„Ich finde das irgendwie komisch. Man fühlt sich fremd und distanziert sich selbst gegenüber.“
Mit Kopftuch im Boxring
Egal ob in der Bahn, im Supermarkt oder beim Shoppen – für muslimische Frauen gehört das Tragen eines Kopftuchs zum Alltag. Auch beim Sport. Häufig treffen sie dabei auf Unverständnis und das Vorurteil, muslimische Frauen dürften keinen Sport machen. "Ich finde das irgendwie komisch. Man fühlt sich fremd und distanziert sich selbst gegenüber", sagt Miriam leicht verärgert. Die 19-jährige Studentin trägt selbst ein Kopftuch und boxt seit fünf Jahren im Boxclub Lübeck. Die Vorurteile verstehe sie überhaupt nicht, denn das Kopftuch sei für niemanden ein Nachteil und schließe auch nicht aus, Sport machen zu dürfen.
Muslimisches Frauen-Boxen
Was viele nicht wissen, Sport und körperliches Wohlbefinden sind wichtige Bestandteile des Islams. Propheten im Koran vermitteln, dass es wichtig sei, Sport zu treiben und seinen Körper damit gesund zu halten. Dennoch gibt es gerade für muslimische Frauen nicht sehr viele sportliche Angebote, die Rücksicht auf ihren Glauben nehmen. Aus diesem Grund hat der Boxclub Lübeck ein Projekt für muslimische Frauen ins Leben gerufen. Jeden Samstagabend wurden die Türen des Boxclubs verschlossen und muslimischen Frauen war es möglich, ganz unter sich zu trainieren. Trainerin Annemarie Stark war überrascht, wie gut das Angebot anfangs genutzt wurde. Durch die Pandemie musste das muslimische Training allerdings pausiert werden. Viele Frauen sind trotzdem im Verein geblieben und trainieren jetzt in der allgemeinen Frauen-Gruppe – teilweise sogar in gemischten Gruppen.
So ist auch Miriam zum Boxen gekommen, denn sie habe so viel Spaß gehabt, dass sie unbedingt weiter boxen wollte. Miriam hat schon häufig an Sparrings-Treffen mit anderen Vereinen aus Schleswig-Holstein teilgenommen. Das Sparring ist eine Wettkampf-Simulation, damit Boxer*innen üben und sich auf echte Wettkämpfe vorbereiten können.
Für viele Boxer*innen wird Spaß zur Leidenschaft und da liegt es natürlich nahe, sein Können in einem Boxring unter Beweis zu stellen. Vor zehn Jahren wäre das allerdings für Frauen, die ein Kopftuch tragen, undenkbar gewesen. Das Regelwerk des Deutschen Boxsport-Verbands erlaubte weder ein Kopftuch noch lange Sportbekleidung im Boxring. Die Teilnahme an offiziellen Wettkämpfen war damit also nicht möglich.
Regeländerung statt Ausgrenzung
Der Auslöser für die Regeländerung war die Berliner-Profiboxerin Zeina Nassar. Sie hat libanesische Wurzeln und trägt ebenfalls ein Kopftuch. Mit 13 Jahren fing sie an zu boxen, durfte aber nach den damaligen Regeln an keinem Wettkampf teilnehmen. Zeina Nassar schaffte es gemeinsam mit ihrer damaligen Trainerin Linos Bitterling, den Deutschen Boxsport-Verband zu überzeugen und die Wettkampfregeln zu ändern. Seit 2013 ist es für Frauen in Deutschland offiziell erlaubt, aus religiösen Gründen sowohl ein Kopftuch als auch lange Sportbekleidung bei einem Boxwettkampf zu tragen.
2019 folgte die internationale Regeländerung. Die International Boxing Association ermöglicht nun ebenfalls, dass Frauen mit Kopftuch und langer Sportbekleidung an Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Dadurch können sie nicht nur bei internationalen Wettkämpfen antreten, sondern sich seitdem auch offiziell für die Olympischen Spiele qualifizieren.
Mit einem Sport-Kopftuch zu boxen, ist deutlich einfacher als mit einem normalen Kopftuch. Das muss nicht extra mit Nadeln festgesteckt werden und hat einen besseren Halt beim Training. Die zusätzliche Wettkampfausrüstung – dazu gehören Mundschutz, Kopfschutz, Boxhandschuhe und Boxschuhe – kann über die lange Kleidung gezogen werden. Somit kann der Kopfschutz über dem Kopftuch getragen werden und stellt für niemanden einen Nachteil dar.
Aufmerksamkeit der Medien – Fluch oder Segen
Das muslimische Boxtraining des Boxclubs Lübeck war anfangs sehr präsent in den Medien. Viele Zeitungen und auch Fernsehsender besuchten die Frauen während des Trainings. Sie führten Interviews mit einzelnen Boxerinnen oder filmten sie für Videobeiträge. Das Thema hat sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, doch für muslimische Frauen ist es Normalität und Alltag.
Andererseits könne die mediale Aufmerksamkeit auch Unterstützung bieten. Das Tragen eines Kopftuchs im Sport sollte Normalität sein, doch die Realität sehe anders aus. Nicht ohne Grund musste Zeina Nassar lange für die Änderung der Wettkampfregeln kämpfen. Die Medien seien daher eine gute Möglichkeit, um auf diese Ungleichheit aufmerksam zu machen und dafür zu sorgen, dass Unverständnis sowie Vorurteile gegenüber Frauen mit Kopftuch keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft haben.