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Tante Emma ist zurück!

Sabine Schneider räumt im Nahversorgerladen "Tante-M" in Glems die Regal ein mit Produkten.
Der Tante-M-Laden in Glems: Ein moderner Dorfladen, der Tradition und Innovation vereint. | Quelle: Nils Misselwitz
01. Juli 2024

Inmitten eines Dorfes trotzt ein Laden den Herausforderungen der Zeit: „Tante-M“, geführt von der Inhaberin Sabine Schneider. Während viele Dorfläden in Deutschlands unter dem Druck großer Ketten und dem Onlinehandel schließen müssen, bleibt „Tante-M“ dank eines ungewöhnlichen Konzeptes bestehen.

Frau Schneider, wie kam es dazu, dass Sie den Dorfladen in Glems übernommen haben?

Ich engagiere mich viel in unserer Gemeinde. Mir ist es wichtig, dass unsere lokalen Angebote wie Vereine, Feuerwehr, Bäckerei und Geschäfte erhalten bleiben. In den letzten Jahren sind schon viele dieser Angebote in unserem Dorf, sowie in der gesamten Region ausgestorben. Als ich gehört habe, dass nun auch unser „Tante-M“ Laden schließen soll, habe ich mich erkundigt, was man machen könnte, um dies zu verhindern. Kurz darauf habe ich den Laden übernommen und führe ihn jetzt seit einigen Monaten. 

Was war Ihre Motivation, um diesen Schritt zu wagen?

Die Motivation den Laden zu übernehmen, war wahrscheinlich die, die man braucht, um in einem Dorf mit 1.000 Einwohnern einen Laden zu übernehmen. Der finanzielle Gewinn darf hierbei nicht im Mittelpunkt stehen. Man muss das Ganze als Hobby und Herausforderung betrachten. Allerhöchstens als Zuverdienst neben dem eigentlichen Beruf, aber meistens muss man hoffen, am Ende nicht mehr draufzahlen zu müssen, als dabei herauskommt. Meine Motivation war, das Dorf nicht aussterben oder ausbluten zu lassen. Als wir hierhergezogen sind, gab es einen Metzger, einen Bäcker, ein Postamt, eine Volksbank-Filiale, eine Grundschule, eine freiwillige Feuerwehr, fünf Gaststätten und zahlreiche Vereine. Man beobachtet dann im Laufe der Jahre, dass das alles ausstirbt.

Ihr Beweggrund ist also der Erhalt der Lebensqualität in Glems? 

Ja, das könnte man so sagen. Ich bin überzeugt, dass wir mit Engagement und Herzblut die Lebensqualität und das aktive Dorfleben noch ein paar Jahre erhalten können, um die Welt zumindest im Kleinen ein bisschen zu verbessern. Das ist uns auch schon zum Teil gelungen. Durch den Einsatz von uns Bürgern konnte uns beispielsweise die Grundschule und die freiwillige Feuerwehr erhalten bleiben.

Wie haben Sie sich auf die Übernahme des „Tante-M“-Ladens vorbereitet? Hatten Sie bereits Erfahrung im Einzelhandel oder mit Franchise-Unternehmen? 

Erfahrung hatte ich davor keine. Wirklich Zeit, mich vorzubereiten oder mir bestimmte Fähigkeiten anzueignen auch nicht. Dafür ging alles zu schnell. Ich betreibe gerade wirklich „learning by doing“. Ich mache das erst seit wenigen Monaten, die Lernkurve ist riesig und die Zeit, die man investieren muss, enorm. Ich habe als Betriebswirtin und in der IT-Branche gearbeitet. Das daraus Gelernte ist in Sachen Technik und Organisation ziemlich hilfreich. 

Franchise ist ein Wort, bei dem man an Unternehmen wie McDonald’s oder Subway denkt. Wie funktioniert das bei „Tante-M“? 

Richtig. Eigentlich ist es ähnlich wie bei den großen Unternehmen. Es gibt wenig Vorgaben von "Tante-M" zum Produktangebot, den Preisen und wie der Laden auszusehen hat. Klar, es gibt ein Marketingkonzept, das erkennt man an den einheitlichen Schildern. Alle „Tante-M“-Läden haben gemeinsame Kundenkarten und ein gemeinsames Marketing. Aber das Konzept lebt vom lokalen Sortiment. Durch den Freiraum ist man relativ selbstständig und nur ein kleiner Teil des Umsatzes wird an das Franchise „Tante-M“ abgegeben.

Sie können also selbst entscheiden, welche Produkte im Sortiment angeboten werden und Ihre Lieferant*innen selbst auswählen? 

Jeder Franchise-Nehmer kann seine eigenen Lieferanten haben. Ich kann einkaufen, wo ich möchte: bei lokalen Bauern im Dorf, Großhändlern, Eigenproduktionen oder externen Lieferanten. Das ist uns völlig freigestellt und das macht eigentlich auch die Attraktivität aus. Ich kann direkt mit den Produzenten aus der Region zusammenarbeiten und so ein einmaliges Sortiment anbieten. Deshalb gibt es auch bei fast keinem „Tante-M“ das gleiche Sortiment zu finden. 

Eine Frau steht an einer Selbstbedienungskasse in einem Supermarkt.
Sabine Schneiders „Tante-M“: Die Selbstbedienungskasse zum Einscannen der Produkte. | Quelle: Nils Misselwitz
Das Foto zeigt den Laden "Tante-M" in Glems von außen.
Ein zentraler Treffpunkt und Einkaufsort für die Dorfgemeinschaft in Glems. | Quelle: Nils Misselwitz
Das Foto zeigt den Laden in Glems von innen. Ein Raum ist gefüllt mit Regalen, die Lebensmittel und Produkte zum Verkauf anbieten.
Ein großer Teil des Sortiments sind Lebensmittel. | Quelle: Nils Misselwitz

Was macht das Konzept von „Tante-M“ besonders? Warum sollte man bei Ihnen kaufen und nicht bei den herkömmlichen Supermarktketten?

Wir bei „Tante-M“ haben die Möglichkeit, uns an die Region und Umgebung anzupassen. Ich habe vier Hauptzielgruppen. Alte Menschen, die zu Fuß unkompliziert Grundnahrungsmittel einkaufen möchten. Touristen und Besucher die lokale Produkte und Souvenirs kaufen wollen. Kinder, die es genießen, schnell im Laden vorbeizuschauen, um sich mit dem Taschengeld einen Wunsch zu erfüllen und Kunden die außerhalb der gesetzlichen Öffnungszeiten von Supermärkten noch etwas benötigen. Unser Laden ist natürlich deutlich kleiner und kompakter als ein großer Supermarkt, das heißt, man findet alles sofort und ist in ein paar Minuten fertig. Die Anonymität, gegeben da keine Mitarbeiter im Laden oder an der Kasse sind, sowie die besonderen Öffnungszeiten, auch sonntags und an Feiertagen, sind besonders attraktiv.

Ist die Leitung des Dorfladens als Nebenjob überhaupt möglich? Wie viel Zeit nimmt der Laden ein und welche Aufgaben sind am zeitintensivsten? 

Ich arbeite nebenher 80 Prozent. Aktuell ist es noch unheimlich zeitintensiv. Ich mache neben der Arbeit eigentlich nichts anderes mehr, als mich um den Laden zu kümmern. Ich hoffe, das ist nur jetzt in der Startphase so. Voraussichtlich kann ich in Zukunft auch eine Aushilfe einstellen, dafür muss ich die Abläufe jedoch erstmal selbst durchschauen. Am aufwendigsten ist das Handling der Ware vor Ort und die mehrmaligen wöchentlichen Lieferungen.

Gab es Veränderungen nach der Übernahme des früheren Besitzers? 

Ja, ich habe das Sortiment angepasst und da der frühere Besitzer nicht aus Glems kam, bin ich schneller vor Ort, sollte etwas vorfallen. Durch die Kameras kann ich immer wieder ein Auge auf den Laden werfen und bin in ein paar Minuten vor Ort. Das ist besonders praktisch, wenn einem Kunden zum Beispiel etwas herunterfällt oder sie mit der Selbstbedienungskasse nicht zurechtkommen. Dass Glemser gerne bei Glemsern einkaufen, ist zudem hilfreich. Eine Wunschliste für neue Produkte habe ich auch eingeführt und da ich die meisten Menschen aus Glems kenne, stehe ich automatisch mit der Gemeinde ständig in Kontakt.

Wirkt der „Tante-M“-Laden auch als sozialer Treffpunkt? 

Ich denke schon. Zu bestimmten Stoßzeiten treffen dort natürlich Menschen zusammen, die sich auch immer auf ein Schwätzchen unterhalten. Auch wenn ich selbst im Laden bin, spricht man natürlich mit den Leuten.

Sind Läden mit Selbstbedienungskassen und wenig Personal also die Zukunft?

Kann schon sein. Selbstbedienungsläden sprießen ja gerade bundesweit überall aus dem Boden. Es sind auch die großen Ketten wie Rewe, Edeka, usw., die teilweise Selbstbedienungskassen anbieten. Es gibt tolle Videoüberwachungen, es gibt KI, die helfen kann, Ware oder Menschen zu erkennen. Ich denke, als Trittbrettfahrer von dieser ganzen Entwicklung haben Dorfläden, die als ausgestorben galten, jetzt eine neue Chance. Unbemannte Läden können zudem die Ladenschutzgesetze umgehen und längere Öffnungszeiten anbieten, sowie sonntags geöffnet bleiben. Die Probleme mit der hohen Anzahl an Diebstählen, ein unpersönliches Kauferlebnis sowie Menschen, die sich mit den Kassensystemen schwer tun, bleiben jedoch bestehen.