Landwirtschaft 4 Minuten

Leben am Limit auf dem Bauernhof

Luki(links) und Matze(rechts) stehen vor den Kälbern auf dem Milchviehbetrieb.
Matze (rechts) hofft, dass Luki (links) seinen Familien-Betrieb eines Tages weiterführt. | Quelle: Anni Gebhard
31. Jan. 2024

Der Deutsche Bauer ist vom Aussterben bedroht. Subventionskürzungen treffen die Landwirtschaft hart. Fährt die Politik den Traktor an die Wand? Zeit für einen Besuch auf dem Bauernhof.

Wiesen und Felder, so weit das Auge reicht. Die Sonne wärmt das Gesicht an diesem kalten Wintertag. Der Geruch von Silage und Gülle steigt in die Nase. Wer hier aufgewachsen ist, verbindet den Geruch mit Nostalgie, Heimat und Gewohnheit. Doch die Dinge sind schon lange nicht mehr wie gewöhnlich: Das Ortsschild von Untermaßholderbach steht kopf. Wem die Gegend fremd ist, der bräuchte wahrscheinlich mehrere Sekunden, den Namen des kleinen Dorfes in Hohenlohe zu entziffern. An der Ecke links oben baumeln zwei Gummistiefel an einem Seil über dem prägnant gelben Schild. Für viele Bauern hängt die Existenz ihres Hofs am seidenen Faden. Die Folge: Sie protestieren. 

So auch der Bauernhof der Müllers, der sich ein paar hundert Meter hinter dem Ortsschild befindet. Matthias Müller (auch Matze genannt) betreibt den Hof zusammen mit seiner Familie und Lukas Veyel (auch Luki genannt). Luki ist seit bald fünf Jahren mit Matzes Tochter Emelie ein Paar und somit nicht mehr vom Hof wegzudenken. Alle zusammen kümmern sich tagtäglich um 180 Hektar Land, 120 Milchkühe und 120 Hühner. Luki steht gerade auf der anderen Seite der Scheunentür und streicht einen seiner drei Hühnerwägen mit Kalkfarbe. „Die hilft gegen Schädlinge“, erklärt er. 

„Boah, stinkt die Farbe hier“, sagt Matze, als er zu der Türe hereinkommt. Er geht in den Nebenraum und schaut sich seine landwirtschaftlichen Maschinen an. Ein Traktor ist noch völlig gezeichnet von der Arbeit auf dem Feld. Die mächtigen Reifen sind versehen mit Dreckspitzer und am Pflug ist die Erde vom Feld schon leicht angetrocknet. Wie selbstverständlich erzählt Matze, dass er bis 23 Uhr auf dem Acker war. Dann ist er kurz nach Hause schlafen gegangen, ehe er um 4 Uhr wieder mit dem Traktor auf dem Acker stand – ein ganz normaler Sonntag als Bauer. „Den Frost musste ich ausnutzen. Des sind super Bedingungen, um den Boden für die Zuckerrüben vorzubereiten. Wenn‘s Wetter perfekt isch, dann darfst du net krank im Bett liegen – da musst du fit sein“. Seine Arbeitszeit schätzt Matze im Winter auf sieben Stunden – im Sommer können es schnell mal 20 werden. Ackerland und Tiere sind schließlich von der Arbeit des Bauers abhängig.  

Luki, 21, Besitzer von drei Hühnerwägen

Vor rund zwei Jahren entschied sich der damals 19-jährige Luki dazu, einen Hühnerwagen zu bauen – heute ist schon der dritte, von Luki handgefertigte, Wagen in Betrieb und 120 Hühner legen hier täglich ihre Eier. Die Wägen sind ein paar Gehminuten von Müllers Hof entfernt und stehen auf grünen Wiesen. Die Hühnerhäuser liegen alle auf einem Anhänger auf und sind aus Holz gebaut. Der größte Wagen forderte eine Investition von 10.000 Euro. Mit Holz kennt sich Luki als Schreinersohn zum Glück gut aus und konnte deshalb das meiste selbst machen. Die Treppe hat Matze geschweißt, die Elektrik ein Freund installiert. Denn mit einer Solarzelle auf dem Dach und einer Autobatterie kam Luki auf die Idee, elektrische Klappen einzubauen, damit die Hühner pünktlich um 6.30 Uhr in der Früh das Tageslicht erblicken. Um das nötige Know-how zu erlangen, hat er sich zwei Bücher gekauft. Jetzt stehen seine Eier im Hofladen zum Verkauf und mittlerweile betreibt Luki auch eine eigene Instagram-Seite für sein Hühnermobil. Bei den Leuten aus dem Dorf kommt der Wagen gut an: „Die bleiben hier so oft stehn, da könnten wir Kurtaxe verlangen“, sagt Matze. Warum sich Luki für dieses außergewöhnliche Hobby entschieden hat? „Es macht einfach Bock. Ich hab sieben Jahre lang Landwirtschaftssimulator gespielt. Jetzt hab ich’s in echt“. 

Zwei Hühner stehen auf einer grünen Wiese
120 Hühner machen es sich in mittlerweile drei Hühnerwägen bequem. | Quelle: Lukas Veyel
Luki hält ein Huhn.
Vor zwei Jahren entschied sich Luki dazu, Hühner zu halten. | Quelle: Anni Gebhard
Luki streicht in einer Scheune seinen Hühnerwagen mit weißer Kalkfarbe.
Für das Know-How, wie Hühner gepflegt und Hühnerwägen gebaut werden, hat sich Luki zwei Bücher gekauft | Quelle: Anni Gebhard
Der Hühnerwagen steht auf einer Wiese im Schnee.
Täglich und zu jeder Jahreszeit kümmert sich Luki um seine Hühner. | Quelle: Anni Gebhard

Wieder zurück auf dem Hof macht sich eine der anderen Tierarten, die bei Müllers wohnt, bemerkbar. Ein lautes „Muh“ folgt dem nächsten. Ein paar Milchkühe stehen vorne an der Futterrinne, andere liegen im Strohbett und dann gibt es noch zwei, die es sich im „Wellnessbereich“ gut gehen lassen. Was ein bisschen an eine Autowaschanlage erinnert, ist für Kühe mit juckendem Rücken wohltuend. „Da isch Licht, da isch gute Laune“, erzählt Matze stolz. Weniger gute Laune machen ihm derzeit die Entwicklungen in der Landwirtschaft. „Ich will jetzt net politisch anfangen, sonst stehen wir morgen noch da“, sagt er, ehe er eine halbe Stunde später anfängt, über die Politik zu reden. Die Politik? Damit meint er die Proteste. „Der Protest ist berechtigt. Es ist zu viel. Wir stehen an der Wand. Es hat grad keiner mehr Bock. Es muss was passieren.“

„Der Protest ist berechtigt. Es ist zu viel. Wir stehen an der Wand.“

Matthias Müller

Preisexplosion auf dem Bauernhof

Begonnen haben die Proteste, als die Ampel-Regierung Sparmaßnahmen ergreifen musste und sich dafür entschied, die Vergünstigungen beim Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge zu streichen. Den Bauern geht das gegen den Strich. Nach Straßenblockaden mit Traktoren, Demonstrationen und Kundgebungen trägt der Protest erste Früchte: Die KfZ-Steuerbefreiung bleibt vorerst bestehen. Darüber ist auch Matze froh: Für seinen Betrieb wären es nach eigenen Angaben 15.000 Euro Mehrkosten gewesen. Doch der Karren, oder besser gesagt der Traktor, wird laut ihm trotzdem gegen die Wand gefahren. 

„Wir wollen einfach nur gleiche Arbeitsbedingungen. Klar ist uns bewusst, dass wir viele Subventionen bekommen aber am liebsten wären wir auch unabhängig vom Staat“. Zum internationalen Wettbewerb sagt er: „Deutschland ist ein Hochpreisland. Wir sind so net konkurrenzfähig“. Beim Agrardiesel ist Deutschland, entgegen vielen Annahmen, trotzdem nicht das teuerste Land unter den EU-Staaten. Stattdessen ist der Liter Agrardiesel für unsere Nachbarn, wie Frankreich, Polen oder Österreich mit 31 bis 40 Cent um die zehn Cent teurer als für Landwirte in der Bundesrepublik. 

Infografik: Agrardiesel der EU-Länder im Vergleich
Zwar ist Deutschland beim Agrardiesel teurer als andere EU-Staaten, längst allerdings nicht am teuersten.
Quelle: Anni Gebhard/visme.com

Dennoch belaufen sich bei Müllers allein die Wasserkosten auf 30.000 Euro pro Jahr. „Da zieht’s dir die Schlappen aus“, kommentiert Matze. Tatsächlich war Deutschland laut der „Global Water Tariff Survey“ 2019 das Land, in dem Regenwasser am teuersten war.

Mit der Meinung, dass die deutsche Landwirtschaft nicht konkurrenzfähig ist, ist Matze nicht allein. Auch der Deutsche Bauernverband warnt vor Wettbewerbsnachteilen von rund vier Milliarden Euro. Dabei sollte es im Interesse der Deutschen sein, dass die deutsche Landwirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Nicht zuletzt, weil regionale Produkte laut Statistiken immer beliebter werden. 

„Die Politiker müssen einfach mal raus. Die müssen mit den Leuten schwätzen. Und nicht zu denen, die da noch Bauplätze und hier noch Millionen rumhocken haben. Die sollen ruhig mal herkommen. Mal schwätzen. Mal fragen: „Wo drückt der Schuh?““, schlägt Matze vor. Generell findet er gut, dass sich was bewegt in der Agrarpolitik: „Es ist ja auch nicht nur die Politik Schuld. Die von den Bauernverbänden hocken auch mit drinnen und haben nix erreicht“. Die Forderungen der Politik bleiben für Matze dennoch realitätsfremd. Weiter sagt er: „Den Herr Habeck: Eine Woche würd ich ihn gern mal den Laden hier schmeißen lassen. Der würde nicht nur aufhören. Ne der würde verrecken. Der wär tot. Samstag, Sonntag, immer, immer.“

„Momentan kämpfst du dich von Monat zu Monat durch und machst dir deine Gedanken.“

Matthias Müller

Für Landwirte haben sich allein in den letzten 14 Monaten die Kosten enorm erhöht: Maschinen kosten sieben Prozent mehr, landwirtschaftliche Bauten sind fast sechs Prozent, deren Instandhaltung neun Prozent teurer. Auch für Waren und Dienstleistungen müssen die Bauern 6,5 Prozent mehr Geld ausgeben als noch Ende 2022. „Unsere Milch müsste so viel mehr kosten, damit wir des alles abdecken könnten. Wir Bauern, wir demonstrieren nicht für eine drei-Tage-Woche oder für 20 Prozent Lohnerhöhung. Ne wir demonstrieren, damit wir nicht vollends verrecken“, sagt Matze. „Wir kleinen Bauern sind des unterste Glied in der ganzen Geschichte, was aber eigentlich überhaupt net zusammenpasst, weil letztendlich sind wir die, die Essen haben“. „Momentan kämpfst du dich von Monat zu Monat durch und machst dir deine Gedanken“.

Wer ein paar Stunden mit Matze verbringt, wird schnell merken, dass er sich das Leben durch seinen Sarkasmus leichter macht. Die Probleme beschäftigen ihn trotzdem.

Ein Landwirt, der Alleskönner

Denn auch, wenn Matze momentan wenig Optimismus für seine Branche spürt, sieht man das Funkeln in seinen Augen, wenn er über seine Arbeit spricht. Sein Leben lang hat er schließlich nichts Anderes gemacht. Zwei Wochen Praktikum als Vorführfahrer bei New Holland: das war Matzes einzige Arbeitserfahrung außerhalb seines Bauernhofs. Und auch die Leidenschaft, die er selbst beim Erklären des Prozesses einer Kuhbefruchtung zeigt, beweist, dass Matze seinen Traumjob gefunden hat. „Ein Landwirt hat 30 Berufe. Er muss alles können. Schlosser, Klemptner, Schweißer, Tierarzt, Hebamme, Bürokraft - es gibt kein Ende. Alles, was es gibt, bisch“.

Die Sonne ist mittlerweile schon untergegangen und die kalte Winternacht lädt dazu ein, sich jetzt schön in die Bettdecke einzukuscheln und mit einer warmen Tasse Tee noch Netflix zu schauen. Doch für Matze und Luki ist noch lange nicht Feierabend. Wie so oft passieren nämlich auch an diesem Tag unvorhersehbare Dinge: Kein Tag ist wie der andere. 

„Matze“, ruft es von Weitem. „Das Kalb liegt hier ganz komisch auf der Seite“. „Wie liegt es denn dran?“, fragt er seine Frau Ute. „Ja scheiße liegt’s dran“, antwortet sie ganz trocken. Zusammen mit Luki richtet Matze das Kalb auf. Es torkelt ein wenig benommen umher. Matze kommentiert die ersten Gehversuche mit „ist des besoffen, oder was?“ ehe er den Sachverhalt mit „jetzt läufts wieder“ für beendet erklärt. Hier eine Überraschung – da ein Notfall: Auf dem Bauernhof kann immer was sein. Ein Vorteil haben die unerwarteten Momente in Matzes Alltag für ihn dennoch: „Wenn ich mal ausgeh' und keine Lust mehr habe, kann ich immer sagen, dass eine Kuh gekalbt hat – des isch immer eine gute Ausrede.“