Ist „Made in Europe“ die Lösung?
„Nur ein Prozent des Kaufpreises für ein T-Shirt gehen an die Näherinnen.“ „Die Produktion einer einzigen Jeans verbraucht 7000-8000 Liter Wasser.“ Oder: „Eine Milliarde Kleidungsstücke in Deutschland sind nahezu ungenutzt.“ Diese Fakten schockieren und berühren, und lassen einen gewissermaßen hilflos zurück. Was kann man als Einzelner überhaupt dagegen tun? Wie soll man etwas ändern? Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit diesen Fragen:
Besonders nach Tragödien wie dem Einsturz von Rana Plaza, einem Gebäude mit fünf Bekleidungsfabriken in Bangladesch, entschieden sich viele Menschen dazu, ihr Konsumverhalten zu überdenken. In den meisten Fällen hieß das: einfach keine Kleidung mehr kaufen, die dort hergestellt wurde.
Aber ist es wirklich die Lösung, in Ländern wie Bangladesch oder Indien gefertigte Kleidung generell zu meiden? Und sollte man stattdessen lieber nur noch „made in Europe“ kaufen?
Schlechte Bedingungen in Osteuropa
Geregelte Arbeitszeiten, bessere Qualität, kürzere Lieferwege und ein fairer Lohn – produzieren in Europa kann nur gut sein.
Nicht ganz. Nur weil in einem T-Shirt „made in Europe“ steht, bedeutet das noch nicht, dass das Kleidungsstück fair und nachhaltig hergestellt wurde. „Innerhalb Europas gibt es da noch große Unterschiede“, sagt Anna Deckert von „Wir ernten was wir säen“, der Jugendinitiative der Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg. Vor allem in Osteuropa klafft eine große Lücke zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und dem existenzsichernden Lohn – dem Lohn, der mindestens erforderlich ist, um sich die Grundversorgung leisten zu können. Denn der Mindestlohn einiger osteuropäischer Länder liegt teilweise sogar unter dem von China oder Indonesien.
Fair geht auch in Asien ...
Auch in Asien ist es möglich, unter fairen Bedingungen zu produzieren. Das Stuttgarter Label eyd beispielsweise hat unter dem Motto „empower your dressmaker“ ein humanitäres Projekt in Indien auf die Beine gestellt. Das Start-Up bietet ehemaligen Zwangsprostituierten die Chance auf ein neues Leben: Sie erhalten eine Ausbildung zur Näherin, können nachmittags Schulunterricht nehmen und werden fair bezahlt. „Die Textilindustrie hat in diesen Ländern so viel kaputt gemacht“, sagt Nathalie Schaller, Geschäftsführerin des jungen Unternehmens. Es sei deshalb wichtig, an den Brennpunkten wieder etwas zu reparieren und den Arbeitern neue Hoffnung zu geben.
Auch das Unternehmen Greenality, das in seinen Stores in Stuttgart und Hannover faire Mode verkauft, hat anfangs selbst in Indien produziert. Dabei haben sie mit Fairtrade-Baumwolle gearbeitet und in einer GOTS-zertifizierten Fabrik gefertigt. „Auf solche Siegel lege ich als Unternehmer großen Wert“, sagt Markus Beck von Greenality, „Und auch für Konsumenten können sie eine gute Orientierung bieten.“ Als besonders wichtig stuft Markus Beck folgende Siegel ein:
... oder etwa doch nicht?
Nach nur zwei Jahren hat sich Greenality jedoch von der Produktion in Indien abgewendet. „Wir haben leider viel Ware bekommen, die von der Qualität her zu schlecht war, um sie in Deutschland zu verkaufen.“ Man müsse eigentlich immer Personal vor Ort haben, das kontrolliert, ob die Sachen rechtzeitig und qualitativ hochwertig produziert werden. Dies sei allerdings besonders für kleine Unternehmen schwierig. „Da produzierst du lieber in der EU, zahlst halt das Doppelte dafür, aber die Qualität stimmt dann einfach“, so Markus Beck.
Zudem weist er darauf hin, dass faire und nachhaltige Produktion in Asien immer noch die Ausnahme bildet. Im Großteil der Fabriken herrschen weiterhin menschenunwürdige Zustände: Fabriken sind baufällig, Näherinnen müssen 13 bis 15 Stunden täglich an sieben Tagen die Woche arbeiten. Häufig ist während der Arbeitszeit der Toilettengang reglementiert. Deshalb trinken sie oft zu wenig, was in tropisch heißen Ländern verheerende Auswirkungen haben kann.
Es gibt nicht die eine Lösung
Letztendlich muss man feststellen: Es gibt keine einfache Lösung. „Man kann sowohl in Europa als auch in Asien an Good Guys oder Bad Guys geraten“, fasst Nathalie Schaller von eyd das Dilemma zusammen, vor dem sowohl Unternehmer als auch Konsumenten stehen. Markus Beck sieht das ähnlich: „In Europa produzieren hat generell schon viele Vorteile. Aber das heißt nicht gleich, dass hier alles immer besser läuft als in Ländern wie Indien oder Bangladesch.“ Die Lieferkette sei innerhalb Europas um einiges nachhaltiger, die Qualität oft deutlich besser und auch die Kommunikation gestalte sich wesentlich einfacher. Anna Deckert von „Wir ernten was wir säen“ betont jedoch, dass sich in Asien in den letzten Jahrzehnten eine Textilindustrie etabliert habe, die vielen Menschen eine Arbeit bietet – auch wenn diese teilweise immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen stattfindet.
„Der Konsument hat hier einen sehr großen Anteil“, so Markus Beck. „Viele hören das natürlich nicht gern, aber letztendlich müssen die Leute den Herstellern Druck machen. Dann kann eine Lawine ins Rollen gebracht werden.“ Wie genau jeder Einzelne etwas dafür tun kann, erklärt Anna Deckert: