Sind Talkshows der Grund für das Politikchaos in Deutschland?
Zu den bekanntesten deutschen politischen Talkshows gehören „Maybrit Illner“, „Anne Will“, „Maischberger“ und „Hart aber Fair“ mit Frank Plasberg. Diese ziehen wöchentlich jeweils circa 2 bis 4 Millionen Zuschauer zu Hause vor den Fernseher. Ihre Aufgabe ist es, alle Parteien zu Wort kommen zu lassen. Denn nur so können die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft und eine funktionierende Demokratie gewährleistet werden. Die Expertenmeinungen zu diesen Shows sind allerdings gespalten: Während Politikberater Michael Spreng der FAZ sagte, Talkshows seien ein Ort kontroverser Debatten und eine Chance für die Zuschauer, wichtige politische Themen und Diskussionen außerhalb des Bundestags mitzuverfolgen, so teilte Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister seine Meinung im Deutschlandfunk, Talkshows seien eher ungeeignet, komplexe politische Prozesse abzubilden. Sind die Shows also wesentlicher Bestandteil der politischen Meinungsbildung in der Gesellschaft? Und sind sie letztlich auch für die Stimmenverteilung im deutschen Bundestag und für das allgemeine politische Klima im Land verantwortlich?
Blaue Welle oder doch grüner Hype?
Es steht immer wieder zur Debatte, die Medien seien Grund für die hohen Stimmenanteile der AfD bei den letzten Landtagswahlen in Ländern wie Sachsen, Thüringen oder Brandenburg. Auch wird oftmals behauptet, die Oppositionspartei Bündnis 90/Die Grünen hätten aufgrund hoher medialer Präsenz deutlichen Stimmenzuwachs bekommen. Auswertungen des Onlinebranchendiensts „Meedia“ zeigen, dass in den vergangenen zwei Jahren die grünen Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock mitunter die meistgeladensten Gäste politischer Talkshows waren. Zunächst könne man also den Eindruck gewinnen, in den Medien erscheinen vermehrt Gesichter potenzieller zukünftiger Kanzlerkandidaten. Beim genaueren Blick auf die Zahlen der jeweiligen Parteizugehörigkeit der Politiker ist jedoch auch klar zu erkennen, dass im letzten Jahr 2019 insgesamt deutlich weniger Politiker eingeladen wurden als noch die Jahre zuvor. Nichtsdestotrotz bleibt die Regierungspartei CDU/CSU mit 91 Einladungen zu den insgesamt 135 Talkshows an der Spitze aller Parteien.
AfD-Politiker Alexander Gauland ist dagegen mit nur 4 Auftritten in den öffentlich-rechtlichen Talkshows vertreten. Gemessen an der Sitzverteilung im Bundestag ist die AfD in diesen Sendungen somit stark unterrepräsentiert. Die rechte Partei wurde seit ihrer Gründung in den letzten Jahren in den Medien nicht bedeutsam präsenter. Bei einer genaueren Analyse des letzten Jahres wird beispielsweise deutlich, dass in Talkshows im Zeitraum vor der Landtagswahl in Brandenburg nicht vermehrt rechtspopulistische Themen behandelt wurden. So kamen im gesamten August Themen wie die "Soli-Abschaffung", die "Groko" oder der Brand der Regenwälder auf. Eine verstärkte Diskussion über die AfD gab es nicht. Behauptungen einiger Kritiker also, Parteien von rechts außen, wie der AfD, werde eine immer größere mediale Bühne geboten und somit die Ängste und Hysterien innerhalb des Landes verstärkt, kann statistisch gesehen nicht zugestimmt werden.
Dass Politiker der Grünen in den Jahren 2018 und 2019 vermehrt bei Anne Will oder Maybrit lllner zu sehen waren, liegt unter anderem daran, dass sich die Schwerpunkte der Themen gegenüber den Vorjahren verschoben haben. So hat die öffentliche Debatte über das Klima aufgrund von Ereignissen wie dem Klimagipfel, dem Kohleausstieg, der Einhaltung von Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen oder letztlich auch durch die Bewegung „Fridays For Future“ zugenommen, sodass es im vergangenen Jahr einen vermehrten Diskussionsbedarf zur Klimapolitik gegeben hat. Während im Jahr 2017 die Themenkomplexe „Donald Trump“, „Regierungsbildung Jamaika“ und „Türkei/Erdogan“ die drei Top-diskutierten Themen waren, fokussierten sich die deutschen Talkshows in den Jahren 2018 und 2019 vor allem auf Themen wie „GroKo“, „CDU/CSU-Streit“, den Brexit und verstärkt im vergangenen Jahr eben auch auf die Klimapolitik.
Die Grünen – Favorit der kommenden Bundestagswahl
Das ZDF-Politbarometer beschäftigt sich monatlich neben der Sonntagsfrage mit den langfristigen Trends zu politischen Themen in der Bundesrepublik. Seit den letzten Bundestagswahlen 2017 ist ein deutlicher Abwärtstrend im Stimmenanteil bei den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD zu erkennen. Im Gegensatz dazu gewinnen die Grünen einen immer höheren prozentualen Anteil an Stimmen. Auch in Prognosen zur Bundestagswahl im Jahr 2021 sind die Grünen klarer Favorit.
Vergleicht man jedoch die Zahlen der Analyse des Politbarometers mit den eingeladenen Gästen in Talkshows und den jeweiligen Auf- bzw. Abwärtstrends der Grünen oder der Regierung, ist keinerlei Zusammenhang zwischen angeblich erhöhter Medienpräsenz und dem darauffolgenden Stimmenzuwachs oder -Verlust zu erkennen.
Der Journalismus – Mainstream-Medium und Lügenpresse?
Die Wichtigkeit ausgewogener, vielfältiger Berichterstattung im Journalismus steht außer Frage. Dennoch gilt es, das umsetzbare Maß an Neutralität und Unvoreingenommenheit in diesem Beruf zu hinterfragen und in Relation zu setzen. Aufrichtigkeit ist für die Kontrolle politischer Macht hierbei unabdingbar. Dass dies jedoch immer in einem bestimmten Bedeutungsrahmen geschieht – und sei es einzig durch die Wahl des zu diskutierenden Themas innerhalb einer Talkshow – darf nicht außer Acht gelassen werden. Die These, die deutsche Wählerschaft tendiere aufgrund der Diskussionen und Gäste politischer Talkshows immer mehr zu einer „grünen“ oder „blauen“ Richtung, kann anhand datenjournalistischer Recherche nicht belegt werden.