W(ahnsinnig) g(ereizt)
Das WG-Leben macht mich wahnsinnig. Das weiß ich spätestens seit einem frühen Montagmorgen kurz nach meinem Einzug. Ich stand in der Küche und presste meine Wäsche in die Waschmaschine, als meine Mitbewohnerin hereinmarschierte – sie war offensichtlich sauer auf mich. Ohne auch nur „Hallo“ oder „Guten Morgen“ zu sagen, erkundigte sie sich: „Hast du am Wochenende sauber gemacht?“ Verwundert über die Frage behauptete ich: „Ein bisschen, aber heute werde ich nochmal putzen, weil mein Freund mich besucht.“ Die Wohnung hatte es nötig. Meine Hausgenossin forderte also selbstbewusst: „Wenn du schon putzt, dann vergiss die Fenster nicht, reinige den Abfluss der Dusche und wisch von außen über die Küchenmöbel. Das mache ich nämlich auch immer so.“ Aber klar doch. Gar kein Problem.
In unserer Bleibe kollidieren zwei Welten: Sie, 25 Jahre alt, berufstätig, darf sich seit sechs Jahren mit verschiedensten Mitbewohner*innen auseinandersetzen. Ich, 19 Jahre alt, Studentin, lebe in meiner ersten Wohngemeinschaft. Deshalb denkt sie, sie könne mich mit ihrer Besserwisserei über „das WG-Leben“ angreifen. Und mir fällt es verdammt schwer zu kontern.
Nachdem wir uns für ein paar Minuten in unsere Zimmer verkrochen hatten, verabredeten wir uns per WhatsApp zu einem Gespräch in der Küche. Bei ihr anzuklopfen hätte mich gewaltig viel Überwindung gekostet – so ging es leichter. Was soll ich sagen: Die Stimmung zwischen uns war bombastisch. Ich durfte einen Vorwurf nach dem anderen hinnehmen. Hier eine Auswahl: „Du machst viel zu wenig für den Haushalt!“ und „Du willst nie gemeinsame Zeit verbringen. Sowieso bist du andauernd weg!“
A courtesy a day keeps the anger away
Im Jahr 2018 wohnten knapp 31 Prozent der Studierenden in einer Wohngemeinschaft. Sie leben zwar am häufigsten in WGs, aber auch gerne? Ich bezweifle es. Zumindest, wenn ich mal wieder in meiner Stube hocke und abwäge, ob ich wg-gesucht.de nach einer neuen Bleibe durchforschen soll, ich meine Mitbewohnerin anschreien will oder sie für immer ignoriere. Lösungsbringend ist keine dieser Optionen. Unsere Vorstellungen und Prioritäten gehen auseinander. Ich bin überzeugt, hinter dem Theater um die Putzerei versteckt sich vor allem der Wunsch nach einem harmonischen Miteinander. Egal, ob zusammen kochen oder mal fragen „Hey, ich gehe einkaufen. Soll ich dir was mitbringen?“: Gemeinsame Zeit und kleine Aufmerksamkeiten lassen den plumpen Haushaltsärger schon halb so schlimm wirken. Das zeigte mir vor allem jener Tag, an dem meine Mitbewohnerin mich auf einen Tagesausflug nach Konstanz einlud. Ein überraschend grandioser Trip.
So bin ich Schülerin meiner WG-Lebensschule, die mir lehrt, worauf es im Zusammenleben ankommt. Ich dachte, das blüht mir erst, wenn ich in ein paar Jahren meinen Freund heirate. Doch ich sehe Parallelen zwischen meiner WG und der Ehe. Immerhin weiß ich jetzt schon, wie schwachsinnig es ist, auf Nichtigkeiten zu beharren. Fragen wir doch einfach mal „Bock auf einen Spaziergang?“ anstatt den Alleingänger zu spielen und die Hauptstreitgründe entwickeln sich zur Nebensache.
Eine weitere Folge der Kolumne "WG-Lebensschule" findest du hier.