Hübsche Ritter, mutige Prinzessinnen - Kinderfernsehen im Wandel?
Ich erinnere mich noch lebhaft an einen Nachmittag meiner Kindheit, als ich gebannt vor dem Fernseher saß. Gerade war die neue Staffel meiner absoluten Lieblingssendung Winx Club erschienen, und wie immer schlüpfte ich in mein Feen-Kostüm, bereit, in die magische Welt der Feen einzutauchen. „Knapper, schärfer, mehr Glitzer!“ rief Stella bei der Anprobe ihrer neuen Outfits – ein Satz, der mir bis heute im Kopf geblieben ist. Doch während ich von den funkelnden Feen träumte, quengelte mein kleiner Bruder daneben, der viel lieber auf Pokémon umschalten wollte. Zwei Serien, zwei Welten – beide mit klar definierten Rollenbildern. Als Kind habe ich diese Rollenverteilung nicht hinterfragt. Für mich war das meine Traumwelt, die Realität, in die ich nach dem Kindergarten oder der Grundschule flüchtete – eine Realität, die mir ein stark vereinfachtes Bild davon vermittelte, wie „richtige“ Jungen und Mädchen zu sein haben.
Medien als Identifikationsquelle
Kinder befinden sich in einer wichtigen Phase der Identitätsfindung. Nach dem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Erik H. Erikson beginnen Kinder bereits ab dem vierten Lebensjahr ein Gefühl für ihre eigene soziale Rolle zu entwickeln. Daher kommt dem Kinderfernsehen eine besonders wichtige Verantwortung zu, da es mit seiner Darstellung von Geschlechtern Vorbilder vermeintlich idealer Männlichkeit und Weiblichkeit schafft. Bereits die quantitative Verteilung männlicher und weiblicher Rollen vermittelt Kindern ein unfaires Machtgefälle: Männer führen, Frauen unterstützen. So ergab eine Analyse des IZI von 2692 Einzelprogrammen im deutschen Kinderfernsehen, dass Männer 72 Prozent der Hauptcharaktere und 81 Prozent der Anführer*innen darstellen.
Eine Untersuchung der MaLisa Stiftung aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die zahlenmäßige Geschlechterverteilung im Kinderfernsehen seit 2016 nur geringfügige Veränderungen erfahren hat. Eine Diskrepanz zeigt sich zudem nicht nur in der statistischen Verteilung, sondern auch in der stereotypen Darstellung vieler Charaktere meiner Kindheitssendungen: Die weiblichen Figuren sind stets freundlich, hilfsbereit und beliebt. Eigenschaften, die per se zwar wünschenswert sind, doch liegt das Problem in ihrer einseitigen Zuweisung an weibliche Charaktere. Denn diese suggeriert Kindern, Frauen müssten immer jene harmonischen Eigenschaften erfüllen, um gesellschaftlich anerkannt zu sein. Hinzu kommt, dass die Errungenschaften der weiblichen Charaktere stets mit ihren äußerlichen Merkmalen gekoppelt sind. Sendungen wie „Barbie“, „Winx Club“, „Totally Spies“ sowie „She-Ra“, die von meinem sechsjährigen Ich und meinen Freundinnen begeistert nachgespielt wurden, inszenieren weibliche Heldinnen, die zwar regelmäßig die Welt retten, dabei aber stets auf Schönheit und Stil achten. Dieser übermäßige Fokus auf äußere Merkmale, ein Phänomen, das fast ausschließlich für weibliche Charaktere gilt, vermittelte Mädchen wie mir früh, dass ihr Aussehen eine entscheidende gesellschaftliche Rolle spielt. Besonders problematisch ist die häufig damit einhergehende Hypersexualisierung, etwa durch knappe Kleidung und unrealistische Körperbilder wie Wespentaillen, lange Beine und breite Hüften, die das Bewusstsein für Schönheit und Attraktivität bereits im Kindesalter prägt.
Schaue ich mir die männlichen Charaktere meiner Kindheit an, sieht das Ganze schon etwas anders aus, denn diese sind mit einer sichtbar größeren Varianz angelegt. Charaktere wie Ash aus Pokémon oder die Teenage Mutant Ninja Turtles verkörpern Mut, Abenteuerlust sowie Führungsstärke und müssen weder attraktiv noch stets harmoniebedürftig sein, um anerkannt zu sein. Zwar gibt es Ausnahmen, die ebenfalls idealisierte Körperbilder propagieren, diese stehen aber weniger im Vordergrund als bei weiblichen Charakteren, deren Aussehen eng mit ihrer Handlungskraft verknüpft ist. Doch tragen auch diese Figuren problematische Stereotype mit sich: Emotionale Einschränkungen und die Normalisierung von aggressivem Verhalten fördern das stereotype Bild von Männlichkeit als „stark und handlungsfähig“. So werden etwa in „Dragon Ball“, „Beyblade“, „Pokémon“ und Co. Konflikte immer durch Kämpfe gelöst, und auch die Turtles setzen zur Konfliktlösung stets auf ihre Katana-Schwerter und Granaten. Sie zeigen selten emotionale Verwundbarkeit oder Zärtlichkeit – Eigenschaften, die oft als „unmännlich“ wahrgenommen werden. Derartige Eindrücke vermitteln Jungen, dass Stärke und Durchsetzungsvermögen wichtiger sind als emotionale Offenheit und führen dazu, dass sie Gefühle wie Angst, Trauer, Unsicherheit als Schwäche interpretieren und diese unterdrücken. Gleichzeitig erhalten Mädchen durch die Überbetonung von männlicher Stärke den Eindruck, sie seien auf Schutz oder Führung durch Männer angewiesen, was das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern weiter verstärkt.
Kinderfernsehen im Wandel?
Im Vergleich dazu beobachte ich im aktuellen Kinderfernsehen eine Tendenz zur Dekonstruktion dieser starren Rollenbilder. Ich sehe vermehrt Formate, die bewusst auf facettenreiche Charaktere setzen, die eine größere Bandbreite an Gefühlen und Verhaltensweisen zeigen. Ein besonders anschauliches Beispiel hierfür ist die Serie „She Ra und die Rebellen-Prinzessinnen“, die als Neuauflage der Version aus den Neunzigern eine radikale Neuausrichtung der weiblichen Charaktere darstellt. Eine Version, mit der ich retrospektiv sehr gerne aufgewachsen wäre. Während die ursprüngliche Serie stark auf sexualisierte Figuren setzt, wendet sich die neue Version bewusst gegen jene Schönheitsideale. Sowohl die Protagonistin als auch die Nebenfiguren repräsentieren eine Vielzahl an Körperformen und Persönlichkeiten, und zeigen Kindern, dass wahre Stärke frei von äußeren Merkmalen ist. Stattdessen stehen Werte wie Selbstakzeptanz, Empathie und Freundschaft im Vordergrund, die insbesondere für Mädchen ein progressives und empowerndes Vorbild sind. Auch bei männlichen Charakteren erkenne ich eine differenzierte Darstellung: Serien wie „Bluey“ oder „Steven Universe“ durchbrechen bewusst traditionelle Männlichkeitsbilder und zeigen Charaktere, die offen Gefühle und Verletzlichkeit ausdrücken und Konflikte durch Kommunikation anstelle von Gewalt lösen. Dieses neue Spektrum ermöglicht es Jungen, eine breitere Palette von Verhaltensweisen zu erkunden.
Noch nicht am Ziel
Leider sehe ich diesen Wandel als alles andere als universell. Viele Serien, wie etwa „Paw Patrol“, zeigen zwar Fortschritte, indem weibliche Charaktere aktiver in die Handlung eingebunden werden, jedoch dominieren noch immer männliche Figuren sowohl quantitativ als auch durch die Darstellung technischer oder körperlicher Fähigkeiten. Ähnlich sieht es bei der beliebten Kinderserie „Thomas und seine Freunde“ aus, die durch die Einführung zweier weiblicher Lokomotiven ab 2018 versucht hat, diverser zu werden. Dennoch werden die zentralen Geschichten oft von den klassischen männlichen Lokomotiven dominiert, während die weiblichen Figuren eher unterstützende „sanfte“ Rollen einnehmen. Besonders enttäuschend finde ich „Peppa Pig“, die trotz ihrer beliebten weiblichen Hauptfigur, Stereotype durch die stark divergierende Darstellung von Vater- und Mutterrollen im Haushalt bedient. Für mich ist klar: Der Wandel hin zu einer geschlechtergerechten Darstellung in Kindermedien ist zwar spürbar, aber längst nicht abgeschlossen. Ich wünsche mir ein Kinderfernsehen, das konsequenter in der Aufbrechung von Geschlechterstereotypen ist und Kindern eine wirklich vielfältige Bandbreite an Vorbildern bietet.