„Die mühsame Arbeit der aktuellen und vorangegangenen Generationen würde zunichtegemacht und zukünftige Generationen könnten nicht mehr davon profitieren.“
Zwischen Handarbeit und neuer Technologie
Es ist Anfang Juli, seit Wochen herrschen Temperaturen um die 30 Grad. Keine einfachen Bedingungen für André Geckeler und Sebastian Karg. Es darf nicht zu heiß sein, aber auch nicht zu windig. Früh morgens nach dem Sonnenaufgang ist eine gute Uhrzeit für die beiden – noch bevor sich die Luft erwärmt und dann die steilen Hänge entlang wieder nach oben steigt. Hänge gibt es im kleinen Weinörtchen Roßwag, ein Teilort von Vaihingen an der Enz bei Stuttgart, reichlich. Steile Rebhänge und markante Felsen mit einer tollen Aussicht von weit oben über den Fluss Enz zeichnen den Ort aus. Dementsprechend oft sind die beiden Männer dort unterwegs, denn ihre Aufgabe ist es, in den Steillagen, die eine Steigung von mindestens 45 Grad haben, den Pflanzenschutz auszubringen.
Mit ihren gelben Warnwesten sind sie gut zu erkennen. Seit rund einem Jahr machen die beiden ihren Job. Zugegeben, eigentlich haben sie einen großen Helfer dabei, der die meiste Arbeit macht: ausgeklappt rund 2,5 Meter lang und 2,2 Meter breit, bestückt mit sechs Rotoren, an vier davon sind Düsen angebracht. Der fleißige Mitarbeiter ist eine Drohne. Eine Innovation für den Pflanzenschutz in Steillagen im Weinberg. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat im Mai 2021 die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit Drohnen in Weinbau-Steillagen genehmigt. Von Mitte Mai bis Anfang August ist Hauptsaison. Hier müssen die Reben alle paar Tage gespritzt werden, um Pilzkrankheiten entgegenzuwirken.
Besonders der Pilz Oidium (Echter Mehltau) stellt in diesem Sommer eine Gefahr für die Reben dar. Laut Landwirtschaftsverwaltung Baden-Württemberg fördern wenig Niederschläge und Temperaturen zwischen 20 und 25 Grad Celsius das Wachstum des Oidiumpilzes. Dieser befalle die oberste Zellschicht aller grünen Pflanzenteile und zeige sich als grauer, mehlartiger Belag. Von Mehltau befallene Trauben dürfen nicht in den Wein und sind für die Lese tabu. Um einen größeren Ernteausfall zu vermeiden, kommt das Pflanzenschutzmittel zum Einsatz.
Bundesweit werden nach Informationen des Ministeriums für Ernährung, ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) auf rund 100.000 Hektar Rebfläche im Durchschnitt neun Millionen Hektoliter Wein pro Jahr erzeugt. In Deutschland wird „integrierter Pflanzenschutz“ betrieben, was bedeutet, dass vorbeugende Pflanzenschutzmaßnahmen und nicht-chemische Maßnahmen kombiniert und vorrangig verwendet werden. Die Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel werden von der EU-Kommission genehmigt und dann national vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel zugelassen.
Die EU-Kommission setzt sich aktuell dafür ein, den Einsatz chemischer Pestizide bis 2030 um 50 Prozent zu verringern. Manche Weinbauern, für die André und Sebastian mit ihrer Drohne unterwegs sind, setzen schon jetzt nicht chemisch-synthetische oder sogar biologische Pflanzenschutzmittel ein, betreiben also ökologischen Weinbau. Dieser findet Stand Oktober 2022 laut MLR auf rund sechs Prozent der Rebfläche in Deutschland statt. Im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten liegt der Anteil damit im Mittelfeld.
Neben Kupfer ist Schwefel der zweite zentrale fungizide Wirkstoff, der Bio-Winzern zur Verfügung steht. Backpulver (Kaliumhydrogencarbonat) hat ebenfalls eine fungizide Wirkung und wird im ökologischen Weinbau gegen Oidium verwendet. Fungizide sind Stoffe, die Pilze und deren Sporen abtöten oder das Wachstum zumindest für die Zeit der Wirksamkeit hemmen. Laut Hermann Morast, Geschäftsführer des Weinbauverbandes Württemberg kommt die Definition im Verordnungsvorschlag der EU-Kommission einem Verbot jeglichen Pflanzenschutzmittels in empfindlichen Gebieten gleich. Dieses hätte brachliegende, verbuschende und schließlich überwaldete Rebflächen zur Konsequenz. „Die mühsame Arbeit der aktuellen und vorangegangenen Generationen würde zunichtegemacht und zukünftige Generationen könnten nicht mehr davon profitieren“, sagt er.
Beim heutigen Einsatz im Roßwager Weinberg haben André und Sebastian das Mittel für den Pflanzenschutz von einem Bio-Weingut aus dem Ort bekommen und verteilen es nun mit der Drohne auf den Reben. „Das Mittel besteht unter anderem aus Molke und Tee“, erklärt André, während er den rund 20 Liter großen Tank der Drohne damit befüllt. In einem großen Fass auf einem Anhänger haben sie das Gemisch in den Weinberg gefahren. Darauf steht auch ein Aggregat, das laut brummt. Mit dem Strom werden zum einen die Akkus der Drohne geladen, zum anderen hilft er dabei, das Pflanzenschutzmittel in den Tank zu füllen. Ist der Tank voll, kann es losgehen. Leise hebt die Drohne ab und macht dabei doch mehr Wind als gedacht. Nur ein paar Augenblicke dauert es und dann ist sie auch schon nicht mehr in Sichtweite.
In den Tiefen der Steillagen, nur etwa einen halben Meter über den Reben, fliegt sie mit ungefähr sieben Kilometern pro Stunde und verteilt mit einem sehr feinen Nebel das Mittel in einem Radius von ungefähr drei Metern. „An die 13 Ar können mit einer Tankfüllung gespritzt werden“, erklärt André, während Sebastian konzentriert die Drohne steuert. Nach ungefähr zehn Minuten kommt Sebastian wieder zwischen den Reben hervor. Das Summen wird lauter, ein Blick nach oben und da ist sie wieder. Der Tank ist leer und deshalb setzt Sebastian die Drohne zum Landeanflug an. Schnell ist der Kanister wieder gefüllt und schon kann es weitergehen, denn es gibt noch einiges an Fläche, worauf der Winzer den Pflanzenschutz haben möchte.
Weitere Unterstützung im Weinberg
Die Drohne ist aber nicht das einzige Flugobjekt, das die Weinbauern in den Roßwager Steillagen beim Pflanzenschutz unterstützt. Das zweite Objekt ist um einiges lauter und größer. Es ist auch schon deutlich länger im Einsatz, „bestimmt 50 Jahre“, laut Thomas Hagenbucher, Betriebsleiter der Lembergerland Kellerei in Roßwag. Es geht um den gelb-blauen Hubschrauber, der einen Tag später nur knapp einen Meter über den Reben mit 70 Kilometern pro Stunde über die Hänge hinweg fegt. Was für diejenigen, die es noch nie gesehen haben, wie eine spektakuläre Flugshow aussieht, ist für die 1.300 Bewohner*innen des Weinortes in der Pflanzenschutzsaison Alltag. Insgesamt neun Spritzungen stehen pro Saison an. Das bedeutet, dass über einen Zeitraum von einem Vierteljahr, alle zehn Tage der Hubschrauber früh morgens in den kleinen Weinort kommt und dort zwei Stunden seine Arbeit erledigt. In den Tank des Hubschraubers passen 600 Liter Pflanzenschutzmittel, aber auch hier muss während einer Spritzung mehrmals nachgefüllt werden.
Wichtig ist, dass der Hubschrauber und die Drohne zeitlich oder räumlich getrennt voneinander in den Steillagen unterwegs sind. Denn ein Zusammenstoß könnte für den Piloten, der mit schnellen Manövern über die Weinberge fliegt, tödlich enden. Die neue Drohnentechnologie soll den Hubschrauber nicht ersetzen. Sie soll lediglich eine Ergänzung darstellen und erleichtert vor allem die Arbeit an den Stellen, an denen der Helikopter nicht spritzen darf, weil er dann zu nah an der Wohnbebauung ist.
Es muss auch noch selbst Hand angelegt werden
Doch mindestens zweimal im Jahr, nach der Blüte, müssen die Weinberge nach wie vor von Hand gespritzt werden. Vor allem in den Steillagen stellt das einen enormen Kraftakt dar. Karl-Heinz Arnold bewirtschaftet gemeinsam mit seinem Schwager Roland Messerer eine rund 70 Ar große Fläche in den Roßwager Steillagen. Da Messerer noch berufstätig ist, können die Hobbywinzer erst am Abend in den Weinberg. Um 17 Uhr macht sich der Elektrotechniker gemeinsam mit seinem Sohn Dennis und Schwager Karl-Heinz auf in die Steillage. Es ist kein weiter Weg, denn die Messerers wohnen direkt am Fuße der Roßwager Weinberge, ihre Terasse grenzt fast daran an. Es handelt sich also um eine Fläche, die mit dem Hubschrauber nicht gespritzt werden kann. An diesem Tag stehen den Dreien rund 20 Ar bevor. Sohn Dennis hat sich bereits die Trauben angeschaut und festgestellt, dass der Mehltau teilweise schon an den Trauben ist. Umso wichtiger sei es nun, dem Pilz den Kampf anzusagen. Insgesamt spritzen die Hobbywinzer bis zu achtmal in der Saison. Dazu kommen die Laubarbeiten von Ende Mai bis Anfang August, die ebenfalls einen erheblichen Aufwand darstellen.
Die Roßwager Weinberge sind bekannt für ihre „Stäffele“, mit denen man die Steillagen erklimmen kann. „Stäffele“ sind vor allem im Stuttgarter Raum bekannt. Es sind steile Treppenstufen, die einen Hang hinaufführen. „Um die 365 Stäffele müssten das jetzt sein“, sagt Karl-Heinz Arnold und zeigt mit seinem Finger den Weinberg hinauf. Nach dem ersten Abschnitt bleibt er stehen, schon jetzt eine wunderschöne Aussicht über eine Vielzahl von sattgrünen Weinreben. Dort wartet er auf seinen Schwager und dessen Sohn. Die beiden Männer kommen in dunkelblauen Anzügen auf ihrem kleinen, nahezu historischen Trecker angefahren. Am Trecker angehängt ist ein großes Fass voller Pflanzenschutzmittel. Vater und Sohn ziehen mit meterlangen Schläuchen los, einer den Weinberg nach oben, der andere den Weinberg nach unten. Dann wird Reihe für Reihe das Mittel großflächig auf den Blättern und den Trauben verteilt. Arnold rührt immer wieder im Spritzfass um, damit sich nichts absetzt.
Für sie ist die Arbeit Herzenssache. Die Familie ist in das Leben als „Wengerter“ hereingewachsen. Ein zeitaufwändiges Hobby, was ihnen nicht immer nur Spaß bereitet. „Viele denken auch wir spritzen gerne, weil wir das so häufig machen“, sagt Arnold. Es sei aber kein „Gschäft“, was großen Spaß mache, und auch wegen des Geldes lohne sich das Ganze nicht. Auf die Frage, warum sie den Wengert dann überhaupt bewirtschaften, weiß Arnold dennoch eine schnelle Antwort: „Wir wollen das erhalten!“. Schließlich sei die Kulturlandschaft Hunderte von Jahre alt und schon jetzt lägen erste Flächen brach.
Hier kommt nun wieder die Drohne ins Spiel, die zukünftig auch Winzer wie Familie Arnold und Messerer bei der Bewirtschaftung unterstützen könnte. Laut MLR kann die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln via Drohnen die Arbeitsbelastung der Steillagen-Bewirtschaftung deutlich verringern. Der Erhalt von Steillagen sei aufgrund des hohen Zeitaufwands von rund 1.500 Arbeitsstunden pro Hektar Fläche stark gefährdet. Somit bleibt abzuwarten, wie sich die neue Drohnentechnologie und die konventionelle Handarbeit im Weinberg zukünftig ergänzen werden.