„It is easier to stay at home than dress up, take the car and come here, pay for the entrance just to see the show.”
Berufe zwischen Himmel und Erde
Die metallenen Türen öffnen sich, eine Gruppe aufgeregter Menschen drängt sich in die knapp drei Quadratmeter große Kabine. Während die Musik aus den Lautsprechern trällert, spürt man bereits einen leichten Druck auf den Ohren. Nichts Neues für Eric Hoheisel. Sein Arbeitsplatz befindet sich im knapp 217 Meter hohen Fernsehturm Stuttgart. Schon seit zwei Jahren befördert er in seiner Schicht die Besucher auf die 150 Meter hohe Aussichtsplattform des Wahrzeichens der Stadt. Aufzugführer Hoheisel ist Stuttgarter mit Leib und Seele und hat daher einen ganz besonderen Bezug zu seiner Stadt und der Arbeit in waghalsiger Höhe. Die einzigartige Aussicht sowie die unterschiedlichen Personen, die er trifft, machen den Arbeitsplatz für ihn einmalig. Auch die Prominenz aus Politik, Film und Fernsehen möchte sich die Aussicht über Stuttgart nicht entgehen lassen. Sein persönliches Highlight: ein Besuch eines Schauspieler von der Actionserie „Alarm für Cobra 11“.
Weniger wegen der Aussicht, vielmehr wegen des Nervenkitzels arbeitet das Künstlerduo „Tito & Du” derzeit im Friedrichsbau Varieté Stuttgart. Dort zeigen die beiden einen Fangstuhl-Act, der aufgrund der baulichen Gegebenheiten des Varietés in vier Metern Höhe stattfindet. Doch wer steckt eigentlich hinter den beiden Kunstfiguren? Tito wird von dem 43-jährigen Katalanen Albert Valls Medina verkörpert. Sein sieben Jahre jüngerer Kollege Eduardo Lamberti aus Brasilien stammt aus einer Zirkusfamilie und ist als sogenannter Fänger dafür verantwortlich, seinen Partner während der Darbietung zu halten. Ohne Sicherung, nur mit einer Matte auf dem Boden und dem Vertrauen in seinen Kollegen, fliegt Tito durch die Manege.
Eine besondere Variante des Trapez ist der sogenannte Fangstuhl. Dieser wird ausschließlich für Partnerdarbietungen genutzt. Der Fänger hängt kopfüber an einer Plattform, dem Fangstuhl. Von dieser Vorrichtung aus schwingt, wirft und fängt er den Flieger.
Im Mittelpunkt steht der Besucher
Bei der Frage nach ihrem ungewöhnlichen Arbeitsplatz erzählen sie lachend, dass es für sie keinen Unterschied macht, ob sie auf dem Boden stehen oder durch die Lüfte schwingen. Viele Gedanken über die Höhe und die Unfallgefahr können sich die beiden während ihrer Show sowieso nicht leisten; die Komik steht im Mittelpunkt und die Unterhaltung des Publikums. Für uns als Zuschauer ist ein Besuch im Varieté ein besonderes Erlebnis. Die Flut an unterschiedlichen Unterhaltungsmöglichkeiten sorgt für enormen Konkurrenzdruck in der Unterhaltungsbranche. Viele Menschen bleiben daher lieber zuhause vor dem Fernseher. Die Tatsache, dass sich dennoch manche Leute herausputzen, in das Varieté kommen und sich ihre Show ansehen, ist für Tito ein fantastisches Gefühl und macht ihn sehr stolz.
Die Beziehung zu den Besuchern ist auch bei Herrn Hoheisel eine ganz besondere. Wer mit ihm die 36-sekündige Fahrt zurücklegt, ist für ihn jeden Tag aufs Neue eine Überraschung. Wie die Fahrgäste sich Verhalten ist daher immer unterschiedlich. Von gut gelaunten Reisegruppen über unsichere und stille Besucher ist dem Aufzugführer schon alles begegnet.
Ausnahmezustand
Nicht ganz so alltäglich, aber dennoch nicht auszuschließen — das perfekte Szenario eines Thrillers — ein Aufzug, der in über hundert Metern stecken bleibt. Das verlangt von den Mitarbeitern des Fernsehturms im Umgang mit den Besuchern vor allem eines: Einfühlungsvermögen. Anders als bei „Tito & Du”, die bei ihrem Show-Act herunterfallen können, ist jedoch ein Absturz der Aufzüge im Fernsehturm ausgeschlossen. Eric Hoheisel versichert: „Stecken bleiben kann passieren, was aber recht selten vorkommt. Abstürzen, das gibt es nur im Film. Also das gibt es im wahren Leben nicht.” Doch welche Mittel hat Eric Hoheisel eigentlich, wenn der Aufzug stecken bleibt? Das wichtigste ist, keine Panik ausbrechen zu lassen und beruhigend auf die Fahrgäste einzuwirken.
Mit seinem Schlüssel kann er einzelne Funktionen im Fahrstuhl wieder in Gang bringen. Wenn jedoch mal gar nichts mehr geht, müssen die Gäste in mehreren Metern Höhe umsteigen und den Aufzug wechseln. Das mag im ersten Moment abenteuerlich klingen. Doch Eric Hoheisel winkt ab und erklärt, dass in diesem Fall der diensthabende Techniker den zweiten Fahrstuhl auf gleiche Höhe fährt. Dort können die Besucher durch eine Tür an der Seite der beiden Aufzugswände den Fahrstuhl wechseln. Das Thema Sicherheit spielte auch bei der knapp dreijährigen Sanierung des Wahrzeichens eine wichtige Rolle. So musste der Turm zwischen März 2013 bis zur seiner Wiedereröffnung im Januar 2016 seine (Fahrstuhl-) Türen schließen, um sie auf die aktuellen Brandschutzvorgaben nachzurüsten.
Für einen reibungslosen und sicheren Ablauf während den Liftfahrten im Fernsehturm sorgt Eric Hoheisel unter anderem als Evakuierungs- und Ersthelfer. Ein Grund, warum die Gäste nicht alleine mit dem Lift fahren dürfen und der Beruf des Aufzugführers mehr ist als ein ständiges Auf und Ab.
Ob von weither angereist oder als gebürtiger Stuttgarter: Sie mögen auf den ersten Blick nicht sofort herausstechen, aber diese drei Persönlichkeiten tragen einen Teil zum Kulturangebot der Stadt bei. Sie lassen den Puls der Varieté-Besucher und Gäste des Fernsehturms höher schlagen — ob durch ihre waghalsigen Tricks oder als Schwellenhüter zu einem unverwechselbaren Panoramablick über Stuttgart und Umgebung.