Mitbestimmung 6 Minuten

Hört uns doch wenigstens zu!

Bundestagsabgeordnete mit symbolisch-grauen Haaren sitzen im Plenum.
Viele weiße Köpfe im Bundestag. Das Durchschnittsalter der Abgeordneten liegt aktuell bei 47,3 Jahren. | Quelle: Sabeth Wollinger
15. Mai 2024

Nur 15,3 Prozent unserer Bundestagsabgeordneten sind jünger als 35 Jahre – spitzenpolitische Ämter werden meist von älteren Politiker*innen besetzt. Aber warum entscheidet diese Generation zum Beispiel bei bildungspolitischen Themen immer noch über die Köpfe anderer hinweg? Dass junge Stimmen mehr zu Wort kommen, ist längst überfällig. Ein Kommentar.

Olaf Scholz fiel buchstäblich auf die Nase. Doch während alle noch über den 65-jährigen Piraten lachen, sollte man auch darüber nachdenken, welche Auswirkungen das Alter von Politiker*innen auf unsere Gesellschaft und die Außenwirkung eines Staates hat.

Das Durchschnittsalter des aktuellen Bundestags liegt bei 47,3 Jahren, das des Bundeskabinetts bei 53,9 Jahren. Jüngere Menschen sind demnach völlig unterrepräsentiert. Betrachtet man weltweit die Spitzenpolitik, fällt es auf, dass Staatschefs, Senator*innen und eigentlich alle anderen auch, die großen Einfluss haben, häufig über 60 oder sogar bereits über 70 Jahre alt sind. 


Kann es sein, dass älteren Menschen automatisch mehr Erfahrung zugetraut wird? 
Junge Menschen seien, so heißt es oft, noch nicht in der Lage, wichtige politische Entscheidungen gut zu treffen. Sie seien naiv, impulsiv, uninformiert.

Langes Leben, mehr Erfahrung?

Wenn Politiker*innen in ihrem langen Leben fachlich und moralisch reflektierte Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen und offen für neue Ideen sind, kann ihr höheres Alter vorteilhaft sein. Mit zunehmendem Alter können Menschen souveräner, offener, toleranter und reifer werden, was sich dann positiv auf ihre politische Arbeit auswirken kann. KANN!

Auf der anderen Seite dürfte ein höheres Alter in hohen politischen Positionen hinderlich sein, wenn die Biografie von mangelnder Selbstreflexion, fehlender Offenheit und Toleranz sowie starkem Konkurrenzdenken geprägt war. Denn das kann die Fähigkeit zur objektiven Entscheidungsfindung beeinträchtigen und autoritäre Tendenzen begünstigen. Vor allem bei mangelnder Anpassungsfähigkeit, was mit dem Alter einhergehen kann. Dann wäre laut der Konrad-Adenauer-Stiftung die kompetente Ausübung eines demokratischen Amtes eher beeinträchtigt. 

So denken Politiker*innen und Mitglieder der größten Fraktionen im Landtag Baden-Württemberg:

Die Landesvorsitzende der Jusos Baden-Württemberg hat braune Haare und lächelt
Giuliana Ioannidis ist seit Ende 2023 neue Landesvorsitzende der Jungsozialist*innen (Jusos) Baden-Württemberg. | Quelle: Paola Sorce (Foto)
Zitat von Giuliana Ioannidis, der Landesvorsitzende der Jungsozialist*innen.
Zitat von Giuliana Ioannidis.
Zitat von Giuliana Ioannidis, der Landesvorsitzende der Jungsozialist*innen.
Zitat von Giuliana Ioannidis.
Der JU-Vorsitzende des Kreisverbands Esslingen hält eine Rede in einem blauen Anzug.
Kolja Boudaux wurde Ende 2022 zum Kreisvorsitzenden der Jungen Union (JU) in Esslingen gewählt. | Quelle: Kolja Boudaux
Zitat von Kolja Boudaux, Kreisvorsitzender der Jungen Union Esslingen.
Zitat von Kolja Boudaux.
Bernd Bunzen trägt auf dem offiziellen Foto einen schwarzen Anzug.
Bernd Bunzen engagiert sich in Arbeitsgruppen zum Thema Stadtentwicklung, kandidiert für die nächsten Kommunalwahlen in Esslingen und ist Geschäftsführer eines Compliance Consulting Unternehmens.
Zitat von Bernd Bunzen
Zitat von Bernd Bunzen.

Die Menschen, die gerade zum Beispiel über bildungspolitische Themen bestimmen, haben schon ein höheres Alter erreicht und haben damit nicht nur mehr Jahre gelebt, sondern auch in einer völlig anderen Zeit. Sie sind vielleicht in den 50er- und 60er-Jahren aufgewachsen und zwar mit ziemlich anderen Lebensrealitäten. Damals ging man noch zur „Volksschule“ und Lehrpersonen war es erlaubt, Ohrfeigen für schlechtes Verhalten zu verteilen.

Heute fällt es schwer, sich das vorzustellen. Wie der Schulalltag wirklich ist, kann eben nur wissen, wer ihn selbst erlebt. Auf heute bezogen sind das meist Schülerinnen und Schüler zwischen 6 und 19 Jahren. Warum lässt man die eigentlich kaum zu Wort kommen, wenn es um Bildungspolitik geht? 

Es ist auch klar, dass Erhöhungen des Renteneintrittsalters weniger schlimm klingen, wenn sie einen längst nicht mehr betreffen. Oder dass sich das Wort „Erderwärmung“ nicht ganz so bedrohlich anhört, solange man für den Wellnessurlaub noch in schneebedeckte Berge fahren kann.

Die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024: Verantwortung für die Zukunft? Ja, aber“ zeigt, dass die Sorgen bei Jugendlichen unter anderem in den Kategorien Inflation, Einsturz des Rentensystems und Klimawandel besonders groß sind. Kein Wunder, denn die Auswirkungen der zu geringen Fördergelder des kaputtgesparten Systems während der Corona-Krise haben Kinder und Jugendliche am härtesten getroffen.

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Befragt wurden 14- bis 29-Jährige. Das sind 2024 ihre größten Sorgen. | Quelle: Simon Schnetzer, Infografik von Sabeth Wollinger

Trotzdem stellt sich die Regierung in Teilen gegen zukunftsrelevante Investitionen und hat sich nun für eine Reform des neuen Klimagesetzes entschieden, die die einzelnen Sektoren nicht mehr zur Verantwortung zieht. Dass es überhaupt zu einer Einigung gekommen ist, ist wichtig. Dass es nur unter diesen Bedingungen möglich war, ist schade. Es wird kaum möglich sein, Versäumnisse zum Beispiel im Verkehrssektor auszugleichen.

Grenzen des Denkvermögens

Es stimmt, dass die Gehirnentwicklung erst mit Mitte zwanzig vollständig abgeschlossen ist. Doch das heißt keinesfalls, dass ein 17-jähriges Gehirn zu nichts zu gebrauchen wäre. Studien, die sich unter anderem mit der Herabsenkung des Wahlalters beschäftigen, zeigen, dass 16- und 17-Jährige bei politischer Reife mit Volljährigen auf Augenhöhe sind.


Tatsächlich flacht die Gehirnleistung im weiteren Lebensverlauf auch wieder ab. Später muss das Gehirn beim Lösen komplizierter Probleme weitere Regionen zur Unterstützung einschalten, um das zu kompensieren. Das funktioniert allerdings nicht bei allen gleich gut.

Möglich wäre es, in mehr politischen Ämtern Höchstaltersgrenzen einzuführen. In Mecklenburg-Vorpommern gilt z.B. für das Amt des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin die Grenze von 60 Jahren bei erstem Amtsantritt. Was fällt auf? Scholz dürfte hier kein Bürgermeister mehr sein (erfahrungsgemäß sollte er von diesem Amt ja sowieso die Finger lassen), aber Bundeskanzler zu sein, das funktioniert.

Wie legitim sind Höchstaltersgrenzen?
Ämter im Bundesverfassungsgericht haben Höchstaltersgrenzen. Diese sind im Hinblick auf eine mögliche Beeinträchtigung von „subjektiven Rechten“ dadurch gerechtfertigt, dass die Leistungsfähigkeit der Richterinnen und Richter gesichert und eine ausgewogene Altersstruktur gewahrt werden soll. In einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags heißt es, dass der Gesetzgeber davon ausgehen darf, dass die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit ab einem bestimmten Alter typischerweise abnimmt, obwohl dies im Einzelfall nicht zwangsläufig der Fall sein muss.

Quelle: Deutscher Bundestag

Eine ganze Generation von Politiker*innen würde sich wohl kaum mit Höchstaltersgrenzen selbst abschaffen… Um wirklich etwas zu bewegen, wäre eine enge Zusammenarbeit der Generationen wesentlich. Dazu müssten junge Stimmen aber erstmal mehr zu Wort kommen. Für die, die nicht mehr so gut hören, kann man ja besonders laut schreien. Vielleicht hört dann endlich jemand zu.

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Was sagst du? Sollte jüngeren Politiker*innen und Wähler*innen mehr Gehör geschenkt werden?

Ja, sie kennen die Lebensrealität von jungen Menschen am besten.

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Nein, langjährige Erfahrung ist bei politischen Entscheidungen am wichtigsten.

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