“Es müssen nicht die perfekten Eltern sein. Die Frage ist vielmehr: Trauen wir ihnen zu, ein Kind mit einer besonderen Geschichte bei sich aufzunehmen?”
Papa, Papa, Kind
Als Patrick und sein Mann sich im Jahr 2010 das erste Mal darüber informieren, wie sie als homosexuelles Paar Eltern werden können, sind ihre Möglichkeiten begrenzt. Denn erst seit 2017 besteht in Deutschland die „Ehe für alle” – ein Meilenstein für gleichgeschlechtliche Paare, die seitdem ein gemeinsames Kind adoptieren können. Vorher war das nur einem Partner möglich.
Eine Freundin bringt das Paar letztendlich auf das Thema Pflegschaft. Daraufhin setzen sie sich ausführlich mit der Option eines Pflegekindes auseinander. „Meistens bleiben Pflegekinder doch sowieso nicht lange in ihrer Pflegefamilie” – das war nur eine von Patricks Ängsten. Der Besuch einer Informationsveranstaltung des Pflegekinderdienstes in Berlin Schöneberg bestärkt ihren Kinderwunsch und gibt ihnen Hoffnung, dass das ihr Weg zu einer Regenbogenfamilie sein könnte.
In den Medien wird der Begriff „Regenbogenfamilie“ oft für ein lesbisches oder schwules Paar mit Kindern verwendet. LSBTIQ-Vertreter*innen hingegen verstehen darunter Familien, in denen mindestens ein Elternteil trans- oder intergeschlechtlich ist, lesbisch, schwul, bisexuell oder queer lebt. (Quelle: Regenbogenportal)
Grundsätzlich läuft die Aufnahme eines Pflegekindes schneller und unkomplizierter als eine Adoption ab. Das hat verschiedene Gründe: Allein im Raum Stuttgart gab es im Jahr 2020 circa 60 potentielle Adoptiveltern, die bereits auf ein Kind warten. Demgegenüber wurden lediglich sieben Kinder zur Adoption freigegeben. Deutlich höher ist die Anzahl an Pflegekindern, die auf eine Unterbringung in einer Familie angewiesen sind. Die Adoption unterscheidet sich von der Pflegschaft lediglich hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Nachdem sich Patrick und sein Mann für die Aufnahme eines Pflegekindes entschieden hatten, startete im Februar 2015 ihr Bewerbungsprozess. Bis Ende des Jahres folgten einige Vorbereitungsseminare sowie Gespräche mit dem Pflegekinderdienst. Auf Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung stießen die beiden dabei nicht, denn diese nimmt keinen Einfluss auf das Auswahlverfahren. Wichtig ist, dass das Paar für das Wohlergehen des Kindes sorgen können muss.
Neben einer finanziellen Absicherung müssen die Adoptions- und Pflegebewerber*innen auch über ausreichend Wohnraum verfügen und ein kinderfreundliches Umfeld ermöglichen können. Außerdem braucht ein Kind für seine Entwicklung stabile und langfristige Familienbeziehungen. Lebensverkürzende Krankheiten können deshalb ein Ausschlusskriterium sein. Wenn alle solcher Schlüsselfaktoren erfüllt sind, startet das tiefergehende Verfahren innerhalb des Auswahlprozesses.
Bei Patrick waren es drei verpasste Anrufe auf seinem Display, die ihm sofort bewusst machten, dass er Vater wird – von seinem Mann, seiner besten Freundin und vom Pflegedienst. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Patrick, der als Flugbegleiter arbeitet, gerade auf einem Flug nach Amerika. Erst am Folgetag sieht er die Anrufe in Abwesenheit. „Ich habe den gesamten Rückflug über gegrinst, gleichzeitig liefern mir permanent die Tränen runter. Den Passagieren habe ich nur gesagt: ‘Ich bin Papa geworden’.” Im Juni 2016 kommt dann der drei Monate alte Sohn in die Familie.
Heute lebt noch ein zweites Pflegekind bei Patrick und seinem Mann. Wichtig ist Patrick nach wie vor der Austausch mit anderen Regenbogenfamilien. Denn hier sind die Rollenerwartungen oft anders. Früher ordnete das traditionelle Geschlechterrollenverständnis der Frau den Haushalt und die Kindererziehung zu, während der Mann in erster Linie für die finanzielle Versorgung der Familie zuständig war. Bei Homo-Paaren existierte diese klassische Aufteilung nie und muss daher oft gerechtfertigt werden. Auch für die Kinder ist ein Austausch wichtig, um zu verstehen, dass sie zwar in einer außergewöhnlichen Konstellation aufwachsen, aber damit nicht allein sind.
Einen sicheren Ort zum Austausch für Regenbogenfamilien zu schaffen ist auch das Ziel von BerTA – eine Beratungs-, Treffpunkt- und Anlaufstelle in Stuttgart.
“Regenbogenfamilien brauchen einen Raum für sich, ohne dass sie eine Minderheit in der Mehrheitsgesellschaft sind.”
Zu den Aufgaben der Mitarbeiter*innen von BerTA gehört auch die Schulung von Fachkräften für Schulen und Kitas. Bei der Aufklärung über den Prozess von Adoption und Pflegschaft gilt es vor allem, Ängste und Unsicherheiten zu nehmen. Diese stehen oft im Zusammenhang mit Alltags-Diskriminierungen. Die gesellschaftliche Offenheit gegenüber Regenbogenfamilien hat zwar in den letzten Jahren deutlich zugenommen, aber dennoch sind Anfeindungen in Alltagssituationen keine Seltenheit. „Die Diskriminierungserfahrungen, die man als Familie mit Kind erfährt, sind anders. Fremde Menschen nehmen sich das Recht, ohne Scham zu kritisieren, zu bewerten oder ungefragt ihre Meinung kund zu tun.” Das erlebt Patricks Familie fast täglich – ob auf dem Spielplatz, in der Kita oder einfach beim Spazieren gehen.
Und dennoch war die Entscheidung für eine Pflegschaft der richtige Weg, da ist er sich sicher. Ihr Wunsch nach einer eigenen Familie wurde erfüllt. Abseits der klassischen, klischee behafteten Definition „Mama, Papa, Kind” heißt es dafür so bunt und einzigartig wie ein Regenbogen: Papa, Papa, Kind.