„Meine Eltern wollten immer, dass ich etwas mache, was mich glücklich macht.“
Auf der einstündigen Autofahrt von der Hochschule der Medien in Stuttgart nach Schömberg im Zollernalbkreis verändert sich die Landschaft sichtlich. Die Hügel werden größer, die Wälder dichter und allmählich ragen die Gipfel der Schwäbischen Alb hinter den geschwungenen Feldern hervor.
Vor dem Anwesen strahlt eine junge Frau mit Jeanshose und Karohemd mit den morgendlichen Sonnenstrahlen um die Wette. Die 22-jährige Pauline Schäfer studiert Agrarwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen. Wenn sie nicht in der Vorlesung oder der Bibliothek sitzt, arbeitet sie im Familienbetrieb mit.
Tägliche Tierkontrolle
Heute beginnt Pauline um 8.30 Uhr. Mit ihrem roten VW Tiguan fährt sie los zur ersten Weide. Dort soll die Wasser- und Stromversorgung ihrer Angus-Rinder überprüft werden. Die Tierkontrolle erfolgt zwei Mal am Tag. Angekommen zieht sie ihre geschnürten Stiefel aus und ihre Gummistiefel an. Zielstrebig läuft sie zum Tränketrog. Der blonde Pferdeschwanz fällt ihr über die Schulter, als sie sich darüber beugt. „Das passt noch“, murmelt Pauline, als sie den Wasserstand sieht. Nachdem sie den Strom ausgeschaltet hat, schlüpft sie unter der Zaunlitze durch, um die Herde aus nächster Nähe zu betrachten. „Die Kuh ist schon ein bisschen älter, deswegen bewege ich sie jetzt ein bisschen“, erklärt Pauline und schubst sie am Hinterteil. Die Kuh läuft tadellos, Pauline geht zufrieden weiter und prüft den Zaun.
„Auf der nächsten Weide schaue ich, wie der Futterbestand gerade ist, sodass ich abschätzen kann, wann die Tiere auf eine neue Weide kommen“, erläutert sie auf der Fahrt dorthin. Kurz darauf steigt sie aus und läuft an einem Waldrand entlang. Der Weg ist etwas steil. Ohne die Gummistiefel wären ihre Füße schon längst nass, da an den hohen Gräsern noch Tau haftet. Die frische Luft und der Duft der Wiesen kitzeln in der Nase. Als Pauline an der Weide ankommt, sieht sie die Herde noch nicht. Die Rinder müssen wohl weiter hinten stehen.
Die angehende Landwirtin hat es schon geahnt. Die Herde ist ausgebüxt. Da es für die Uhrzeit schon ziemlich warm und sonnig ist, vermutet sie, dass die Rinder sich ein schattiges Plätzchen gesucht haben. Pauline stapft mit ihren Gummistiefeln über einen matschigen Weg hoch in den Wald. Sie schlägt sich durch unwegsames Gelände mit widerspenstigem Gestrüpp. Davon lässt Pauline sich nicht beirren. Mit ihr Schritt zu halten ist nicht einfach. Immer noch keine Spur der Herde. Es geht weiter auf die nächste Weide. Zum nächsten Waldstück. Pauline telefoniert inzwischen mit ihrem großen Bruder Felician.
Geschwisterliche Übernahme des Familienbetriebs
Zusammen mit dem 25-jährigen gelernten Landwirt will Pauline den Betrieb nach ihrem Studium übernehmen. „Es ist wichtig, dass man die Aufgabenbereiche klar trennt, damit man sich da nicht in die Quere kommt“, sagt sie. Gerade als Geschwisterpaar sei das wichtig, fügt sie hinzu und lächelt vielsagend. Während für Felician früh feststand, den elterlichen Hof zu übernehmen, brauchte Pauline etwas länger. „Das kam eigentlich erst mit der Zeit, als ich ganz bewusst nur bei uns auf’m Betrieb g’schafft hab. Da wurde mir bewusst, was es bedeutet seinen Arbeitsplatz daheim zu haben.“ Familie Schäfer wohnt zwei Ortschaften weiter. Ihre Eltern haben sie nie dazu gedrängt den Betrieb zu übernehmen: „Meine Eltern wollten immer, dass ich etwas mache, was mich glücklich macht.“ Jedoch sei sie selbst manchmal zwiegespalten: „Ich will viel rauskommen, kann aber irgendwie doch nicht so richtig.“ Sie wisse es aber immer zu schätzen, über einen eigenen Betrieb zu verfügen.
Moderater Rückgang der Betriebe
Heinz Möddel, Leiter des Fachbereichs Agrarpolitik des Deutschen Bauernverbands (DBV), gibt an, dass weiterhin ein moderater Rückgang der Gesamtzahl deutscher Betriebe bestehe. Die Zahl der Rinderhaltenden sei, laut DBV, im letzten Jahr um 1,5 und in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent gesunken. Ursachen seien Strukturwandel, Marktpreise, aber auch die Entlohnung. „Bei einem durchschnittlichen Einkommen von 32.000 Euro stellt sich die Frage, ob das ein attraktives Einkommen ist“, reflektiert Möddel.
„Hörsch ihn?“, fragt Pauline gespannt. Über die Hügel und Bäume hinweg dringen die Rufe einer tiefen Männerstimme. Paulines Bruder. Er hat die Herde gefunden.
Von Mai bis November stehen die Angus-Rinder unter freiem Himmel. Sie ernähren sich ausschließlich von dem Ertrag der eigenen Wiesen und Weiden. Insgesamt bewirtschaftet die Familie rund 320 Hektar Grünland. „Aktuell haben wir 100 Mutterkühe mit Kalb und circa 30 bis 40 schlachtreife Bullen“, zählt Pauline auf. Das Schlachtgut wird in der eigenen Metzgerei verarbeitet und direktvermarktet. Der Verkauf erfolgt über einen externen Hofladen in Stuttgart-Möhringen und einen eigenen Online-Shop.
Neue und junge Impulse
Die Präsenz auf Social Media ist Paulines Anliegen und Aufgabe. Nicht nur in Sachen Digitalisierung merkt man ihr ihr junges Alter an. Sie sieht Potenzial, den Betrieb, den ihr Vater 1990 gegründet hat, zukünftig auszubauen. „Unser Boden ist zwar nicht optimal für viele Gemüsekulturen, aber ich könnte mir trotzdem vorstellen, unseren Betrieb dahingehend breiter aufzustellen“, erwägt die Studentin. Bevor sie das ausprobiert, möchte sie allerdings noch viel Erfahrung bei anderen Betrieben sammeln. Im Rahmen ihres Studiums war sie zum Beispiel schon in Brasilien und Albanien. Im Sommer geht sie für zwei Monate zu einem Betrieb in Finnland. „Ich finde es wichtig, Eindrücke von außen zu sammeln und diese auf den eigenen Betrieb mitzunehmen. Vor allem, wenn man daheim etwas weiterentwickeln möchte“, betont Pauline.
Sexismus in der Landwirtschaft?
Sobald ihr Fernweh und ihre Neugierde befriedigt sind, freut sich Pauline auf ihre Zukunft am Fuße der Schwäbischen Alb. Sie sieht die Vorteile eines Familienbetriebs. Die Landwirtschaft ist oft noch von Vorurteilen gegenüber Frauen geprägt und gelegentlich muss sie sich auch kritische Kommentare anhören. Vor allem früher als junges Mädchen musste sie sich beweisen.
Jede dritte Arbeitskraft in der deutschen Landwirtschaft ist eine Frau. Allerdings geht aus dem Situationsbericht 2023/24 des DBV hervor, dass nur 11 Prozent der Betriebe von Frauen geleitet werden. „Der Anteil an Frauen steigt leicht“, sagt Möddel. Obwohl Pauline findet, dass die gesellschaftliche Voreingenommenheit eine Frau nicht daran hindert, ihr Ziel zu verfolgen, schätzt sie, dass in ihrem Familienbetrieb jede Meinung gehört wird.
Die Stärke eines Familienbetriebs sei darüber hinaus die verschiedenen Blickwinkel der Familienmitglieder. „Mein Bruder und ich kennen uns gut genug, um uns gegenseitig den Spiegel vorzuhalten und können immer noch voneinander lernen“, bemerkt Pauline und lacht verschmitzt. Pauline und Felician telefonieren, geben sich Updates und bitten einander um Rat und Hilfe. Als die Jungtiere sich nicht von der einen auf die andere Weide trauen, arbeiten sie zusammen.
Bei der Prozedur ist voller Körpereinsatz gefragt: Als die Deichsel des Wasserfasses nicht richtig einrastet, springt Pauline unter Einsatz ihres ganzen Gewichts mit dem rechten Fuß darauf. Beim Hoch- und Runterlassen des Stützfußes kurbelt sie schnell und ausdauernd.
Nicht nur Kraft, sondern auch Geduld ist in dem Beruf gefragt, denn die Jungtiere lassen sich nur schwer auf die andere Weide bewegen. Als die Mutterkühe, die Pauline bewusst wieder in deren Nähe getrieben hat, nach ihnen muhen, staksen die ersten zaghaft hinüber. Nach und nach folgt der Rest – bis auf eines der Tiere. Pauline und Felician warten. Es rührt sich nicht von der Stelle. Sie schreien – beide in einer fremdartigen Stimmlage, die sie nur mit den Tieren verwenden. Immer noch keine Regung. Sie treiben es über die gesamte Weide, in der Hoffnung, es gehe endlich zu seiner Mutter. Nichts. Auf einmal rennt Pauline los. Sie holt ein Stück Zaun. Damit treiben die beiden das Jungtier langsam auf die frische Weide. Auf dem Weg zurück zum Dienstleistungsunternehmen ist Pauline außer Atem. Den Traktor parkt sie den steilen, engen Weg zum Parkplatz trotzdem noch souverän rückwärts ein. Von den tausenden Schritten, die Pauline gemacht hat, lässt sie sich nichts anmerken: „Ich mag es, körperlich aktiv zu sein, weil dann merkt man am Ende des Tages, was man gemacht hat, und das macht mich ultrazufrieden.“
„Ich mag es, körperlich aktiv zu sein, weil dann merkt man am Ende des Tages, was man gemacht hat, und das macht mich ultrazufrieden.“
Eigentlich wollte Pauline noch bei der Heuernte helfen. Doch wider Erwarten ist das Heu noch zu feucht, um es zu pressen. Das unberechenbare Wetter gehört leider auch zum landwirtschaftlichen Alltag. Jetzt hat Pauline zumindest noch Zeit sich ein bisschen auf ihre mündliche Prüfung im Modul Tierzucht und Tiergesundheitslehre vorzubereiten. Immerhin studiert sie ja auch noch.