Straßenhunde

Tieradoption – Ein rumänischer Traum?

46.000 Hunde werden laut PETA monatlich innerhalb der EU transportiert.
20. Mai 2021
Ausgesetzt, eingesperrt oder wegtransportiert: Die Hunde auf den Straßen Rumäniens erleiden häufig tragische Schicksale. Viele sollen in Deutschland eigentlich ein besseres Leben führen. Doch nicht jeder Hund profitiert von einer Adoption, wie das Beispiel von Simaro zeigt.

Simaro weiß nicht, wie ihm geschieht, als er aus seinem Zwinger geholt und in eine Box gesperrt wird. Nach der langen Fahrt von Rumänien nach Köln kommt der Sprinter am Übernahmeort an. Mit im Gepäck: mehrere verängstigte und müde Hunde. Doch anders als bei seinen Mitfahrern, warten auf Simaro keine Retter*innen, sodass schnell eine Pflegestelle gefunden werden muss. Es ist ein hin und her, bis der Schäferhund-Mischling mit den großen dunklen Augen endlich in sein erstes richtiges Zuhause einziehen kann. Als Welpe wurde Simaro von Tierschützer*innen von der Straße geholt, aufgezogen und versorgt.

In der Pandemiezeit stieg die Nachfrage nach Haustieren deutlich an. Familien adoptieren Tierschutzhunde wie Simaro aus dem Ausland, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Die Medien zeigen zahlreiche abgemagerte und misshandelte Hunde auf der Straße oder in Tötungsstationen, die dieses Denken befeuern. Derartige Geschichten erhalten sehr viel mehr Zuspruch auf Social Media als Posts mit nachhaltigen Projekten. Manuela Rowlings, Leiterin der Vier Pfoten Streunerhilfe Europa, findet es schade, dass Auslandstierschutz oft auf „ich rette das eine Tier und bringe es nach Deutschland“ reduziert wird.

Kritiker werfen den Tierschutzvereinen vor, besonders dramatische Bilder zu verwenden, um finanziell daran zu verdienen. Und das nicht ohne Grund: Auch der illegale Welpenhandel erfährt gerade einen Aufschwung. Diese Geldgeschäfte hätten allerdings nichts mit Tierschutz zu tun, stellt Andra Weiß von der Deutschen Hunde- und Katzenrettung klar.

Die Abgrenzung zu Pseudo-Vereinen wird immer schwerer. Gerade deshalb findet Matthias Schmidt, Leiter der Tierhilfe Hoffnung, es wichtig, „ehrlich und moralisch korrekt zu bleiben und lieber ausführlicher zu berichten“.  Er sieht die Lage der Straßenhunde in Rumänien seit 2013 sogar dramatischer als die Medien zeigen.

Rumänien ist eines der präsentesten Länder, wenn es um Straßenhunde geht. Seit 2013 fangen staatliche Hundefänger Straßenhunde ein und bringen sie in große Shelter oder Tötungsstationen, wo man sie nach 14 Tagen umbringen darf. Viele Tierschutzorganisationen berichten von dramatischen Zuständen und brutalen Methoden, bei denen die Hunde erschlagen oder durch Frostschutzmittel getötet werden. Die Gelder des Landes, die für die medizinische Versorgung und Beherbergung der Hunde verwendet werden sollen, fließen größtenteils in die Taschen privater Firmen.

Besonders kranke, verletzte und traumatisierte Hunde haben in Rumänien kaum eine Chance auf eine Adoption und ein würdiges Leben. Tierarztbehandlungen und Operationen kann sich in Rumänien kaum einer leisten. Daher ist für einige Hunde eine Vermittlung nach Deutschland ein Start in ein neues Leben – ohne die Gefahr zu verhungern, überfahren oder getötet zu werden. Etwa 85% der vermittelten Tiere der Tierhilfe Hoffnung bleiben auch bei ihrer ersten Familie.

Kaum zu glauben: Das ist ein und derselbe Hund. Für ihn war der Weg von der Straße in ein neues Zuhause ein Glücksfall.

Anders lief es bei Simaro: Er war sehr unsicher im Umgang mit Menschen und erfüllte dadurch nicht gleich die Erwartungen der Adoptivfamilie. Er wechselte fünfmal die Besitzer*innen und hatte dabei keine Zeit eine Bindung zu Menschen aufzubauen und seine neue Umgebung kennenzulernen. Als er einen Spaziergänger beißt, wird er zurück nach Rumänien geschickt.

Ein Rücktransport in das Herkunftsland ist zwar eher selten, jedoch kommt es häufig zu Problemen mit Tierschutzhunden. Neben traumatischen Erlebnissen, könne auch der Kulturwechsel dabei eine Rolle spielen, erklärt Andra Weiß. Je nach Entwicklungsstand eines Landes, gehen die Menschen unterschiedlich mit ihren Tieren um. In Rumänien hat der Hund vor allem auf dem Land oft einen anderen Nutzen als bei uns: Er bewacht das Haus und die Viehherden.

Ein ganz anderes Bild vom Leben der Tiere und deren Beziehung zu den Einheimischen hat Gerd Schuster. Der Hundetrainer ist viele Jahre durch Bulgarien und Rumänien gereist und hat die Straßenhunde beobachtet und gefilmt. Der Großteil der Bevölkerung stehe den Hunden neutral gegenüber. Viele kümmern sich sogar liebevoll um sie und geben ihnen Futter, sodass ein vertrauensvolles Verhältnis entstehe.

Er erzählt von gut genährten und teilweise bereits 10-jährigen Hunden. Werden diese Tiere wahllos eingefangen, entstehe das eigentliche Leid der Tiere erst im eigenen Wohnzimmer, wo die Bedürfnisse des Straßenhundes nicht mehr erfüllt werden könnten. Teilweise komme es erst nach drei Jahren zu Verhaltensänderungen. In seinem Beruf wird er fast täglich mit solchen Problemen konfrontiert: „Es ist nicht damit getan, einen Hund nur nach Deutschland zu bringen.“ Oft würden „Problemfälle“ in ohnehin schon überfüllten Tierheimen landen und dort zu „Dauerinsassen“ werden. Manche Hunde litten unter psychischem Stress, der sie krank mache.

Um dieses Leid zu verhindern, „muss im Heimatland eine individuelle Entscheidung für jedes Tier gefällt werden, bei der es darum geht, ob der Hund tatsächlich in Not ist und ob er in das Leben in Deutschland passt.“ Dabei dürfe man sich nicht von seinen „Emotionen erpressen“ lassen, so Gerd Schuster. Der Kopf solle vor dem Bauch entscheiden.

Nicht jedem Hund tut man einen Gefallen, wenn man ihn aus seiner gewohnten Umgebung holt.
Diese Szenen findet man selten in den Medien – aber sie zeigen, dass Straßenhunde und Einwohner auch ein gutes Verhältnis zueinander haben können.
Gerd Schuster machte in Rumänien und Bulgarien Erfahrungen, die nicht mit den Bildern der Medien übereinstimmen.

Ein unkastrierter Rüde und seine folgenden Generationen zeugen, laut PETA, in zwei Jahren mindestens 128 Nachkommen. Einige Tierschutzorganisationen wie Vier Pfoten setzen daher bereits auf nachhaltige Lösungen, um Leid zu verhindern, bevor es dazu kommt. Sie fahren durch das Land und kastrieren Streuner und Privathunde und klären die Bevölkerung auf: Wie geht man verantwortungsbewusst mit seinem Tier um? Wie organisiert man selbständig lokale Adoptionen und Kastrationen? Mit Schulprojekten versucht die Tierhilfe Hoffnung zusätzlich, das von der älteren Generation gelernte Verhalten zu hinterfragen.

Vor allem in der Stadt gebe es bereits vernünftige Tierbesitzer und zunehmend mehr Menschen, die sich für Straßenhunde engagieren, erzählt Manuela Rowlings. „Da die Menschen ihr Verhalten ändern müssen, geht das nicht von einem auf den anderen Tag.“ Das zeigt auch die Bilanz der Tierhilfe Hoffnung: In 20 Jahren wurden fast 40.000 Hunde nach Deutschland vermittelt, 750.000 Kastrationen durchgeführt und jährlich bis zu 6.000 Hunde im Tierheim beherbergt. Doch „diese riesigen Zahlendimensionen sind nichts im Vergleich zum schnellen Grad der Vermehrung“, bedauert Matthias Schmidt. Um wirklich etwas zu erreichen, seien Gesetze nötig, die von der Politik auch durchgesetzt werden. Aber solange Hunde in den Westen geholt werden, ruhe sich die Regierung darauf aus und sehe keinen Grund etwas zu ändern, befürchtet Andra Weiß.

Simaro lebt nun wieder in seinem früheren Zwinger im Tierheim in Rumänien. Dort kennt er die Umgebung und den Tagesablauf. Zur gleichen Zeit konnten zahlreiche Tierschutzhunde in Deutschland eine enge Beziehung zu ihren Familien aufbauen. Auch wenn es für Befürworter von Adoptionen schwer nachvollziehbar scheint: Das Leben in einer, für ihn fremden, Kultur ist nicht zwingend das Beste für jeden Straßenhund.

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Wenn ihr noch mehr über die Situation von Straßenhunden aus anderen Ländern erfahren wollt, klickt euch hier durch. | Quelle: Sarah Liebers

Die Autorin dieses Textes war nach ihrem Abitur selbst für drei Monate in Rumänien. Dort hat sie freiwillig in einem Tierheim für Straßenhunde und -katzen gearbeitet.