„Journalismus auf TikTok ist eine krasse Herausforderung.“
„Wir müssen neue Erzählformen finden”
Malte Born ist seit September 2021 Formatentwickler und Teil des Recherche-Teams für das Content-Netzwerk der ARD und ZDF „funk“. Er betreut verschiedene TikTok- und YouTube-Formate, wie beispielsweise mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) oder dem Journalisten Chris Müller. Vor seinem Einstieg in den Journalismus studierte Malte Geografie und Politikwissenschaften in Bamberg und Tübingen und ist über ein Praktikum in der Arte-Redaktion zum Journalismus gekommen. Eine journalistische Ausbildung hat er dann an der Henri-Nannen-Schule erhalten und in dieser Zeit für Leitmedien wie ZEIT Wirtschaft, ZEIT Online und das Investigativ-Ressort des Spiegels geschrieben.
Wie versucht ihr bei funk die Balance zwischen Unterhaltung und journalistischem Mehrwert hinzukriegen?
Wir sollen bei funk informieren, orientieren und unterhalten. Das sind die drei Sparten. Aber nicht jedes Format muss sie alle erfüllen. Ein gutes Beispiel hierfür wäre World Wide Wohnzimmer: Das Format soll ausschließlich unterhalten und das tut es ja auch.
Die sozialen Medien sind ein hart umkämpftes Pflaster und es gibt viele verschiedene Angebote. Wie schafft es funk, sich gegen andere Creator*innen durchzusetzen?
Es ist ein täglicher Kampf. Wir sind sehr selbstkritisch und schauen ganz genau, was für Kanäle und Formate auf den Plattformen entstehen, die auch zu uns passen könnten. So etwas wie „7 vs. Wild“ wäre natürlich auch für funk cool gewesen. Auf YouTube konnten wir mit unseren journalistischen Formaten aber eine Lücke schließen. Für diese muss man nämlich wochenlang recherchieren. Man braucht Producer und ein Team zur Recherche-Unterstützung, für den Dreh, Motion Design und Grafiken. Dieses Team lässt sich nur sehr schwer durch die Mechanismen von YouTube finanzieren. Dadurch, dass wir öffentlich-rechtlich finanziert sind, können wir uns aber den aufwändigen Prozess leisten und auch andere Creator unterstützen.
Würdest du sagen, ihr habt es dennoch geschafft, eine gewisse Reichweite und Alleinstellungsmerkmale zu erzielen?
Auf YouTube haben wir uns meiner Meinung nach ganz gut etabliert. Auf TikTok probieren wir uns gerade noch aus. Insbesondere guter Journalismus ist auf dieser Plattform sehr herausfordernd. Wir haben aktuell vor allem TikTok-Kanäle, die der Unterhaltung dienen. Für journalistische Inhalte müssen wir oft völlig neue Erzählformen entwickeln. Aber so langsam holen wir hier auf.
Wie nimmst du das Potenzial von TikTok für den Journalismus wahr?
Journalismus auf TikTok ist eine krasse Herausforderung. Die Art, wie dort kommuniziert und Inhalte konsumiert werden, ist eine völlig andere. Deswegen haben vor ein oder zwei Jahren ganz viele gesagt: „Journalismus auf dieser Plattform geht gar nicht. Das ist zu bunt, das ist nur Comedy“. Doch jetzt sieht man so langsam, dass die Leute es doch hinkriegen. Das liegt aber daran, dass es gerade eine neue Erzählform gibt, die es in der Form noch nicht gegeben hat. Am Ende wird es wahrscheinlich nicht nur eine Plattform für alle Anwendungen geben, sondern eine Mischung aus verschiedenen Apps.
Lohnt sich der Journalismus auf TikTok, obwohl die Plattform eigentlich eher auf Entertainment fokussiert ist?
Auf jeden Fall! TikTok ist für den Journalismus unglaublich attraktiv. Sehr viele junge Menschen verbringen hier viel Zeit und gerade deswegen wollen wir auf dieser Plattform auch journalistische Angebote bieten. Zudem hat TikTok auch andere Vorteile: Zum Beispiel können wir morgen einen Kanal starten und übermorgen kann dieser dann wahnsinnig erfolgreich und etabliert sein. Wenn etwas klug gemacht ist und das Video vom Algorithmus aufgegriffen wird, kann man über Nacht groß werden.
Nach welchen Kriterien entscheidet ihr, welches Thema ihr aufbereitet?
Das ist von Format zu Format sehr unterschiedlich. Normalerweise gibt es regelmäßige Themensitzungen, bei denen Ideen besprochen werden. Die neuen Themen werden dann über Wochen oder Monate recherchiert und produziert, oft mehrere parallel. Ein Kriterium für ein gutes Thema ist die Relevanz für die Zielgruppe. Wir haben einige Formate, die eine ganz spezifische Zielgruppe haben, zum Beispiel die Gaming-Community oder Fußballfans. Und wir haben Formate, wie den funk-Instagram-Kanal. Da sind die 18- bis 24-Jährigen der Hauptfokus. Von unseren Themen sollen also die Leute angesprochen werden, die sich im Umbruch zwischen Schule, Studium, Ausbildung oder Beruf befinden.
Wie geht ihr vor, wenn ihr ein schwierig aufzubereitendes Thema habt, das für euch aber trotzdem relevant ist?
Ich würde selbstkritisch sagen, dass wir nicht immer eine gute Form finden, über solche Themen zu reden. Ein Beispiel ist das Thema Klima. Wir haben ein riesiges Problem, über das Thema zu sprechen, denn wie soll man dazu ein Video machen, das nicht zu banal ist? Ein Video, das nicht sagt: „Ich nehme jetzt eine Bambus-Zahnbürste und dann wird das Klima gerettet“, oder „Dann verzichte ich jetzt auf meinen Mallorca-Urlaub und das Klima wird gerettet“. Gleichzeitig soll aber nicht der Eindruck entstehen, dass alles verloren ist und keinen Sinn mehr ergibt.
Und wie versucht ihr das Problem zu lösen?
Aus jeder Zielgruppenbefragung ist zu hören, dass die Leute nicht mit großen Problemen und großen Krisen allein gelassen werden wollen. Stattdessen sollte man Lösungen anbieten. Das aber natürlich nicht durch Banalisieren oder Schönreden. Das ist ein wahnsinniges Dilemma, in dem man sich da bewegt. Wir erzählen dann häufig eine persönliche Geschichte: Wir suchen eine Person, die unter der Klimakrise leidet oder gegen die Klimakrise kämpft. Das funktioniert sehr gut, weil man über eine einzelne Person eine Krise greifbar machen kann.
Manchmal möchte man Sachen aber auch einfach nur eingeordnet haben und das macht beispielsweise MrWissen2go sehr gut. Der nimmt sich ein trockenes Thema und stellt dazu Fragen, die sich alle stellen. Zum Beispiel das Thema Ukraine-Krieg: Was ist los in der Ukraine? Was ist eigentlich die NATO? Auch das ist ein gelungener Umgang mit trockenen oder schwierigen Themen.
Wie werden bei funk die Erfolge eines Formats gemessen?
Wir haben bei jedem Format verschiedene Zielsetzungen, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Mit den quantitativen Zielen wollen wir eine bestimmte Anzahl an Aufrufen oder Abos erreichen. Da schauen wir auf die Zahlen. Dann gibt es aber auch noch qualitative Ziele, da wir uns inhaltlich bei den einzelnen Formaten weiterentwickeln wollen. Diese aber ganz individuell. Ziele können beispielsweise sein, dass wir an unserer Video-Dramaturgie arbeiten oder daran, dass wir noch bessere Einstiege hinbekommen. Und natürlich schauen wir auch darauf, was die Community darunter kommentiert.
Dieses Interview fand am 01.02.2023 im Rahmen der Gesprächsreihe „Journalismus im Wandel“ statt. Studierende des Studienganges Crossmedia-Redaktion/Public Relations haben das Gespräch moderiert. Im Anschluss hatten alle Anwesenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen.