„Tattoos zu kopieren, hat nichts mehr mit Kunst zu tun. Das ist Diebstahl.“
Tätowieren als Hobby – zwischen Kunst und Schwarzgeld
„Am Anfang hab‘ ich noch auf meiner Couch tätowiert. Besonders hygienisch war das nicht“, erzählt Danté, während er seine Massageliege aufbaut. Konzentriert packt er Maschine und Nadeln aus, sucht Einmalhandschuhe raus und stellt alle wichtigen Utensilien griffbereit. Desinfiziert hat er dabei alles doppelt und dreifach. Desiree, die Frau, die gleich tätowiert wird, sitzt daneben auf der Couch. Nervös wirkt sie nicht. Ihre Antwort auf die Frage, wieso sie lieber hierher kommt, als in ein Studio, ist simpel: „Es ist viel günstiger, das kann ich mir leisten. Einen Unterschied zum Ergebnis vom Studio sehe ich auch nicht.“
Seit zwei Jahren tätowiert Danté schon in seinem WG-Zimmer. „Früher haben wir an der Stelle immer noch einen geraucht, bevor es losging“, sagt Danté lachend. Heute mache er das nicht mehr so, wobei es angeblich nie jemanden gestört habe. Ganz legal ist das Ganze natürlich nicht. Wer ein Gewerbe betreibt und dieses nicht anmeldet, verdient Schwarzgeld. Das kommentiert der Hobby-Tätowierer jedoch nur mit einem Schulterzucken: „Wo bleibt denn der Spaß im Leben? Es muss ja auch irgendwo spannend bleiben.“
Neben rund 6.000 legalen Tattoo-Studios existieren in Deutschland schätzungsweise 20.000 illegale Bertriebe.
Quelle: Berufsverband Deutsche Organisierte Tätowierer e.V.
Ausbeutung in Studios
Wenn man sich in der Szene umhört, ist festzustellen, dass viele Tattoo-Artists mit dem Tätowieren als Hobby angefangen haben. Allerdings sind auch andere Stimmen zu finden, die nicht ganz so viel von dem ominösen Trend halten.
Auch Sino, der heute Tätowierer im Stuttgarter Studio „Westend Tattoo“ ist, hat das früher hobbymäßig gemacht. „Da steckt jetzt eine ganz andere Ernsthaftigkeit dahinter. (…) Die Erwartungshaltung gegenüber meiner eigenen Karriere steigt“, sagt er im Interview.
Klar, im Studio zu arbeiten, ist ein professionelles Upgrade. Doch angestellte Tattoo-Artists können nicht alles von ihrem Gewinn behalten. Abgesehen von den Steuern, zahlen sie natürlich Abgaben an das Studio. Während es Studios mit guten Konditionen gebe, könne man auch ganz schön ausgenutzt werden, erzählt Henrik, der Inhaber von „Westend Tattoo“. „In manchen Studios machst du zum Beispiel 800 Euro Einnahmen täglich, aber am Ende des Monats gibt dir das Studio nur 2.000 Euro.“
Tätowieren ist Kunst, oder?
Davon verschont bleiben Tätowierer*innen, die selbstständig arbeiten. Wie zum Beispiel Nina Grows. „Mir geht es darum, dass ich von meiner Kunst leben kann. (…) Viele wollen in den Tattoo-Bereich rein, weil man gut Geld verdienen kann. Aber damit fällt man oft auf die Nase.“ Allein schon anhand ihrer Arbeit wird deutlich, dass Tätowieren in ihren Augen in erster Linie Kunst ist. Von „Kopierer-Tätowierern“, die ihre Motive nicht selbst entwerfen, hält sie nichts: „Das hat nichts mehr mit Kunst zu tun. Das ist Diebstahl.“ Nina tätowiert ausschließlich Motive, die sie komplett selbst designt hat. Ohne diese kreative Freiheit in ihrem Beruf würde sie ihn nicht ausüben wollen, erklärt sie. Typische „Dorfstecher“, die Kopien tätowieren, seien für sie nur Handwerker*innen.
Obwohl Sino Motive eher zusammenstellt, anstatt sie komplett selbst zu entwerfen, sieht er sich selbst als Künstler: „Tattoo Artists sind meistens von sich und ihrer kleinen Bubble überzeugt. Dementsprechend gibt es da verschiedene Meinungen. Das macht die Szene auch sehr toxisch. Viel Missgunst und sowas.“ Das kommentiert sein Kollege Henrik kurz und knapp: „True.“
„Es geht ums Cash!“
Dieses simple Kopieren ist genau das, was Danté macht. Im Gegensatz zu Nina tätowiert er eigentlich nur Sachen, die seine Kundschaft mitbringt. Das sind oft Motive, die aus dem Internet stammen oder bei anderen abgeschaut wurden. Als Künstler betrachtet er sich in dem Sinne also nicht: „Ich sehe mich eher als Dienstleister. Ich tätowier‘ auch fünf Schmetterlinge am Tag, wenn‘s sein muss.“
Seine Hauptmotivation ist im Endeffekt das Geld, das dabei rausspringt. In Phasen, in denen er sich auf das Tätowieren konzentriert, sticht er jeden Tag. Da verdient er um die 2.000 Euro im Monat, wird demnach bezahlt, wie bei einem richtigen Job. Also würde er der Tätigkeit ohne die Bezahlung nicht nachgehen? „Es geht ums Cash. Aber ohne den Spaß würde ich’s auch nicht machen. Wenn ich kein Geld dafür bekommen würde, würde ich ab und an mal tätowieren. Nur nicht in dieser Quantität.“
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Sind Studios bedroht?
So eine Tattoo-Maschine ist gar nicht so teuer, wie viele annehmen. Die günstigsten, die im Internet zu ergattern sind, fangen schon bei 50 Euro an. „Profi-Tattoo-Set“ steht in der Beschreibung. Dass man damit nicht direkt Profi ist, liegt auf der Hand. Doch sich eine Maschine kaufen und losstechen kann erstmal jede*r. Das Phänomen des Hobby-Tätowierens breitet sich immer weiter aus. Die meisten jungen Menschen kennen mindestens eine Person im nahen oder entfernten Freundeskreis, die dieser Beschäftigung nachgeht.
Dantés Kundschaft ist stets zufrieden mit den Ergebnissen und Geld spart sie schließlich auch. Sollten sich die Studios also Sorgen machen, dass die Nachfrage bei ihnen abnehmen könnte? Sino winkt auf diese Frage hin unberührt ab: „Nein, denn die Leute, die zuhause anfangen und richtig gut werden, landen in Studios. Keiner, der das ernsthaft macht, bleibt daheim in seinem Kinderzimmer.“ Henrik kann nur zustimmen: „80 Prozent der Leute, die damit anfangen, sind Eintagsfliegen. Irgendwann kommt nämlich die Frage von den Eltern: „Was willst du denn jetzt wirklich machen?“ Und dann landet die Maschine ganz schnell wieder im Schrank.“
Da ist auf jeden Fall etwas dran, denn Danté zum Beispiel hat nicht vor, das Tätowieren zu seinem Beruf zu machen: „Das wäre mein Exit-Plan. Bevor ich Limonade verkaufen muss, würd‘ ich das machen.“
Nach etwas mehr als einer Stunde des Geräuschs der surrenden Nadel sind die zwei kleinen Tattoos fertig. Nachdem Danté die Second Skin, eine Schutzfolie für Tattoos, aufgetragen hat, drückt ihm die Kundin 80 Euro in die Hand. Als Trinkgeld bekommt er einen Monster Energy Drink. Desiree ist happy mit dem Ergebnis, Danté auch. Einfache Motive wie diese sind für ihn Routine, doch dass er nicht alles stechen kann, gesteht er sich auch ein: „Studiopreise sind einfach viel teurer, deswegen kommen die Leute zu mir. Aber wenn man richtig komplizierte, große Motive will, sollte man lieber ins Studio gehen.“
*Die Redakteurin steht in einem persönlichen Verhältnis zu dem Protagonisten Danté.