„Natürlich kannst du deine [Ethnie] nicht mögen und vielleicht eine andere Kultur bevorzugen, aber das heißt nicht, dass du diese [Ethnie] bist.“
Identitätsdiebstahl im „Namen der Toleranz“
Transracialism/Transethnizität bezieht sich auf Menschen, die sich mit einer anderen Ethnie identifizieren, die sich von ihrer biologischen Ethnie unterscheidet. Sie versuchen sich der jeweiligen ethnischen Gruppe anzupassen, u.a. durch die Auseinandersetzung mit der Kultur und der äußerlichen Anpassung (ethnische Schönheits-Operationen).
Quelle: Wikipedia
Meine Augen fingen an zu tränen und mein Gesicht lief rot an. Ich spürte eine brodelnde Wut, nicht nur ihr gegenüber, sondern auch mir selbst. Auf dem Nachhauseweg schrie mir eine Schülerin laut „Chinesin!“ hinterher. Rassismus musste ich schon im Kindesalter erfahren. Dieser Vorfall blieb mir bis heute im Kopf, denn es war das erste Mal, dass ich mir gewünscht habe, keine Vietnamesin mehr zu sein. Aber ich wusste, dass das nicht geht. Jedenfalls bis jetzt.
„Hey guys, I’m finally korean!“
Der Engländer Oli London genoss für eine lange Zeit einen besonderen Kultstatus in der transracial Community. Er polarisierte vor allem durch seinen Wahn, wie der K-Pop Sänger Jimin von der koreanischen Boygroup BTS auszusehen und zahlte für seine Schönheits-OPs rund 250.000 US-Dollar. Neben einer Nippelkorrektur war ebenso eine Penisverkleinerung in Planung. Um hundertprozentig als koreanisch zu gelten, versteht sich. Zugegeben, von ihm habe ich anfangs nicht viel mitbekommen, bis ein Video halb Twitter überflutete. In diesem Video sieht man Oli London nach einer Augen-OP, inklusive der Botschaft, dass er nun endlich „koreanisch“ sei. Die Kontroverse war geboren, die Reaktionen sprechen für sich.
Auffällig ist auch, dass er sich erst 2021 als non-binär und danach als koreanische Frau identifiziert hat, nur um Mitte 2022 zurück zu seinem männlichen Geschlecht zu finden. War das Ganze nur eine Flucht vor sich selbst? Oli London scheint zumindest Gefallen an den Freiheiten verschiedener Identitäten zu finden. Nun, je nachdem, was gerade am besten im Internet ankommt. Zurzeit fühlt er sich in dem anderen Extrem als konservativer Anti-Trans-Christ, sehr wohl. In diesem Essay soll es aber nicht um seine Detransition gehen, sondern um seinen transracial Lebensabschnitt.
Der Begriff weiß wird in diesem Artikel kursiv geschrieben. Damit ist nicht die Hautfarbe gemeint, sondern Menschen im Allgemeinen, die keinen Rassismus erfahren. Sie werden nicht aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Herkunft diskriminiert.
Der Begriff Schwarz wird in diesem Artikel großgeschrieben. Hier wird sich ebenso nicht auf die Hautfarbe bezogen, sondern auf eine Menschengruppe, die aufgrund der Hautfarbe Rassismus erfahren.
Quelle: ZDF
White Privilege als Einbahnstraße
Es war zu erwarten, dass Oli Londons Ankündigung polarisieren würde. Auch ich, als Teil der asiatischen Community, war alles andere als begeistert. Als Kind durfte ich mir anhören, wie platt meine Nase ist, in der Pubertät wurde meine Herkunft fetischisiert. Plötzlich gilt man als ein „Aesthetic“, den man zuhause nachmachen konnte. Nur eins änderte sich nie – man wurde nie als Mensch gesehen.
Es ist kein Geheimnis, dass weiße Menschen von ihren Privilegien profitieren. Kulturelle Aneignung dürfte dabei jedem ein Begriff sein. Genau hier liegt die Problematik von Transracialism – Oli London muss sich als weißer Mann keine Sorgen um systematischen Rassismus machen. Er kann sich bestimmte Aspekte der koreanischen Kultur aussuchen, ohne die dazugehörige strukturelle Diskriminierung zu erfahren. Zu einer Ethnie zu gehören, verlangt mehr als das Aussehen. Erfahrungen, die Personen einer Ethnie machen, können nicht genauso nachempfunden werden. Ganz egal, wie sehr man sich damit auseinandersetzt.
Das Tückische ist, dass Oli London trotz seiner Transformation zu einem „Koreaner“, immer noch seine weißen Privilegien behalten hat. Natürlich kann man sich als transracial bezeichnen, wenn man nicht weiß ist. Dennoch wird ein Schwarzer, der sich als weiß identifiziert, niemals dieselben Privilegien genießen können, wie ein Weißer, der sich als Schwarz identifiziert. Beide haben unterschiedliche Ausgangspositionen, allein weil die Gesellschaft beiden aufgrund des Aussehens verschiedene Privilegien zuspricht. So gesehen funktioniert die Idee von Transracialism nur in eine Richtung, nämlich für Weiße.
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Parallelen zwischen Transracialism und Transgeschlechtlichkeit?
Oft werden Transracialism und Transgeschlechtlichkeit in einen Topf geworfen. Im ersten Moment schien mir das auch plausibel. Sowohl Ethnie als auch Geschlecht sind sozial konstruiert, also sollten beide nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren, oder? Der Autor Braden Hill betont, dass es enorme Unterschiede zwischen Transgeschlechtlichkeit und Transracialism gibt. Beide würden unterschiedliche Auswirkungen auf unser Leben nehmen.
Um mir ein besseres Bild zu verschaffen, hat mir Alice den Unterschied aus ihrer Sicht erklärt. Sie ist 21 Jahre alt und lebt seit vier Jahren als Transfrau. Für sie ist klar: Transracialism und Transgeschlechtlichkeit sind zwei verschiedene Dinge. Jeder Fötus besitzt zunächst beide Geschlechtsanlagen. Erst durch die Hormone Östrogen und Androgen wird entschieden, ob man als Junge oder Mädchen geboren wird. Der Unterschied liegt darin, dass Geschlechter nicht vererbt werden, die Herkunft schon. Zudem erklärt sie, dass der Transition-Prozess bei Transgeschlechtlichen auch körperlich „Sinn“ ergibt. Führt man einem männlichen Körper genug Östrogen zu, wird die Testosteronproduktion gehemmt und es kommt zu einer „verweiblichenden“ Wirkung. Bei Transracials gibt es kein Mittel, mit dem man die Herkunft körperlich verändern könnte.
Die Erfahrungen beider Identitäten wären für Alice nicht vergleichbar. „Natürlich kannst du deine [Ethnie] nicht mögen und vielleicht eine andere Kultur bevorzugen, aber das heißt nicht, dass du diese [Ethnie] bist.“ Als Mitglied der LGBTQ+ Community hofft sie, dass sich diese Bewegung nicht zu einem neuen Trend entwickelt, da viele denken könnten, dass Transracialism genauso normal wäre wie Transgeschlechtlichkeit.
Wo ziehen wir die Grenze?
Selbstverständlich gab es genug Verteidiger*innen der transracial Bewegung. Das feministische Journal Hypatia hat 2017 eine akademische Arbeit dazu veröffentlicht. Dessen Autorin, Rebecca Tuvel, geriet daraufhin in Kritik, da sie unter anderem Parallelen zwischen beiden aufzeigte. Aspekte, die für Transgeschlechtliche gelten, sollten ebenso für Transracials gelten. Ansonsten wäre die Argumentation gegen Transracialism bedeutungslos.
Auch der Soziologieprofessor Rogers Brubaker greift in seinem Buch „Trans: Gender and Race in an Age of Unsettled Identities“ auf, dass es zwar Ähnlichkeiten zwischen den zwei Bewegungen gibt, sie sich im Detail aber deutlich unterscheiden. „Ich finde es eine faszinierende Möglichkeit, über diese beiden Identitäten nachzudenken […] auf unterschiedliche, aber teils parallele Weise.“
Letztendlich stellt es für mich kein Problem dar, wenn sich jemand für meine Kultur interessiert, ganz im Gegenteil. Schließlich würde das Abschotten aller Ethnien nur dazu führen, dass wir uns weiter voneinander wegbewegen. Jedoch sollte man uns nicht als Trend betrachten, sondern uns auf Augenhöhe begegnen, wie jeder anderen Ethnie auch. Wir sind keine Kostüme, kein „Aesthetic“ und ganz sicher keine Identität, die man sich aussuchen kann.