„Wagenknechts Erfolg beruht auf ihrer medialen Sichtbarkeit, nicht auf ihrem politischen Gewicht. Ihre rhetorischen Fähigkeiten nützen ihr, um Menschen bei Reden oder in Talkshows für sich zu gewinnen. Populistische Rhetorik arbeitet mit Feindbildern.“
Eine Politikerin im Rampenlicht
Sahra Wagenknecht ist eine der Spitzenpolitiker*innen in Deutschland. Durch eine sehr erfolgreiche Karriere wurde sie 2015 Fraktionsvorsitzende der Linken. Bekannt wurde sie unter anderem für ihre kritischen Positionen zu Themen wie Globalisierung, Kapitalismus, Migration und sozialer Gerechtigkeit. Im Oktober 2023 ist Sahra Wagenknecht aus der Partei ausgetreten, behielt aber ihr Bundestagsmandat. Ihre politische Entfremdung von der Linkspartei sowie ihre Stellungnahmen zum Ukraine–Russland Konflikt löste großes Medieninteresse in Deutschland aus. Selten wird die deutsche Politiklandschaft so durcheinandergewirbelt. Wagenknecht verlässt ihre vorherige Partei mit viel Wumms, Gefolgschaft und Medienhype. Das kann sie alles gut gebrauchen, denn sie hat Großes vor.
Eine Trennung im Streit
Wer die Politikerin schon länger verfolgt, wird nicht überrascht von ihrem Austritt sein. Schon seit der Flüchtlingskrise 2016 äußerte sich Wagenknecht kritisch gegenüber ihrer damaligen Partei „Die Linke“. Einige ihrer Kolleg*innen distanzierten sich von Wagenknecht, nach dem diese umstrittene Aussagen propagierte. Durch Wagenknechts politischen Entfremdung wurden innerparteiliche Stimmen lauter, die ihren Austritt forderten. Linken-Vorsitzende Wissler unterstellt Wagenknecht in einem Interview mit Tagesthemen „verantwortungsloses Handeln“ und verurteilt ihre Pläne für eine eigene Partei als „Egotrip“. Wagenknecht begründet ihren politischen Seitensprung in einer Pressekonferenz am 23.10.2023 in Berlin. Es dürfe so, wie es in Deutschland derzeit läuft, nicht weitergehen, „sonst werden wir unser Land in zehn Jahren nicht wiedererkennen“. Weiter kritisiert sie die schlechte Infrastruktur, den „blinden Öko-Aktivismus“ und die „ungeregelte Zuwanderung“. Zudem warnt sie vor einem Wohlstandsverlust für Deutschland und nennt ihr oberstes Ziel, eine „Wirtschaftspolitik der Vernunft“ zu etablieren. In einem veröffentlichten Gründungsmanifest setzt das Bündnis auf einen politischen und wirtschaftlichen „Neuanfang“ und eine Regierung, das „die Bedürfnisse der Mehrheit“ verfolgt.
Letztendlich verwirklicht Wagenknecht ihre Pläne und stampft einen eigenen Verein aus dem Boden. Sie verlässt die Linkspartei und gründet das „Bündnis Wagenknecht“. „Die Linke“ beschließt Anfang Dezember 2023 ihre Bundestagsfraktion aufzulösen. Nicht zuletzt durch den Verlust der neun Abgeordneten, die Wagenknecht ins politische Neuland folgen.
Personenkult und Redekunst
Um das Phänomen Wagenknecht bildet sich eine Art Personenkult. Gesundheitsminister Karl Lauterbach urteilt dazu auf X: „Personenkult, Selbstgerechtigkeit und rechter Populismus, darauf warte niemand“. Ein Publikum für ihre politische Agenda wird Wagenknecht stets bereitgestellt. Die Politikerin ist Stammgast in sämtlichen Talkshows, ein beliebtes Motiv für die Titelseite und ihre Reden werden millionenfach im Internet geklickt. Genau in diesen Auftritten zeigt sich ihre größte Stärke. „Sahra Wagenknecht wird von den Bürger*innen als authentisch wahrgenommen. Das fehlt im Moment vielen anderen Politikern. Wagenknechts Auftreten wirkt nicht inszeniert. Ihre Art der Kommunikation ist klar und strahlt Selbstvertrauen aus“, beschreibt Lifecoach Chris Oeuvray im see&so Magazin. Die Ex-Linksparteivorsitzende punktet durch ihren Charme, ihre Rhetorik und ihr Talent am richtigen Ort zur richtigen Zeit, das „Richtige“ zu sagen. „Wagenknechts Erfolg beruht auf ihrer medialen Sichtbarkeit, nicht auf ihrem politischen Gewicht. Ihre rhetorischen Fähigkeiten nützen ihr, um Menschen bei Reden oder in Talkshows für sich zu gewinnen. Populistische Rhetorik arbeitet mit Feindbildern“, so Politikwissenschaftler Johannes Hillje.
Wagenknecht wirke in chaotischen Diskussionsrunden à la „Markus Lanz“ und „Maischberger“, wie der kühle Kopf in der Runde. Dies gelinge ihr durch eine rhetorische und kommunikative Anstrengung. Kommunikationsexperte Benedikt Held hat schon einige Reden und Talkshow Auftritte von Sahra Wagenknecht auf dem YouTube-Kanal RedeFabrik unter die Lupe genommen. In Helds Analysen wird deutlich, Wagenknecht kann sich durch eine rhetorische Meisterleistung gegen jegliche Anfeindungen in Interviews durchsetzen. Sie weiß, wie sie ihre Positionen dem Publikum vortragen muss, z. B. durch die direkte Ansprache von Ängsten, um sich selbst und ihre politische Agenda zu verkaufen. Held beschreibt dies in einer rhetorischen Analyse von Wagenknechts viraler Bundestagsrede. „Sie verwendet in dieser Rede das Werkzeug der Rhetorik, um zu polarisieren“ und ordnet dies kritisch ein. Die Politikerin nutze hier spaltende Narrative, anstatt Lösungen aufzuzeigen und lege den Fokus auf die Fehler einzelner. Wagenknecht sei sich der Wirkung dieser Rhetorik sicher bewusst, so Held.
Das Bündnis Wagenknecht – wo der Name zum Programm wird
Einen passenderen Zeitpunkt zur Gründung einer neuen Partei gibt es kaum. Durch harte Kritik an ihrer Ex-Partei inszeniert sich Wagenknecht als rationale „Alternative“. Weg von den „Lifestyle-Linken“ und hin zu vermeintlich wichtigen politischen und gesellschaftlichen Themen. Schluss mit der Kriegstreiberei und zurück zu Friedensverhandlungen. Die Resonanz um ihre politischen talking points zeigt, dass sie mit ihren harten Worten Anklang findet. In einfacher und klarer Manier liefert sie für jedes Problem einen Sündenbock. Hierbei schreckt sie auch nicht vor populistischen Stilmitteln und dem Verdrehen des ein oder anderen Faktes zurück, wie Untersuchungen von Tagesschau und Correctiv aufzeigen.
Wählerpotential der Wagenknecht-Partei
Wagenknecht könnte eine Lücke im deutschen Politikspektrum besetzen, denn immer mehr wahlberechtigte Bürger*innen fühlen sich von keiner Partei im Bundestag vertreten, so Politikwissenschaftler Prof. Dr. Bernhagen von der Universität Stuttgart. Hierbei spielt ihr auch die wachsende Kritik an der Ampel-Regierung in die Hände. Wagenknecht schaffe es, mit ihrer vielschichtigen, teils populistischen Politik besonders die unzufriedenen Menschen in Deutschland zu erreichen. Sie gebe einem wachsenden Teil der Bevölkerung, der sich von der Politik nicht gehört fühlt, eine Stimme.
Dies macht Wagenknecht unter anderem zur Konkurrenz für die AfD, erläutert Bernhagen. „Während Wagenknechts wirtschaftlich linke Positionen größtenteils mit ihrer Partei übereinstimmen, versetzen sie ihre kulturell rechten Vorlieben in eine einzigartige und unbesetzte Position in der deutschen Politik“, meint Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner. Expert*innen beschreiben Wagenknechts politischen Kurs als linksautoritär oder Linkskonservatismus. Diese Art der Politik macht Wagenknecht zu einer Besonderheit in Deutschland. Sie schafft es, Sympathien aus dem linken und rechten Flügel zu generieren.
„Während Wagenknechts wirtschaftlich linke Positionen größtenteils mit ihrer Partei übereinstimmen, versetzen sie ihre kulturell rechten Vorlieben in eine einzigartige und unbesetzte Position in der deutschen Politik“
Politikwissenschaftler Bernhagen sieht durchaus Potenzial für einen langfristigen Wahlerfolg für Wagenknechts Parteipläne. Entscheidend sei, ob sie die unzufriedenen Menschen in Deutschland abholen kann und das Interesse der Medien bestehen bleibt. Um eine seriöse Partei auf die Beine zu stellen, wird sich Wagenknecht von extremen und radikalen Gruppierungen abgrenzen müssen. Wagenknechts Karriere zeigt jedoch eines, Populismus und Rhetorik ist ein Erfolgsrezept für politischen Einfluss.
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