„Wenn beide Albaner sind, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie die Kultur bewahren und weitergeben.“
Bikulturell aufwachsen: Konflikt oder Chance?
„Trägst du wieder so zerrissene Hosen?“, fragt mein Opa entsetzt. „Opa, das ist Mode“, meine ich. „Ihr mit eurer Mode, deine Oma ist in deinem Alter nicht so rumgelaufen!“, erwidert er leicht genervt. Ohne respektlos zu klingen, versuche ich, ihm meine Sicht zu erklären: „Wir leben jetzt aber anders. Oma trägt heute auch nicht mehr die traditionellen Klamotten im Alltag.“
Solche Gespräche gibt es häufig zwischen albanischen Kindern und ihren Großeltern, da sie zu gewissen Themen unterschiedliche Ansichten haben. Das hängt auch damit zusammen, dass beide Generationen unterschiedlich aufgewachsen und somit anders geprägt sind.
Die heutige albanische Gesellschaft stammt nicht nur aus Albanien, sondern beispielsweise auch aus dem Kosovo, Nordmazedonien oder Montenegro. Durch die weitreichende Geschichte der Albaner sind diese von verschiedenen Dialekten und Gesellschaftsstrukturen geprägt. Das kosovarische Volk identifiziert sich noch immer mit Albanien und ihrer Staatsflagge, obwohl sie selbst eine haben und offiziell unabhängig sind. So würde sich kaum jemand als „Kosovare“ bezeichnen, sondern eher als „Albaner“ oder „Kosovo-Albaner“.
Marjan Musollaj kam 1973 als Gastarbeiter nach Deutschland. Aus den drei Monaten, die er hierbleiben wollte, wurde ein ganzes Leben. „Ich habe hier die Tätigkeit als Maler erlernt. Nicht weil es mein Traumberuf war, sondern weil mir diese Möglichkeit geboten wurde.“ Er versorgte allein etwa zwanzig Familienangehörige, die zusammen in einem Haus im Kosovo lebten. 17 Jahre sah er seine Familie nur wenige Male im Jahr, bis er seine Frau und Kinder nach Deutschland holte. Seine Frau besuchte keinen Sprachkurs, sondern kümmerte sich um die Kinder, sodass sie auch heute kaum Deutsch spricht. Bei anderen kosovarischen Familien war es ähnlich. Da sie nur das konservative Leben kannten, in dem sie sich um ihre Familie kümmerten und selbst das Leben kaum genossen, gaben sie diese Werte auch ihren Kindern mit. Heute halten sie noch immer daran fest.
Auch interessant
Zwischen Akzeptanz und Missverständnis
Die 18-jährige Rita Rustemi ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Obwohl ihre Eltern aus dem Kosovo stammen und immer noch an einigen Traditionen festhalten, wächst sie nicht ganz so konservativ auf.
Oft sind beide Generationen einer Meinung. Sowohl Marjan als auch Rita verbinden mit der albanischen Kultur Respekt, Liebe sowie eine große Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit. Marjan erzählt: „Wenn wir Bekannte auf der Straße sehen, begrüßen wir sie direkt und unterhalten uns mit ihnen.“ Und auch Rita betont, dass der Respekt den Kindern schon früh beigebracht wird. Das erklärt Marjan an einem Beispiel: „Wenn eine ältere Person den Raum betritt, stehen die anderen automatisch auf, um diese zu begrüßen. Kinder sehen es auch als selbstverständlich, älteren Personen ihren Sitzplatz anzubieten, wenn es keinen weiteren gibt.“
Allerdings möchte die Jugend nicht das konservative Leben weiterführen, sondern sich weiterbilden und integrieren. Sie wachsen globaler auf und unterscheiden sich von den Älteren hinsichtlich der Offenheit. Die ältere Generation sieht es beispielsweise nicht gerne, wenn sich Mädchen freizügiger kleiden. Rita und andere junge Albaner hingegen haben kein Problem damit. Marjan erklärt auch, dass die Ehen früher eher empfohlen wurden: „Man kannte ein anständiges Mädchen aus einer guten Familie und diese hat man einem Bekannten für seinen Sohn empfohlen. Heute lernt die Jugend ihre Partner aber selbst kennen.“ Laut Anduena Stephan, Präsidentin der „Integrativen Deutsch-Albanischen Gesellschaft“, ziehen sich die albanischen Familien eher davon zurück, da dies sehr fremd für sie ist.
Da die ältere Generation laut Rita einen gewissen Nationalstolz in sich trägt, möchten sie, dass auch die Kinder die albanischen Traditionen lernen oder albanische Partner heiraten. Dadurch kommt es häufiger zu Konflikten zwischen den Generationen, denn die Jugend wächst auch mit anderen Nationalitäten und Werten auf. Marjan rechtfertigt dies, indem er meint: „Gerade, weil sie mit verschiedenen Menschen aufwachsen, möchten wir, dass sie die albanische Kultur und Identität nicht vergessen.“ Er erwarte nicht, dass seine Enkel nur Albanisch untereinander sprechen, doch sie sollten es so gut beherrschen, dass sie sich mit Verwandten im Kosovo verständigen können. Deshalb wünschen sich die Älteren auch, dass die neuen Generationen weiter Albaner heiraten. „Denn wenn beide Albaner sind, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie die Kultur bewahren und weitergeben.“
Rita kritisiert, dass bei Albanern der Mann höhergestellt ist als die Frau oder viel Wert darauf gelegt wird, was andere Menschen sagen. Man solle nichts tun, was der Ehre der Familie schadet. „Aber je jünger die Generation, desto weniger wird darauf geachtet. Man kann der albanischen Jugend, die hier in Deutschland aufwächst, nicht übelnehmen, dass wir anders sind als unsere Großeltern.“
Auch Anduena Stephan stellt klar, dass man stets die jeweilige Zeit beachten muss, wenn man Generationen und ihr Handeln betrachtet. Die ältere Generation lasse sich nicht mehr ändern und ihre Werte gehen darauf zurück, wie sie aufgewachsen sind.
„Man kann der albanischen Jugend, die hier in Deutschland aufwächst, nicht übelnehmen, dass wir anders sind als unsere Großeltern.“
Bin ich albanisch oder deutsch?
Die junge albanische Generation hat laut Anduena Stephan keine Probleme, die deutsche Kultur zu akzeptieren, da sie bereits Bestandteil der Gesellschaft sind und die deutschen Werte kennen. Die Schwierigkeit für sie sei eher, welche albanischen Werte sie akzeptieren und in ihr Leben integrieren, denn viele leiden noch immer unter Minderwertigkeitskomplexen aufgrund ihrer Herkunft. Rita meint: „Im Kosovo bin ich die Deutsche und hier bin ich die Albanerin, die Ausländerin. Ich würde behaupten, ich bin Albanerin mit der deutschen Gradlinigkeit, Pünktlichkeit und Genauigkeit.“ Dabei betont Rita, dass es nicht wichtig ist, woher jemand stammt, denn man sollte jeden Menschen akzeptieren. „Es gibt keine großen Unterschiede zwischen mir und einer Person, die seit zehn Generationen völlig deutsch ist.“
Stephan findet, dass die Jugend stolz auf ihre Herkunft sein sollte, da sie viel davon profitieren und einen Mehrwert daraus entwickeln können. Beide Kulturen in sich zu tragen, sei eine wichtige Bereicherung.
„Ich bin Albanerin mit der deutschen Gradlinigkeit, der deutschen Pünktlichkeit und mit der deutschen Genauigkeit.“
So zeigt sich im Alltag der jungen Generation nicht nur ein Konflikt mit den Älteren, sondern auch ein Mehrwert:
Meine Oma hat einen Brief erhalten und fragt mich, ob ich ihn für sie übersetzen kann, da sie kein Deutsch versteht. Anschließend antwortet sie mir liebevoll: „Danke. Es ist sehr praktisch, dass du Albanisch und Deutsch fließend sprechen und mir das übersetzen kannst.“