Wo sind denn nur die Fachkräfte hin?
Deutschland gehört zu den beliebtesten Einwanderungsländern weltweit. Doch auch einige hochqualifizierte Arbeitskräfte entschließen sich dazu, ihre Heimat zu verlassen. Insgesamt haben 75 Prozent der deutschen Auswander*innen studiert. Führt das in Deutschland zu einem langfristigen Verlust an Fachkräften?
Die Schweiz belegt den ersten Platz.
Den Erhebungen des Statistischen Bundesamts zufolge ist die Schweiz seit 2005 das Top Auswanderungsziel, gefolgt von Österreich und den USA. Während die beiden Nachbarländer in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der deutschen Auswander*innen gerückt sind, belegen die Vereinigten Staaten mittlerweile nur noch den dritten Platz. Ebenfalls beliebte Länder sind Spanien, Frankreich, die Türkei und das Vereinigte Königreich.
Aber was macht die Schweiz und Österreich so attraktiv? Einerseits sind es direkte Nachbarländer Deutschlands, die eine ähnliche Kultur pflegen und die gleiche Sprache sprechen. Außerdem zahlen Alleinstehende und Familien in der Schweiz deutlich weniger Steuern und Abgaben, verglichen mit Deutschland.
Unzufriedenheit in Deutschland ist selten ein Motiv.
Die 2019 veröffentlichten Ergebnisse der GERPS-Studie zeigen, dass die deutschen Auswander*innen meistens jung und gut gebildet sind: Durchschnittlich sind sie 36,6 Jahre alt und haben in etwa 75 % der Fälle einen Hochschulabschluss.
Aber warum wandern so viele junge Menschen aus? Die Unzufriedenheit mit dem Heimatland scheint laut der GERPS-Studie selten ein Grund zu sein. Für rund 70 Prozent der Befragten spielte dieses Motiv eine untergeordnete Rolle.
„Die Gründe für die Auswanderung sind genauso vielfältig wie die der Zuwanderung", sagt Dr. Magdalena Nowicka vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Oft seien die eigene Karriere, Bildungsmöglichkeiten oder die Beziehung Motive für die Auswanderung. Nicht selten sei es auch eine Art Lifestyle-Migration: Manch einer möchte Neues erleben und wandert für das eigene Abenteuer aus.
Der ein oder andere wird sich durch die Auswanderung auch ein besseres Gehalt erhoffen. Diese Hoffnung ist berechtigt: Dem OECD Life Index zufolge steigt das monatliche Einkommen im Ausland um durchschnittlich 1.186 Euro. Bei dem Durchschnittsgehalt von Arbeitskräften gibt es in Deutschland im internationalen Vergleich noch Luft nach oben: In der Schweiz, Österreich und den USA verdienen die Menschen durchschnittlich mehr.
Auch der Migrationshintergrund der Deutschen ist ein wichtiger Aspekt: „Es wurde vor mehreren Jahren darüber gesprochen, dass viele Türkeistämmige in die Türkei zurückwandern. Gerade die zweite oder sogar dritte Generation, weil sie noch Kontakte haben und sich sprachlich dort wohlfühlen", erklärt Nowicka und fügt hinzu: „Allgemein sind viele der Nachkommen der ersten Gastarbeitergeneration aus Italien, Griechenland, Portugal, Spanien und der Türkei wieder zurückgegangen."
Bleiben Fachkräfte für immer weg?
Tatsächlich schneidet Deutschland im Vergleich mit europäischen Nachbarländern nicht schlechter ab, was die Anzahl der Auswanderungen betrifft. Jährlich verlassen mehr als 200 Tausend Deutsche Staatsbürger ihre Heimat. Stellt man das ins Verhältnis mit der Gesamtbevölkerung Deutschlands, entspricht das einem Anteil von 0,3 Prozent. Im Vergleich: In Österreich liegt der Anteil bei 0,2 Prozent, in der Schweiz sogar bei 0,4 Prozent.
Zahlen zur Auswanderung zu erheben, bringt so einige Herausforderungen mit sich. Es ist schwierig, Migrationsbewegungen einzelner Menschen nachzuvollziehen. Nicht in jedem Land besteht eine Meldepflicht, deshalb kann das Auswanderungsziel vieler Deutscher gar nicht dokumentiert werden. Ob Menschen nur zeitweise in Deutschland oder im Ausland wohnen, ist oft nicht nachvollziehbar. „Zum Beispiel wohnt jemand zehn Jahre in Polen, geht für 23 Jahre nach Deutschland und kommt dann zurück nach Polen. Wir können solche Fälle gar nicht erfassen, weil wir die Leute nicht tracken können. Deshalb zählen diese Personen dann mit ihren zwei Wanderbewegungen als zwei separate Fälle", so Nowicka.
Die GERPS-Studie kommt trotzdem zum Ergebnis: Viele Fachkräfte kommen wohl irgendwann wieder zurück nach Deutschland. Von einem sogenannten ‚brain drain'- Effekt, also dem dauerhaften Verlust an Fachkräften, geht man aktuell nicht aus. Vielmehr gibt es international gesehen einen Austausch an Fachkräften. Die Daten deuten darauf hin, dass Auslandsaufenthalte meist nur für einige Jahre erfolgen und zeitlich befristet sind. Arbeitskräfte suchen sich im Ausland für einige Zeit einen neuen Job, genauso nehmen junge Menschen häufig ein Studium im Ausland in Anspruch, kommen danach aber oft zurück ins Heimatland.