LGBTQ

Das Schwuchtel-Dilemma

Homophobe Beleidigungen wie Schwuchtel finde ich einfach nur ätzend.
02. Aug. 2020

Von Tunte über Kampflesbe bis hin zur Schwuchtel – Junge Leute verwenden oft Wörter als Beleidigungen, die Homosexuelle abwerten. Dabei vergisst man oft, was diese Schimpfwörter ausdrücken. Aber was mache ich als Unterstützerin der LGBTQ-Community, wenn ein Freund solche Beleidigungen verwendet? Eine Zwickmühle.

Mitten in der Nacht auf einer Party stellt mich ein Kumpel vor ein moralisches Dilemma. Es ist Sommer. Ich tanze ausgelassen mit meinen Freunden zu der dröhnenden Musik aus den Lautsprechern. Schließlich passiert, was in einer Menge angetrunkener Partygänger passieren muss: Jemand wird angerempelt. „Hey, du Scheißschwuchtel, pass doch auf, wo du hinläufst!“, brüllt mein angerempelter Kumpel dem Rempler, einem aufgepumpten Zwei-Meter-Herkules, hinterher. Während der Herkules nicht mal mit der Wimper zuckt und einfach weiterrempelt, bin ich entsetzt. Wie kann mein Kumpel so etwas nur sagen?

Für ihn ist die Sache innerhalb von Sekunden vergessen und er tanzt weiter mit meinen Freunden. Aber ich stehe plötzlich vor einer riesigen Zwickmühle. Kann ich mit ihm befreundet bleiben, wenn er mit homophoben Beleidigungen wie Schwuchtel um sich wirft und damit allem widerspricht, wofür ich mich einsetze? Schließlich bin ich die Person im Freundeskreis, die sich ständig über die Diskriminierung der LGBTQ-Community aufregt und mit regenbogenfarbenen Klamotten und einem Glitzerstirnreif auf dem Kopf beim CSD für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben demonstriert. Deshalb sind mir normalerweise Menschen sofort unsympathisch, die „schwul“ oder „gay“ als Beleidigung benutzen. Das Problem ist nur: Ich mag meinen Kumpel. Er ist ein guter Freund, den ich eigentlich nicht verlieren will. Aber kann ich seinen Schwuchtel-Ruf mit meinen Einstellungen vereinbaren?

Eigentlich nicht. Denn in der „Schwuchtel“ stecken alle gesellschaftlichen Klischees gegenüber Homosexuellen, die ich einfach nur ätzend und absolut schwachsinnig finde. Wenn man den Begriff googelt, findet man nämlich heraus: Schwuchtel stammt vom Verb „schwuchteln“, was so viel heißt wie tänzeln oder die Hüfte schwingen. Gemeint ist also das genaue Gegenteil vom Zwei-Meter-Herkules: Der typische, übertrieben feminine Schwule, der immer eine pinke Federboa um den Hals trägt und kein „richtiger“ Mann ist – ein Bild, das noch in vielen Köpfen steckt und sich mit jedem Schwuchtel-Ruf weiter verfestigt. Und Schwuchtel als Beleidigung setzt nebenbei noch Homosexuelle herab.

So betrachtet, müsste ich die Freundschaft noch auf der Tanzfläche beenden. Aber ich kenne meinen Kumpel und weiß, dass er nicht homophob ist. Ihm ist – so wie vielen­ – wahrscheinlich gar nicht bewusst, was er mit seinem Schwuchtel-Ruf ausdrückt. Das eigentliche Problem ist, dass unsere Sprache vollkommen verschwuchtelt ist: Junge Leute benutzen am laufenden Band Beleidigungen, die Homosexuelle abwerten. Tunte, Kampflesbe oder eben Schwuchtel gehören heute zum Standard-Repertoire an Nettigkeiten, die sie sich an den Kopf knallen. Und das ohne über die Bedeutung nachzudenken. Macht es das besser? Nein. Aber ich weiß, dass mein Kumpel nicht aus Homo-Hass heraus den Herkules als Schwuchtel beschimpft hat. Und das ist für mich das Wichtigste.

Die Lösung meines Dilemmas ist dann doch einfacher als gedacht – einmal tief durchatmen, meinem tanzenden Kumpel von hinten auf die Schulter tippen und ihm dann über den dröhnenden Bass hinweg zubrüllen, warum ich seinen Schwuchtel-Ruf nicht cool fand. Seine Reaktion: „Du hast recht, ich lass das in Zukunft.“ Die Freundschaft ist gerettet. Und während ich ihn noch für seine korrekte Einstellung lobe, zieht er mich schon auf die Tanzfläche, um zusammen ein bisschen zu schwuchteln.

Einen weiteren Teil der Kolumne über LGBTQ-Themen findet ihr hier.