„Es ist traurig, dass man sich daran gewöhnen muss und dass auch erwartet wird, dass man sich daran gewöhnt.“
Vor Heidi und vor Millionen
Ein „krasses Model“ zu werden war nie Johanna Höpflers Ziel: „Ich fand’s einfach cool, bei Germany's Next Topmodel mitzumachen”. Genau wie ihre ehrlichen, unverblümten Antworten wirkt der Style der 23-Jährigen easy going. Sie trägt eine beigefarbene Sweatjacke, die dunkelblonden Haare hängen locker auf der rechten Seite herunter. Ihr Make-Up sticht hingegen sofort ins Auge: Die Augenbrauen sind stark dunkel betont, die Wimpern durch Mascara langgezogen und ein leichter Nude-Lidschatten ergänzt den Look. In schwarzen Bilderrahmen hängen an Johannas Zimmerwand die Logos von Chanel, Gucci und Prada. Man könnte meinen, sie stehen für einen Traum, der stets über der TV-Show schwebt, an der sie teilgenommen hat. Der Traum, das Gesicht all dieser großen Marken zu sein – ein Topmodel zu sein. Für einige Teilnehmerinnen bei „Germany’s Next Topmodel“ (GNTM) mag dieses Wunschdenken durchaus zutreffen. Doch als Johanna mit ihrer damaligen besten Freundin zum Casting geht, rechnet sie gar nicht erst damit, weiterzukommen. Ich frage, ob sie sich nun nach der Show wie ein Promi fühle. „Auf gar keinen Fall. Y- oder Z-Promi vielleicht, so irgendwas ganz Entferntes“, lacht sie.
Als Curvy Model im TV
In diesem Jahr geht Heidi Klums Modelsuche bereits in die siebzehnte Runde. Die erste Folge der Staffel erzielte prompt die höchste Quote aller regulären Folgen der vergangenen Jahre. Dieser Erfolg lässt sich möglicherweise auch auf das „Diversity“-Motto zurückführen, das seit ein paar Staffeln immer stärker in den Fokus rückt. Im Vergleich zu den strengen Maßvorgaben in früheren Staffeln, sind nun auch kleinere, kurvigere oder ältere Teilnehmerinnen im Cast dabei. Und diese Eigenschaften werden in der Sendung auch entsprechend hervorgehoben.
Johanna gilt in ihrer Staffel, die 2020 ausgestrahlt wird, als „die Kurvige“, das Curvy Model. Bei einigen Zuschauer*innen trifft die Kategorisierung auf Unverständnis. Auch Johanna selbst nimmt sich rückblickend anders wahr: „Damals konnte ich nie nachvollziehen, wenn Leute meinten, ich sei nicht curvy. Aber wenn ich die Bilder von damals sehe, würde ich mich auch nicht so bezeichnen“. Die Öffnung hin zu mehr Diversität bringt mitunter auch Schwierigkeiten mit sich. Johanna sieht sich durch ihre kurvigere Figur während den Dreharbeiten mit Problemen konfrontiert, die sich negativ auf ihr Selbstbewusstsein auswirken.
Die unsichere Johanna?
In den ersten Folgen nehme ich Johannas Auftreten als sicher wahr. Aber zunehmend scheinen einzelne Momente das angehende Model zu verunsichern. Nicht nur ich als durchschnittlicher Zuschauer bemerke die starke Veränderung: „Meine Mama hat mir ein paar Mal gesagt, dass sie mich im Fernsehen nicht wiedererkannt hat, weil ich sehr unsicher war“, berichtet Johanna. Während sie sich an ihre GNTM-Zeit zurückerinnert, schweift ihr Blick oft im Raum umher. Viele Dinge, die passiert sind, scheinen sie auch zwei Jahre später noch zu beschäftigen.
So werden die Kandidatinnen beispielsweise auf die Berliner Fashion Week geschickt, um sich verschiedenen Designer*innen vorzustellen. Als Johanna beim ersten Casting ihren Walk präsentiert, bekommt sie wegen ihrer kurvigen Figur eine Absage des Designers Marcel Ostertag. Zwar könne er sich Johanna für seine Curvy-Kollektion gut vorstellen, jedoch werde diese Linie nicht auf der Fashion-Week gezeigt. Johanna bricht daraufhin im Backstage-Bereich in Tränen aus.
Nicht nur bei Heidi Klum, sondern auch bei den Zuschauer*innen kommt die Unsicherheit nicht gut an. Das Urteil: Johanna stehe nicht genug zu sich selbst. So frage auch ich mich während der Ausstrahlung, wieso sie in diesem Moment nicht einfach darüber hinwegsehen kann, wieso erneut Tränen fließen. Johanna blickt frustriert auf Situationen wie diese zurück. Es sei in solchen Momenten schließlich nicht ihre Schuld gewesen, wenn es ihre passende Größe nicht gab. Das hinterlässt Spuren: „Teilweise habe ich das Gefühl bekommen, dass ich halt nur für die Quote da bin”. In Kombination mit Streitigkeiten unter den Mädchen, weit entfernt von zuhause und mit viel Zeit zum Nachdenken werde man automatisch immer unsicherer. Der Druck scheint enorm. Trotzdem waren allein ihre Kurven kein Grund, um sich stärker mit ihren Mitstreiterinnen zu vergleichen: „Ich hatte nie das Gefühl, dass andere das schlimm fanden, deshalb fand ich’s in dem Fall auch nicht schlimm“.
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Tränenreicher Rauswurf
Und Johanna bekommt auch durchaus Zuspruch in der Show. Bei Topmodel Alessandria Ambrosia kommt sie aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus: „Wir hatten ein Foto-Teaching mit ihr und sie stand so nahe an mir dran. Und dann hat sie mir noch Komplimente gemacht. Das ist schon crazy, dass so jemand mich mal gesehen hat und mit mir gesprochen hat“. Dass sie eine der Berühmtheiten, die sie in der Show traf, wirklich erkannte, bleib jedoch eine Ausnahme. „Wir kannten die Hälfte der Leute nicht, die da gekommen sind. Die sagten irgendeinen Namen und wir haben alle so getan, als würden wir die krass finden und kennen“. Ihr leicht wehmütiges Fazit: „Schade, dass Justin Bieber nie aufgetaucht ist“.
Am Ende hat Johannas Leistung nicht ausgereicht – Heidi Klum schickt sie als Dreizehnte nach Hause. Besonders ein Statement, das sie mit Tränen in den Augen nach ihrem Rauswurf sagt, bleibt in Erinnerung: „Ich bin mega stolz, anderen Mädels mit Kurven gezeigt zu haben, dass man es so weit schaffen kann. Und vielleicht macht es nächstes Jahr eine besser als ich“. Ihre Worte haben Erfolg: Dascha Carriero, das Curvy Model der Staffel im Jahr darauf, schafft es sogar bis ins Finale. Mit ihr hat sich Johanna intensiv über ihre Erlebnisse als Curvy Models in der Show ausgetauscht: „Sie hat gesagt, dass dieser Satz ausschlaggebend dafür war, dass sie sich dann beworben hat“.
Heimat, Hype und Hate
Nach ihrem Rauswurf geht es für Johanna von Hollywood abrupt zurück ins beschauliche Schwabenländle. Auch nach der Show wohnt Johanna weiterhin in der Kleinstadt Remseck im Umkreis von Stuttgart – gemeinsam mit ihrer Mutter, zwei Schwestern und einem Hund. „Ich bin gerade in einer Findungsphase und überlege, was ich jetzt eigentlich machen will”. Sie beginnt ein Studium, doch bricht es wieder ab. Im Sommer arbeitet sie in einem Biergarten. Das alles scheint ziemlich unspektakulär. Und auch Johanna wirkt gelassen, gar tiefenentspannt, während sie davon erzählt. Dass alles beim Alten geblieben ist, erweist sich aber als Trugschluss.
Trotzdem verspürt sie nach der Show einen Druck von außen. Ein Druck, perfekt sein zu müssen und etwas darzustellen, was sie möglicherweise gar nicht ist. Johanna steht seit ihrer Teilnahme in der Öffentlichkeit. Und deren Schattenseiten machen sich durchaus bemerkbar. Das Feedback des Publikums bei einer Sendung wie GNTM ist im Netz enorm und unmittelbar. Läuft eine Folge im Fernsehen, dominieren auf einen Schlag der Hashtag „GNTM“ und die Namen einzelner Kandidatinnen deutschen Twitter-Trends. Polarisiert ein Model mit ihrem Auftreten oder ihren Aussagen, spiegelt sich das in einer riesigen Welle an Tweets und Kommentaren wider. Sehr oft handelt es sich dabei nicht um konstruktives Feedback: In Johannas Staffel geht der Hate gegen einzelne Teilnehmerinnen so weit, dass der Sender eine Anti-Cybermobbing-Kampagne startet.
Böse Kommentare im Netz
Zu diesem Zeitpunkt befindet sich das Publikum im ersten Lockdown des Jahres 2020. Johanna sieht einen direkten Zusammenhang zum heftigen Feedback der Zuschauer*innen: „Ich glaube den Leuten war einfach todlangweilig. Und dann haben die das halt irgendwie daran rausgelassen“. Auch sie nimmt Hate wahr, der sich unter anderem gegen ihre Figur richtet. „Jeder, der irgendwie im öffentlichen Leben steht, kriegt Hate ab. Bei mir war’s halt ein bisschen extremer, weil ich curvier und im öffentlichen Leben stehe”. So freut sich Johanna unglaublich, als sie zum ersten Mal einen Artikel über sich in einem Online-Boulevard-Magazin liest. Der Moment scheint sich bei ihr stark eingeprägt zu haben. „Ich les‘ mir die Kommentare durch und hab angefangen zu heulen wie ein kleines Kind. Ich dachte mir: Wie können Leute so böse Sachen schreiben, über einen Beitrag, der eigentlich voll positiv ist?“. Sie sieht sich im Laufe der Ausstrahlung dazu gezwungen, mit den Reaktionen selbstbewusst umzugehen. „Am Anfang war es schon schwierig, aber mit der Zeit… Es ist traurig, dass man sich daran gewöhnen muss und dass auch erwartet wird, dass man sich daran gewöhnt”.
Depressionen, mit denen sie schon in ihrer Jugend zu kämpfen hatte, verstärken sich und eine Essstörung macht sich wieder bemerkbar. In großen Menschenmengen fühlt sie sich unwohl, doch woher das kommt, kann sie sich schwer erklären: „Das hat glaub' ich nichts mit GNTM zu tun, aber vielleicht mit der Öffentlichkeit. Wobei ich es eigentlich gar nicht schlimm finde, wenn man mich anspricht. Ich mag das, wenn Leute zu mir kommen, mit mir reden und Bilder machen. Aber ich fühle mich irgendwie unwohl, wenn ich in großen Menschenmengen bin“. Es ist ein Gefühl, in der Masse stets beobachtet zu werden, dass sich ihr in diesen Momenten stark aufdrängt. Dennoch rät sie aufgrund der negativen Erfahrungen nicht von einer Teilnahme ab. Man müsse eben wissen, worauf man sich einlässt, meint Johanna.
„Für die normalen Agenturen war ich zu dick und für die Curvy-Agenturen war ich noch zu dünn.“
Social Media statt Laufsteg
Während einer Staffel erhält jede Kandidatin einen offiziellen GNTM-Account bei Instagram und somit rasch eine große Reichweite. Dies führt auch dazu, dass sich viele von ihnen nach der Show statt dem Modeln vor allem einer Social Media-Karriere widmen. Auf den großen Laufstegen der Welt sieht man nur wenige Ex-Teilnehmerinnen regelmäßig. Johanna erinnert sich an ihre ersten eigenen Versuche nach der Show in der Modebranche. Sie geht zwar zu ein paar Castings, wird jedoch nicht genommen. Auch ihre Figur hindert sie daran, mit dem Modeln weiterzumachen: „Ich war damals so ein Zwischending. Für die normalen Agenturen war ich zu dick und für die Curvy-Agenturen war ich noch zu dünn”. Der große Durchbruch im Modelbusiness bleibt aus. Auch sie beginnt hauptsächlich in den sozialen Medien aktiv zu werden.
Sonntags ist „Content Day”, denn da ist draußen auf den Straßen kaum etwas los. Dann geht es ans Vorproduzieren des Social Media-Contents. Da Johanna hierfür einen festen Tag pro Woche einplant, muss sie sich nicht jeden Tag für ihre Fotos und Videos aufbrezeln. Abgesehen von einem Ringlicht kommt aber kein professionelles Set-Up zum Einsatz. Zuhause ist doppelseitiges Klebeband ihr bester Freund. Einmal ans Fenster gedrückt und das Handy daran geklebt, kann die Aufnahme für ein neues TikTok starten: „Das ist perfekt, weil das Licht am Fenster am besten ist”. Drei, vier Versuche braucht es, dann ist das Video im Kasten. Johanna schätzt die Schnelllebigkeit der Plattform, ob bei der Aufnahme ein einzelnes Haar falsch liegt, ist ihr egal.
Keine Nummer in der Kartei sein
Besonders auf TikTok wird deutlich, dass Johanna sich im Gegensatz zu vielen anderen Teilnehmerinnen der Show noch nicht vom „GNTM-Stempel” lösen möchte. Der Inhalt ihrer Kurzvideos dreht sich häufig um die Show. Auf der Plattform ist sie aber erst seit kurzem aktiv, den Hype um die neue Staffel kann sie sich dabei zugute machen: „Man braucht halt einen Anfang. GNTM ist dafür perfekt, weil ich einen Bezug dazu habe“. Trotzdem soll es langfristig weder ausschließlich bei Social Media noch beim Biergarten bleiben. Sie will versuchen, eine neue Modelagentur zu finden, am liebsten aber im Werbebereich. Vor allem menschlich sollte die Agentur sein: „Es gibt diese riesigen Agenturen, bei denen man halt eine Nummer ist. Du gehst hin und gehst wieder. Auch von manchen anderen aus meiner Staffel habe ich mitbekommen, dass sie kranke Vorgaben bekommen, wie viel sie zu wiegen haben und welche Maße sie haben müssen. Das macht irgendwo Sinn, aber ich könnte das nicht“.
Jetzt, im Februar, läuft eine neue Generation mit neuen Hoffnungen über Heidis Catwalk. Die Modelanwärterinnen wieder vor dem Fernseher zu beobachten, stimmt Johanna etwas melancholisch – auch wenn ihre Zeit in der Show nicht komplett reibungslos verlief. „Ich vermisse es tatsächlich sehr. Es war die geilste Zeit, die ich hätte erleben können“. Ein Tagebuch mit aufgeklebten Polaroid-Bildern und Casting-Einladungen hat für sie auch heute noch eine große emotionale Bedeutung: „Da habe ich immer aufgeschrieben, was passiert ist, damit ich zuhause alles erzählen kann“. Auch Bettwäsche mit einem überdimensionalen Foto Johannas, ein Kissen mit ihren Initialen, eine Decke, Wärm- und Wasserflaschen, sowie Haarnadeln der Stylist*innen hat Johanna im Gepäck nach Deutschland transportiert – so wie es eben jeder waschechte GNTM-Fan machen würde.