Erde künstlich kühlen – Chance oder Gefahr?
Hitzetote, Ernteausfälle, Skigebiete ohne Schnee – obwohl auf der Weltklimakonferenz (COP) 2023 nochmals das 1,5 Grad Ziel bekräftigt wurde, lag die Durchschnittstemperatur seit Februar letzten Jahres im Schnitt bereits darüber. Die aktuellen Maßnahmen scheinen nicht auszureichen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Daher haben die COP die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, die Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. Dafür müssten Industriestaaten mehr CO₂ aus der Atmosphäre entnehmen, als sie verbrauchen, um die Emissionen der Entwicklungsländer zu kompensieren.
Als Geo- oder Climate-Engineering (CE) bezeichnet man Eingriffe in das Klimasystem, um den menschengemachten Klimawandel abzuschwächen. Wissenschaftler*innen unterscheiden zwischen Radiation Management (RM) und Carbon Dioxide Removal (CDR). RM greift in den Strahlungshaushalt der Erde ein und soll der Erwärmung direkt entgegen wirken. CDR zielt darauf ab, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu filtern und dauerhaft zu speichern.
Bereits 2018 bezeichnete der Weltklimarat technische Eingriffe wie das Climate-Engineering (CE) als „wahrscheinlich alternativlos“, wenn man am Zwei-Grad-Ziel festhalten wolle. Einige Länder betreiben bereits Pilotanlagen, in denen CO2 aus der Luft gefiltert und unter der Erde gespeichert wird. Allerdings ist das sehr energieaufwendig und teuer in der Umsetzung, weshalb diese Technik noch nicht großflächig eingesetzt werden können. Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg wünscht sich mehr Forschung, damit sich das das in Zukunft ändern kann: „Ich sehe nicht, wie wir sonst gegen den Klimawandel ankommen sollen.“
Sonnenschutz für die Erde – Kühlung mit Risiko
Effektiv, schnell und vergleichsweise billig scheint es, Schwefeldioxid in die Atmosphäre einzubringen, damit es dort Sonnenstrahlung reflektiert und die Erde kühlt – wie es bereits bei Vulkanausbrüchen beobachtet wurde. Allerdings birgt dieses Verfahren des Solar Radiation Managements (SRM) einige Risiken, die bisher noch nicht absehbar sind. Weltweit würden voraussichtlich die Niederschläge im Durchschnitt abnehmen und große Luftströmungen könnten sich durch die veränderte Sonneneinstrahlung ändern. Möglicherweise würde es auch die Monsunregenfälle in Südasien und Westafrika unterbrechen, wovon besonders die Landwirtschaft betroffen wäre, die Millionen Menschen ernährt.
Andere Regionen könnten hingegen profitieren, da das Dürre-Risiko im südlichen Afrika laut einer Studie deutlich sinken könnte. Diese ungleichen Auswirkungen stellen ein unberechenbares gesellschaftliches und geopolitisches Konfliktpotential dar, da man auf keine vergleichbaren Erfahrungen aus der Vergangenheit zurückgreifen kann. Ulrike Niemeier sieht daher diese Risiken noch kritischer als die klimatischen: Vor allem bei Ländern, die bereits kein gutes Verhältnis zueinander haben wie etwa Pakistan und Indien, könne die Unterstützung von SRM zu neuen Konflikten führen oder diese weiter verstärken.
Im Projekt Ceibral hat Niemeier zusammen mit anderen Wissenschaftler*innen aus Politik, Wirtschaft, Recht und Philosophie untersucht, welche positiven und negativen Folgen CE international haben würde. Weiter prüften sie, ob einzelne Staaten für eventuelle Schäden haften müssten. Verlierer Staaten zu finden sei schwierig gewesen, da die Temperaturen unter SRM deutlich angenehmer wären, so Niemeier. In einem Szenario würde es jedoch 2070 in Polen längere Dürreperioden geben als unter dem Klimawandel. Hier wäre die Frage, ob Gewinner wie Australien nach einer Klage Kompensationsleistungen zahlen müssten.
Obwohl es schon einige Forschungen und kleinere Feldversuche im Bereich des CE gibt, hat sich die Politik noch nicht auf eine allgemeine globale Regulierung verständigt. „Es gibt kein allgemeines Verbot, aber es ist auch nicht allgemein erlaubt. Es ist irgendwo da in der Mitte“, so der Rechtswissenschaftler Alexander Proelß von der Universität Hamburg. Momentan muss die Zulässigkeit für jede Methode einzeln auf Grundlage des international geltenden Völkerrechts geprüft werden. Eine zuständige Institution wäre wichtig, um für eine ausreichende internationale und nationale soziale Akzeptanz zu sorgen.
In Mexiko lässt ein Startup bereits Ballons mit Schwefeldioxid in die Stratosphäre steigen. Für Klimaökonom Gernot Wagner hat das jedoch weniger mit Klimaschutz als mit Profit zu tun. Trotzdem ist es für ihn „keine Frage ob, sondern wann“ ein Staat CE einsetzen wird. Auch Ulrike Niemeier sieht die fehlenden Regelungen als Gefahr, die Kontrolle zu verlieren, wenn „immer mehr auf die Idee kommen, damit Geld zu verdienen und es dann einfach machen.“
Schmerzmittel statt Dauerlösung
Über allem steht die Befürchtung, dass die Maßnahmen zur aktiven Minderung der Treibhausgasemissionen in den Hintergrund rücken würden und die CO₂-Konzentration weiter ansteigt. Die Ozeane würden somit immer saurer werden und die benötigte Menge Schwefeldioxid würde steigen. Bei einem abrupten Abbruch würde die Temperatur dann mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell steigen, was Mensch, Tier und Pflanzen nicht gut verkraften würden, so Niemeier. Zu diesem Ergebnis kam auch der Weltklimarat. Daher sind sich Ulrike Niemeier und Gernot Wagner einig, dass RM, aber auch alle anderen CE-Methoden niemals die alleinige Lösung oder ein Ersatz für CO₂-Einsparung sein können und eine Reduktion der Emissionen alternativlos ist.
Gernot Wagner beschreibt SRM als eine Art planetarisches Schmerzmittel. „Natürlich wäre es besser, sich gleich gesund zu ernähren und Sport zu treiben, aber ein übergewichtiger, 75-Jähriger mit Gelenkschmerzen benötigt möglicherweise erst ein Schmerzmittel, um überhaupt Treppen steigen und abnehmen zu können.“ Allerdings stelle sich die Frage, ob wir wirklich schon so weit sind, dass CE notwendig ist. Darauf hat er eine klare Antwort: „Nein, wir sind nicht so weit, dass wir morgen damit beginnen müssen, zum Glück.“
Trotz Forschung unberechenbar?
Neben Modellen und Berechnungen sei es laut Wagner auch notwendig kleine Experimente durchzuführen, um die Risiken besser einschätzen zu können. Diese würden in letzter Zeit immer wieder boykottiert, obwohl von diesen Projekten keine Gefahr ausgehe. Andere Wissenschaftler*innen sehen großangelegte Feldversuche über viele Jahre als notwendig, um belastbare Aussagen zu den Auswirkungen von SRM treffen zu können. Das würde jedoch dann bereits einem Einsatz gleich kommen mit allen möglichen klimatischen und gesellschaftlichen Folgen.
Auch Ulrike Niemeier findet, dass Forschung dringend nötig sei. Beispielsweise ist derzeit noch unklar, wie viel Schwefel in die Atmosphäre eingebracht werden müsste, um die Erde um ein Grad zu kühlen: Eine Berechnung kam auf sechs, eine andere auf zwölf Megatonnen Schwefeldioxid. „Der Faktor zwei klingt zunächst nach einer relativ kleinen Unsicherheit, aber in diesem Fall finde ich ihn dann doch wichtig“, so die Wissenschaftlerin. Weitere Experimente, Modellrechnungen und die Erforschung des Erdsystems können Unsicherheiten über die Wirkung und die Folgen von CE reduzieren. Allerdings bleibt durch die Komplexität des Erdsystems ein Restrisiko über die Auswirkungen insbesondere auf regionaler Ebene bestehen. Das trifft jedoch auch auf den voranschreitenden Klimawandel zu.