen Dosen äußerst giftig. In den Kolonien wurden deutlich höhere Dosen des Mittels verabreicht, als dies in Europa erlaubt war. Die Behandlung verursachte Nebenwirkungen wie Magenschmerzen, Krämpfe und Erblinden. Jede zehnte Person, der Atoxyl verabreicht wurde, starb. Trotzdem hielt Koch an der Behandlung mit dem Mittel fest.

Aufarbeitung heute

Auf der Webseite des RKI wird Kochs letzte Forschungsreise als seine „unrühmlichste“ bezeichnet. Aber sollte der Umgang mit der eigenen kolonialen Vergangenheit nicht viel tiefgreifender sein? So appellierte zum Beispiel Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zur Eröffnung des Humboldt Forums in Berlin:

„Die tieferen Wurzeln des Alltagsrassismus werden wir nur dann verstehen und überwinden können, [...] wenn wir uns viel mehr als bislang mit unserer kolonialen Geschichte auseinandersetzen.“

Frank-Walter Steinmeier

Eine Möglichkeit, sich mit der eigenen kolonialen Geschichte auseinanderzusetzen, zeigt das Linden-Museum in Stuttgart mit seiner aktuellen Ausstellung „Schwieriges Erbe“. Dabei wird unter anderem auf den Namensgeber des Museums, Karl Graf von Linden eingegangen. Für den Kurator Markus Himmelsbach ist klar, dass dieser als prägende Persönlichkeit während der Kolonialzeit auch zentraler Bestandteil der Ausstellung sein muss. Linden baute die Sammlung des Museums durch völkerkundliche Objekte aus den Kolonien maßgeblich auf. Wie die Objekte in den Besitz des Linden-Museums kamen war dabei unwichtig. Entscheidend war es, eine möglichst hohe Anzahl zu besitzen. Um den Namensgeber des Museums kritisch zu hinterfragen, wird er aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Dazu werden ihm in der Ausstellung verschiedene Rollen zugewiesen. Die Besucher*innen können daraufhin selbst entscheiden, welche Rolle Linden ihrer Meinung nach einnimmt:

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Diese verschiedenen Rollen werden für Karl Graf von Linden vorgeschlagen und erlauben so einen kritischen Blick auf den Namensgeber des Museums. | Quelle: Andrea Knops, Lavinia Lambert

Laut der Webseite des Museums versteht die Ausstellung sich selbst als „Werkstattausstellung“. Sie arbeitet mit vielen offenen Fragen und möchte so in den Austausch mit seinen Besucher*innen treten. Früher wurde das Thema Kolonialismus hauptsächlich von Vereinen, Initiativen und Betroffenen im Privaten aufgearbeitet. Nun soll es Teil des gesellschaftlichen Bewusstseins werden. Um dieses Vorhaben zu unterstützen, hat die Stadt Stuttgart Anfang Juni die neue Stabstelle Erinnerungskultur eingerichtet. Nadine Seidu, Mitarbeiterin der Stabsstelle, sieht im jetzigen Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit besonders fehlendes Wissen als große Hürde für eine angemessene Aufarbeitung. Ein Weg, Unwissenheit entgegenzuwirken, sei die verstärkte Integration von Kolonialgeschichte in unsere Schulbildung. Außerdem müssten große Persönlichkeiten, die maßgeblich für die Identität Deutschlands stehen und bisher überwiegend positiv wahrgenommen wurden, kritisch hinterfragt werden. Der Umgang mit kolonialer Geschichte müsse vielfältig und lebendig stattfinden, um eine pluralistische Erinnerungskultur zu schaffen.

„Erinnerungskultur muss ein Ziel haben. Und das Ziel ist meiner Meinung nach die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und weiterer Diskriminierung.“

Nadine Seidu

Seidu und Himmelsbach sind sich einig, dass Deutschlands Kolonialgeschichte nicht einfach ausgelöscht werden dürfe. Stattdessen müsse das Geschehene entglorifiziert und aufgearbeitet werden. Für Seidu ist ein entscheidendes Werkzeug hierfür die Kontextualisierung von Personen, Denkmälern, Straßennamen, Schauplätzen und Literatur.

Die Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte kann ganz klein und unscheinbar beginnen, indem man die kolonialen Spuren in der eigenen Stadt erkennt.

Das denkmalgeschützte Eingangsportal des Linden-Museums zeigt die stereotypische Skulptur eines Afrikaners. Im Zuge der Ausstellung „Schwieriges Erbe“ wird durch Beleuchtung und Infotafeln auf die rassistische Darstellung hingewiesen.
Dieser Straßenname erinnert an den Tiergarten Nill im heutigen Azenberg Areal, in dem zu Kolonialzeiten Völkerschauen stattfanden. Diese beinhalteten die öffentliche Zurschaustellung von Menschen aus anderen Ländern.
Das Löwen-Denkmal im Stuttgarter Schlossgarten ist dem Grenadier-Regiment „Königin Olga“ gewidmet, dessen Soldaten als Freiwillige im „Boxer“- und im Herero-Nama-Deutschen-Krieg kämpften.
1933 hieß diese Straße in Obertürkheim „Deutsch-Südwestafrika-Straße“ und wurde 1946 in „Mirabellenstraße“ umbenannt. Ein Weg, die koloniale Vergangenheit dieses Straßennamens zu erklären, wäre ein kurzer Hinweis auf die bereits durchgeführte Umbenennung.