„Aus der ersten Generation FFF in Stuttgart sind fast alle ausgebrannt, waren in irgendwelchen Kliniken oder mindestens in Therapie."
Ausgebrannt am Aktivismus
Triggerwarnung: In diesem Artikel werden die Themen Burnout, emotionale Erschöpfung und Depressionen behandelt.
Die Klimakrise, sie nagt an Valerias Zuversicht. Bei diesem „Lauf gegen die Zeit“, sagt sie, scheint es unwichtig, Pausen zu machen. „Gerade stirbt irgendjemand und du hast nichts dagegen unternommen“. Ein Gedanke, der Klimagerechtigkeitsaktivistin Valeria öfter kommt. Sie machte immer mehr und immer weiter, bis in ein Burnout hinein.
Es begann vor vier Jahren. Nach einem der größten Klimastreiks, die es in Stuttgart je gab, war Valeria klar, dass sie Teil des Organisationsteams werden wollte. Besonders bewunderte sie, wie es diesem Team aus zehn Leuten gelang, zehntausende Menschen zu mobilisieren. Doch nach dem globalen Streik wurde sichtbar, wie erschöpfend aktivistische Arbeit sein kann. Die Motivation und Kraft, nach einer großen Aktion sofort weiterzumachen, waren gering. „Da waren alle froh, dass es ein paar Leute wie mich gab, Neue, die dann noch Energie hatten und das in die Hand genommen haben.“
Dass ihre Mitstreiter*innen Anzeichen von Burnout hatten, war ihr damals mit 16 nicht bewusst. Auch dann nicht, als die Gruppe ein Pressestatement herausgab: „Wir gehen jetzt seit einem Jahr auf die Straße und brauchen eine Pause.“ Heute sieht Valeria das als den ersten Hilfeschrei.
Frust, Stress und Erschöpfung
Der Begriff des Burnouts und des Ausbrennens sind eher alltagsgebräuchlich als wissenschaftlich. Es seien Überbegriffe für eine Vielzahl an Symptomen, erklärt Psychologin Dörthe Beurer. Eine hohe Arbeitslast, Zeitdruck, Gefühle von Stress, Frust und Erschöpfung können Auslöser und Indikatoren für ein Burnout sein. Es weist aber auch Ähnlichkeiten mit Depressionen auf und kann darin übergehen, wenn die Hoffnungs- und Antriebslosigkeit sehr groß wird. Hilfe sollte man sich spätestens dann suchen, wenn es „anfängt, in alle Lebensbereiche zu diffundieren“ und die Energie für Alltagsdinge fehlt.
Aus einem Tag wurden zwei Jahre
Valeria erzählt davon, wie sie in ihrer Zeit bei Fridays for Future (FfF) immer aufmerksamer gegenüber dem Ausbrennen wurde. „Mir war unglaublich wichtig, dass mir das nicht passiert. Ich habe versucht, immer auf mein Energielevel zu achten.“ Zusammen mit ihrer Bezugsperson hatte sie eine Art Awareness-Team gebildet und versucht, andere damit vor Belastungen zu bewahren. Dann brannten sie beide kurz nacheinander aus.
Ihre Bezugsperson war von der Bildfläche verschwunden. Und deren Aufgabe, die Social Media Betreuung, an Valeria übertragen. Eigentlich sollte sie nur für einen Tag übernehmen, daraus wurden dann zwei Jahre. Für FfF zu arbeiten, das sei ein Vollzeitjob. „Ich hab nächtelang irgendwelche Pressemitteilungen geschrieben oder saß in Telefonkonferenzen, und das ging so richtig auf meine Nerven.“ Oft hatte sie das Gefühl, dass niemand ihre Aufgaben übernehmen, und die Treffen ohne sie nicht stattfinden würden. Dann kamen die Oberbürgermeister-Wahlen in Stuttgart, erinnert sich Valeria. Viele Aktionen dazu hat sie geleitet, es folgte ein globaler Streik – mit Valeria als einer der Hauptverantwortlichen. „Danach war alles aus bei mir, da war gar nichts mehr da an Kraft.“
Eine von Vielen
„Activism-Burnout“ ist inzwischen ein gängiger Begriff geworden. Alle Menschen, die sich engagieren, können unter Umständen davon betroffen werden, erklärt Psychologin Dörthe Beurer. Besonders dann, wenn die Ziele groß und die unmittelbaren Möglichkeiten, etwas zu verändern, beschränkt sind. Auch international bekannte Aktivistinnen wie Luisa Neubauer, Carola Rackete oder Tupoka Ogette berichten im Buch „Wie kann ich etwas bewegen?“ von ähnlichen Erfahrungen. Der Umgang mit Stress, Überarbeitung, Frust und dauerhafter Konfrontation mit dem eigenen Thema, sei einer, der mühsam erlernt werden muss, schreiben sie. Die „Psychologists for Future“ bieten dazu Beratung und Beistand an. Der Gruppe haben sich Psycholog*innen und Therapeut*innen angeschlossen, die gemeinsam den emotionalen und konstruktiven Umgang mit der Klimakrise fördern wollen.
Valeria erzählt: „Aus der ersten Generation FfF in Stuttgart sind fast alle ausgebrannt, alle waren in irgendwelchen Kliniken oder mindestens in Therapie oder sind es noch.“
Klimaaktivismus ist besonders belastend
Neben dem Aktivismus bei FfF macht Valeria auch Lesungen mit ihrem Buch „Das ist (nicht) mein Zuhause“, das davon berichtet, wie sie in der Jugendhilfe aufgewachsen ist. Ihr zweites Aktivismus-Standbein, wie sie es nennt, sei viel dankbarer. Denn „strahlende Augen zu sehen, von Leuten, die sich freuen, dass du da bist, das macht dann auch alles wieder gut.“ Wertschätzung gegenüber Klimaaktivist*innen würde es dagegen nur selten geben, bedauert Valeria. Häufig müssen sie mit Hass umgehen, oder damit, belächelt zu werden. Hinzu kommen emotionale Belastungen durch Klimaangst, Weltschmerz und Verzweiflung. „Der Gedanke der Nicht-Kontrollierbarkeit von Stressoren“ sei ein Punkt, der die Burnoutspirale noch weiter befeuert, erklärt Psychologin Dörthe Beurer. Häufig wäre ein Frust da, weil „das, was man sich selbst an Sinn wünscht“ sich nicht verwirklichen lässt.
Valeria hat für sich erkannt, dass nicht jeder Aktivismus für jede*n geeignet ist. „Wenn du Aktivismus machst, wo du immer weniger Kraft hast und nicht das Gefühl, es gibt mir was, dann solltest du dir was anderes suchen“, erklärt sie. Auch Dörthe Beurer empfiehlt diesen Ansatz der Selbstbeobachtung aus der Ferne, um zu reflektieren, was jede*r Einzelne für sein Ziel bereit ist zu geben.
„Aus dem Burnout heraus ist der Weg nicht Aktivismus, aus dem Weltschmerz heraus aber schon."
Von Druck und Dilemma
Auch innerhalb der Bewegung würde es Strukturen geben, die zu ihrer Ermüdung beitragen, erzählt Valeria. Von allen Seiten Druck: von sich selbst, der gesellschaftlichen Erwartung und vom Gruppenklima. Es sei Fridays for Future in den Jahren nicht gelungen, weniger belastende Strukturen zu schaffen, bedauert Valeria. "Wir kämpfen gegen ein System, das super schnell ist und kapitalistisch und nicht an den Menschen denkt. Gleichzeitig kämpfen wir mit den gleichen Mitteln."
Nachdem sie von ihrem Burnout erzählt hatte, fühlte sie sich oft bevormundet in den FfF Treffen. Aufgaben wurden ihr abgenommen oder hinter ihrem Rücken, für sie erledigt. "Ich will einfach selber meine Grenzen setzen dürfen", beschreibt sie. Außerdem versucht sie, anderen Aktivist*innen zu helfen, nicht auch in einen Burnout zu rutschen. Das sei einer der Hauptgründe, warum sie sich von Fridays for Future nicht trennen will. Und natürlich die Freundschaften.
Für Valeria ist die Situation ein Dilemma: „Aus dem Burnout heraus ist der Weg nicht Aktivismus, aus dem Weltschmerz heraus aber schon.“ Sie versucht, mit beidem leben zu lernen. Denn mit dem Aktivismus aufzuhören, das lässt ihr Weltschmerz nicht zu.