„Nach unseren Einschätzungen dürfte dem arabischen Golfraum insgesamt künftig eine zunehmende Bedeutung zukommen.“
Ein kleines Land mit großem Einfluss
Durch die Fußball-Weltmeisterschaft rückte das arabische Land Katar in das Rampenlicht der Medien. Trotz einer Größe von gerade einmal einem Drittel von Baden-Württemberg, besitzt Katar umfangreiche Anteile an vielen internationalen Unternehmen. Allein der Staatsfonds, Qatar Investment Authority (QIA), besitzt ein Vermögen von über 450 Milliarden Dollar. Die neuesten Schlagzeilen über Katar berichten jedoch vor allem von einem Thema. Der Verdacht: Korruption im Europaparlament im Auftrag von Marokko und Katar. Ziel der beiden Länder sei es, sich illegal politischen Einfluss zu erkaufen. Diese bestreiten jedoch, beteiligt zu sein. Bei mehreren Abgeordneten des EU-Parlaments und ihrem Umfeld wurden mehr als eine Million Euro Bargeld sichergestellt.
Der Begriff Korruption bezeichnet den Missbrauch von öffentlicher Macht oder Vertrauen, um persönliche oder private Interessen zu fördern. Es kann sich um Formen der Belohnung wie Geld oder Sachwerte handeln. Diese erfolgen im Austausch für politische Entscheidungen oder Einflussnahme auf Prozesse durch Politiker*innen oder Behördenmitarbeitende.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)
Millionensummen für politischen Einfluss
Kaum eine andere Institution steht so sehr für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wie das Europaparlament. Dass ausgerechnet in der Herzkammer der europäischen Demokratie Korruptionsvorwürfe aufgedeckt werden, kam für viele Beobachtende überraschend. In diesem Netzwerk werden die Verbindungen zwischen den Akteuren deutlich. Insgesamt 30 Personen und Organisationen spielen hinsichtlich des Korruptionsskandals eine wesentliche Rolle.
Im Mittelpunkt des Skandals stehen vor allem zwei Personen. Eine davon ist der ehemalige EU-Abgeordnete Antonio Panzeri. Nachdem er 2019 aus dem Parlament ausgeschieden war, gründete er die Non-Profit-Organisation (NGO) „Fight Impunity“ in Brüssel. Auf ihrer Website wird damit geworben, sich gegen Menschenrechtsverletzungen einzusetzen und die Grundrechte des Menschen zu schützen. Zudem plädiert die Organisation für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit. Bis heute übernimmt Panzeri als Präsident die Führungsspitze der NGO. Über Fight Impunity sollen, nach Angaben der US-amerikanische Tageszeitung Politico, Korruptionszahlungen von Katar und Marokko abgewickelt worden sein. Panzeri gilt dadurch als mutmaßlicher Drahtzieher des Bestechungsskandals.
Eine weitere wichtige Akteurin ist die griechische Ex-Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Eva Kaili. Gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Lebensgefährten, dem Italiener Francesco Giorgi, ist sie in den Skandal verwickelt. Giorgi und Panzeri begleiteten Kaili bereits im Jahr 2020 auf ihrer Reise in das Emirat. Nachdem Kaili im Januar 2022 zur Vizepräsidentin des Parlaments ernannt wurde, begann sie, weitere Reisen in den Golf zu planen. Ende Oktober 2022 besuchte sie erneut Doha und lobte die Arbeitsreformen von Katar, nachdem sie erfolgreich die Zustimmung des Parlamentspräsidenten Metsola für die Reise erhalten hatte. Während der Korruptionsskandal immer größere Kreise zieht und weitere Namen ans Licht kommen, bleiben viele Fragen über Kailis Rolle offen. Kaili werden Korruption, Geldwäsche und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Ein Haftbefehl, der Politico vorliegt, enthüllt, dass Kaili eine zweite Wohnung in Brüssel erworben und ihr Partner Giorgi ihr bei der Abzahlung geholfen hat. Neben Giorgis Beruf als Assistent im Büro des ebenfalls angeklagten italienischen EU-Parlamentariers Andrea Cozzolino arbeitete er bei Fight Impunity.
Inzwischen stehen auch weitere Abgeordnete des EU-Parlaments unter Verdacht. Marc Tarabella, Maria Arena, Alessandra Moretti und Brando Benifei sind Mitglieder der Fraktion „Socialists and Democrats“ und werden alle als Beschuldigte geführt. Die Hauptverdächtigen Kaili und Panzeri verstoßen mit ihrem rechtswidrigen Verhalten gegen die Vorschriften des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption (UNCAC). Aus diesem Grund wurde beiden ihre parlamentarische Immunität entzogen, sodass sie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Schon jetzt ist klar, dass die Legitimität und Glaubwürdigkeit des EU-Parlaments Schaden genommen hat.
Im Zuge des Skandals wurden zudem weitere problematische Umgangsformen aufgedeckt. So ließen sich mehrere Mitglieder der EU-Kommission Flüge bezahlen. Auch die Parlamentspräsidentin Metsola, die sich als Vorkämpferin gegen Korruption präsentiert, musste eingestehen, eine große Zahl an Geschenken nicht öffentlich gemacht zu haben. Dies ist zwar erlaubt, muss aber im Parlamentsregister bis spätestens Ende des folgenden Monats angegeben werden. Viele der Abgeordneten halten sich jedoch nicht an diese Vorschriften. Insgesamt erwecken die aktuellen Entdeckungen den Eindruck, dass diese Regeln in Brüssel entweder missachtet werden oder notwendige Regeln zur Korruptionsbekämpfung gar nicht vorhanden sind.
Kann man sich internationalen Einfluss erkaufen?
Besonders in der Kritik steht Katar seit der Fußball-WM 2022, bei der systematisch Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, vor allem im Umgang mit den Gastarbeitern, die unter unwürdigen Bedingungen und in kürzester Zeit Fußballstadien aus dem heißen Wüstenboden stampften. Zudem wird das Land beschuldigt, seine Reputation durch die Ausrichtung großer Sportevents verbessern zu wollen. Übermäßiger Geldfluss scheint dabei zur Strategie zu gehören, denn das Emirat hat mit Abstand die teuerste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten organisiert. Rund 220 Milliarden US-Dollar soll die Veranstaltung gekostet haben. Versucht der kleine Golfstaat also neben strafrechtlichen, korrupten Strategien auch über legale Wege sein Vermögen so einzusetzen, um internationalen Einfluss zu erlangen?
Katar kann sich diese Strategie leisten, denn es ist nach dem Bruttoinlandsprodukt eines der reichsten Länder der Welt. Aber wie kam das Emirat überhaupt zu seinem übermäßigen Reichtum? Neben der fast lebensfeindlichen, hügeligen Sand- und Felswüste wurde 1939 eine Entdeckung gemacht, die der Halbinsel zu rasantem wirtschaftlichen Wohlstand verhelfen sollte. Vor der Küste Katars, im Persischen Golf, erstreckt sich das größte Erdgasfeld der Welt. Das sogenannte North Field ist mit seinen geschätzt 25,5 Billionen Kubikmeter Erdgas eine gigantische Geldquelle. Seit Jahren beutet das Land das Erdgasfeld aus und treibt seine soziale und wirtschaftliche Entwicklung somit voran. Ein Großteil seines Gases verschifft Katar bislang nach Asien, vor allem nach Japan, Südkorea und Indien. Besonders in Zeiten der Energieknappheit durch den Ukraine Krieg profitiert das Emirat enorm. Im Zuge eines Abkommens mit dem Produzenten des Landes, Qatar Energy, erhält auch Deutschland ab 2026 Lieferungen von Flüssiggas.
Das Vermögen des Wüstenstaates könnte jedoch verblassen, sobald die natürlichen Ressourcen verbraucht sind. Um sein Reichtum und Wohlstand für die Zukunft zu sichern, sind Katar und die Mitglieder der Herrscherfamilie international durch Unternehmensbeteiligungen vernetzt. Ebenso verflochten sind die landesinternen Strukturen, die die Macht der Herrscherfamilie sichern.
Alles bleibt in der Familie
Seit über 150 Jahren herrscht die Al Thani Familie über die Halbinsel. Die historische Dominanz schlägt sich auch im politischen System nieder, denn die Regierung schreibt der Herrscherfamilie Macht über Katar zu. Der Befehlshaber des Landes ist der sogenannte Emir. Er hat die alleinige Macht über das Emirat. Die Nachfolge ist mittlerweile auf die Söhne des amtierenden Emirs beschränkt, wodurch die dynastische Herrschaft auch formell anerkannt wird.
Der aktuelle Emir namens Tamim bin Hamad Al Thani wurde als vierter Sohn seines Vaters zu dessen Nachfolger gemacht. Die Macht bleibt also in der Familie und wird von Generation zu Generation weitergereicht. Das erfolgt allerdings meist nicht auf friedliche Weise, denn des Öfteren ist es bereits zu einem Putsch innerhalb des Familienclans gekommen.
Der Emir gilt als oberster Inhaber der exekutiven und legislativen Gewalt. Er kann den Ministerrat sowie den Premierminister und dessen Stellvertreter*innen bestimmen – Parteien oder Oppositionen gibt es in der Politik Katars nicht. Voraussetzungen, um politische Ämter zu besetzen zu dürfen, sind Solidarität und Loyalität gegenüber dem Emir. Dementsprechend sind die politischen Ämter zu großen Teilen von Familienangehörigen der Al Thani Familie besetzt. So sind unter anderem der stellvertretende Premierminister, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, und der Minister für Handel und Industrie, Mohammed bin Hamad bin Qassim Al-Abdullah Al Thani, Verwandte des Emirs.
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Weltweit investiert
Neben der gemeinsamen politischen Arbeit sind die Verwandten auch in einem weiteren Bereich Arbeitskollegen. Der stellvertretende Premierminister ist Vorsitzender und der Minister für Handel und Industrie Vorstandsmitglied des katarischen Staatsfonds QIA. Die Investitionsbehörde von Katar ist mächtiger als manche Regierung und stützt mit ihrem Reichtum ganze Volkswirtschaften. Die weitverzweigten Mitglieder der Al Thani Familie verwalten die Subfonds der QIA. Historisch betrachtet war die Regierung in Katar immer eine Familienangelegenheit und es gab keine klare Trennung zwischen dem Einkommen des Staates und dem Einkommen des Herrschers.
Neben den Gasgeschäften ist Katar an vielen Unternehmen weltweit beteiligt. Mithilfe der QIA kann das Land seine Abhängigkeit von seinen Energieressourcen minimieren und seinen Einfluss auf internationale Märkte ausweiten. In Deutschland hat die Investment-Sparte unter anderem eine sechsprozentige Beteiligung an der Deutschen Bank und 17 Prozent an der Volkswagen AG. Seit den 1990er Jahren pocht Katar auf folgende Strategie: Das Land übt eine „Soft Power“ Kampagne in Form von Investitionen, wie jene in den Sport, aus. Und damit war Katar bereits erfolgreich, denn es gilt im Fußball mittlerweile als Supermacht. So gehört beispielsweise einer der umsatzstärksten Fußballvereine Paris Saint-Germain seit 2011 zu 100 Prozent der QIA. Durch Investitionen macht sich das Emirat in Ländern weltweit unverzichtbar. Dass nicht nur harmlose Unternehmen finanzielle Unterstützung Katars erhalten, könnte bei der Vielzahl der Investitionen leicht untergehen. Eine Recherche der ZEIT hat die Unterstützung islamistischer Gruppierungen aufgedeckt. Katar soll über die Wohltätigkeitsorganisation Qatar Charity Spenden an die radikal-islamistische Muslimbruderschaft gespendet haben.
Auf Einkaufstour im Ländle
Im Zuge von Beteiligungen an internationalen Unternehmen, die schon seit Anfang der 2000er Jahre betrieben werden, hat Katar auch Schlüsselunternehmen in Baden-Württemberg ins Visier genommen. Dazu gehören unter anderem der Fahrzeughersteller Porsche und das biopharmazeutische Unternehmen Curevac. Katars Investitionen werden bisher überwiegend als unkritisch eingeschätzt: „Ich bin der Überzeugung, dass die baden-württembergische Wirtschaft eigenverantwortlich Entscheidungen über die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen/Staaten treffen sollte und sich über deren Tragweite durchaus bewusst ist.”, so Erik Schweickert, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus im Landtag.
Im Vergleich zu anderen Ländern nimmt Katar jedoch keine bedeutsame Rolle als Handelspartner von Baden-Württemberg ein. So exportierten Unternehmen Waren im Wert von 243 Millionen Euro im Jahr 2022 nach Katar, damit befindet sich das Emirat aber nur auf Rang 60 der internationalen Handelspartner. Die Importe aus Katar belaufen sich 2021 lediglich auf 4,1 Millionen Euro und sind damit marginal.
Auf Anfrage beim Finanzministerium Baden-Württemberg weist dieses darauf hin, dass das Land Katar beziehungsweise der Staatsfonds Qatar Investment Authority an keinem Unternehmen, bei dem das Land Baden-Württemberg Anteilseigner ist, beteiligt sei. Nach eigenen Angaben des Wirtschaftsministeriums setze sich die Landesregierung für weitere internationale Ausweitung der Handelsbeziehungen ein: „Nach unseren Einschätzungen dürfte dem arabischen Golfraum insgesamt künftig eine zunehmende Bedeutung zukommen.“, so die Pressestelle. In Zukunft wird sich die Landesregierung also immer häufiger mit der Zusammenarbeit mit autokratisch regierten Staaten auseinandersetzen.
Dieser Artikel bezieht sich auf eine im Rahmen des Moduls „226305 Netzwerk- und Beziehungsmanagement“ erhobene Netzwerkanalyse. Dabei wurden der Korruptionsfall im EU-Parlament, die Erbmonarchie Katars und die internationalen Beziehungen des Emirats analysiert. Beobachtet wurden die Verbindungen der Personen und Länder zu wichtigen Akteuren, Organisationen und politischen Führungspositionen.
Die Edge- und Nodelisten zur Netzwerkanalyse, das Codebuch, die Quellen zur Datenerhebung und der Forschungsbericht sind auf GitHub verfügbar.