Meine Reise durchs Metaversum
Um mich herum sieht es futuristisch aus: Geschwungene Wände, modernste Einrichtung und eine große Glasfläche, durch die sich die Skyline New Yorks abzeichnet. Die Reise beginnt in meiner Homebase – der virtuellen Wohnung, die in einem Wolkenkratzer zu sein scheint. Ich trete ans Fenster. Es fühlt sich so realistisch an, dass mir beim Blick nach unten auf die Straße kurz schwummrig wird. Noch weiß ich nicht viel über das Metaversum und seinen Möglichkeiten. Doch das soll sich in den nächsten Tagen ändern.
Die Entwickler beschreiben es als ein virtuelles Universum, in dem wir Menschen idealerweise alles tun können, was wir im echten Leben auch machen. Wirklich alles? Um das herauszufinden, habe ich mich ins Metaversum eingeloggt und mit meinem digitalen Ich eine neue Welt kennengelernt. Ich werde versuchen, so viele unterschiedliche Situationen aus meinem Alltag im Metaversum zu erleben, um herauszufinden, wie es sich anfühlt, in einer virtuellen Realität zu leben.
Was ist das Metaversum?
Um es greifbarer zu machen, wollte ich zuerst verstehen, was das Metaversum ist und wie es funktioniert. Bisher ist die Idee einer zweiten Welt noch sehr abstrakt für mich. Bei meiner Recherche stoße ich vor allem auf Definitionen, die erklären, was es nicht ist. Es ist kein Computerspiel, das man anfängt und wieder beendet, es gibt keinen Highscore oder ein festgelegtes Ziel, es ist keine technische Spielerei für Randgruppen. Es soll uns allen jederzeit zur Verfügung stehen und das Leben auf einem anderen Kanal ermöglichen. Man trifft sich mit Freunden, isst virtuell einen Kuchen mit der Familie und erledigt die tägliche Fitness-Einheit im Metaversum. Auch Arztbesuche, Einkäufe und kulturelle Erlebnisse wie Konzerte oder Kinobesuche sollen möglich gemacht werden. Eine neue Art der Kommunikation ist im Entstehen.
Das alles wird durch eine sogenannte VR-Brille ermöglicht. Mehrere Hersteller haben unterschiedliche Modelle im Angebot, die populärste ist aktuell die Oculus Quest 2. Sie braucht keine zusätzliche Hardware und ist die direkte Eintrittskarte ins Metaversum. Der Entwickler: Facebook, oder Meta, wie die Firma jetzt heißt, hat Großes vor. Das Metaversum soll der Nachfolger des mobilen Internets werden. Damit hat es das Potenzial, unseren Alltag schneller zu verändern, als wir uns das im Moment vorstellen können.
Eine Verschmelzung zwischen virtueller und realer Welt ist aber keine Idee, die sich Mark Zuckerberg ausgedacht hat.
Zuerst tauchte der Begriff „Metaverse“ in einem 1991 veröffentlichen Scienfictionroman „Snow Crash“ von Neal Stephenson auf. Dort wird das Metaversum als eine Art globale virtuelle Realität beschrieben, in der Menschen als Avatare herumlaufen.
Im Laufe der Zeit wurden viele Bücher und Filme veröffentlicht, deren Handlungen in digitalen Parallelwelten spielen. Mark Zuckerberg hat ganz ähnliche Vorstellungen vom Metaversum, nur hat er kein literarisches, sondern in erster Linie ein kommerzielles Interesse daran. Auf die Nachteile, die damit einhergehen, werde ich später noch zu sprechen kommen.
Brille auf, Welt an
Für mich hört sich das bis jetzt noch sehr nach Science-Fiction an. Bevor ich aber weiter ins Zweifeln komme, starte ich in meinen virtuellen Tag. Also Brille auf und rein in die digitale Welt. Der Tag beginnt für mich am Schreibtisch. Den konnte ich mit meinen Controllern einscannen, sodass ich zwar an meinem realen Schreibtische sitze, jetzt aber nicht mehr in meinem kleinen WG-Zimmer, sondern in einem großen Meetingraum mit Whiteboard, verschiedenen Monitoren und viel virtuellem Tageslicht. Den Raum kann ich nach Belieben anpassen. Möchte ich lieber mit Blick aufs Meer und Wellenrauschen arbeiten, ist das nur einen Klick entfernt, auch ein zweiter oder dritter Bildschirm wären kein Problem. Ich kann also ganz normal an meinem Platz mit meinem Computer arbeiten, aber anstatt auf einen Bildschirm vor mir zu schauen, sehe ich Projektionen dessen und sitze in einer anderen Welt, wo die Grenzen des Möglichen weit entfernt von denen aus der realen Welt sind. Anfangs komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Es fühlt sich so an wie im Traum: real und doch weiß ich, dass es das nicht ist. Ich greife ins Leere als ich völlig unterbewusst den Bildschirm vor mir berühren möchte. Aktuell bin ich noch alleine in dem Raum. Das soll sich aber ändern. Ich habe mich mit Stephan de la Rosa verabredet. Er forscht zur virtuellen Realität am Max Planck Institut. Anstatt ihn über Zoom in einer Kachel auf meinem Bildschirm zu sehen, sitzt er – oder viel mehr sein Avatar – mir jetzt gegenüber. De la Rosa beschäftigt sich vor allem mit dem therapeutischen Einsatz der VR-Technologie. Dabei werden Angst-Situationen hervorgerufen, denen sich der Patient dann im Beisein seines Therapeuten stellt und so merkt, dass ihm nichts passiert, wenn er zum Beispiel eine Spinne sieht oder im Flugzeug sitzt. Bei unserem Gespräch merke ich, wie schnell ich mich daran gewöhne, mit einem Avatar zu reden. Ich habe De la Rosa noch nie im echten Leben gesehen, aber sein Avatar gibt mir das Gefühl auf einer viel persönlicheren Ebene mit ihm sprechen zu können, als das bei einer Videokonferenz der Fall sein würde. Warum fühlt sich etwas, was offensichtlich nicht echt ist, dennoch so an? De la Rosa sagt, dass etwas nicht real aussehen muss, um reale Gefühle zu wecken. "Wenn wir ein Buch lesen oder einen Film schauen nimmt uns das mit, obwohl wir keinen realen Eindruck davon bekommen. Die Psychologie füllt unglaublich viele Lücken auf. Wir müssen uns nur eine Idee vorstellen und dann komplimentieren wir uns den Rest dazu." Die VR-Brille nimmt unseren kompletten Seh- und Hörsinn ein. Das reicht, um die virtuelle Welt als echt wahrzunehmen. Im Unterschied zu bisherigen Medien nehmen wir die Informationen aber nicht mehr passiv auf sondern interagieren mit ihnen, was das Realtitätsgefühl noch zugänglicher macht. Unser Gespräch vergeht wie im Flug. Anders als bei Zoom fühlt es sich sehr lebendig an und schon fast, als würden wir gemeinsam in einem Zimmer sein. In gewisser Art sind wir das ja auch. De la Rosa verlässt den Raum und ich plane meine weitere Vorgehensweise. Dazu stehe ich auf, drehe mich um und stehe vor einem Whiteboard, was sich über die gesamte Breite meines WG-Zimmers erstreckt. Auch hier muss ich kurz schmunzeln, als ich mich beim Schrieben an der virtuellen Wand abstüzen möchte und kurzerhand auf meinem realen Bett lande, was mir glücklicherweise einen weichen Sturz ermöglicht. Das sind die Momente, die mich für einen Augenblick daran erinnern lassen, dass das was ich im Metaversum erlebe nicht real ist. Das und das drücken der Brille, die nach 4 Stunden echt unangenehm wird und mir eine Auszeit von den neuen Eindrücken ankündigt.
Ein neuer Markt
Man kann sich schon heute digitale Güter im Metaversum kaufen – egal ob Grundstücke, Gemälde oder Kleidung. Mit dem Metaversum wurde ein neuer Markt erschaffen, der in den letzten Monaten Millionenumsätze generiert hat. Ich möchte einen Eindruck davon bekommen und besuche eine virtuelle Galerie. Hier stellen die Nutzer ihre NFTs, also virtuellen Kunstwerke aus. Und auch hier überrascht mich das Realitätsgefühl, das mich überkommt, als ich mich mit meinem Avatar durch die Ausstellung bewege. Die Bilder sind nett anzuschauen, aber so ganz leuchtet es mir noch nicht ein, warum Menschen so viel Geld für Güter ausgeben, die sie nicht einmal nutzen können. 4,3 Millionen US-Dollar hat die Firma Republic Realm für eine Landfläche in der virtuellen Welt gezahlt. Für mich ist das bisher überhaupt nicht nachvollziehbar. Deshalb treffe ich mich mit einem der Künstler. Er erzählt mir viel über die Blockchain, den Handel mit digitalen Gütern und auch Grundstücken. Anders als ich vermute, sind diese alle einzigartig und bekommen somit eine Art Sammler-Wert. Es ist eine Investition, zu vergleichen mit dem Anteil an einer Aktie. Allerdings ist es durch die Neuheit der Technik eine sehr ungewisse und spekulative Geldanlage.
Technische Probleme
Mein nächster Morgen startet mit einer Meditation – hier kann ich nicht mehr von einer realen Erfahrung sprechen. Ich tauche ein in eine Welt voller sich bewegender Muster und Farben, fast so wie als säße ich in einem Kaleidoskop. Ich schaue mich um: Überall tauchen Formen und Farben wie aus dem nichts aus. Man könnte fast meinen hier soll ein Drogenrausch simuliert werden. Lange halte ich das nicht aus. Mir wird schlecht und schwindelig, ich muss die Brille ablegen und brauche einen Moment, um mich in meinem Zimmer wieder zurechtzufinden. Dieses Gefühl nennt man Motion Sickness. Mit der Lösung dieses Problems sind die Entwickler der einzelnen VR-Anwendungen schon lange beschäftigt. Es sind auch schon erste Erfolge bekannt, allerdings ist auch hier die Technik noch in ihren Anfängen.
Motion Sickness entsteht, wenn das Auge etwas anderes aufnimmt als der Gleichgewichtssinn im Ohr. Durch diese uneindeutige Wahrnehmung denkt unser Körper er sei vergiftet und reagiert zum Beispiel mit Übelkeit und später Erbrechen darauf.
Jede Medaille hat zwei Seiten
Noch ist das Metaversum nur in seinen Grundzügen betretbar. Die eigentliche Welt, von der Mark Zuckerberg bei der Vorstellung im Herbst letzten Jahres sprach, wird erst in den nächsten Wochen online kommen. Bis dahin ist das Metaversum eher ein Sammelsurium verschiedenster Anwendungen, die allesamt noch nicht fertig gedacht sind, aber bereits jetzt vermuten lassen, welche Chancen uns diese neue Welt eröffnen könnte.
Doch wie immer hat alles Positive auch negative Aspekte. Ich glaube, unsere Gesellschaft ist nicht bereit für eine so perfekt scheinende Welt. Wenn wir nicht aufpassen, landen wir in einer Dystopie. Das Metaverse gehört Facebook – einer Firma, die sich nicht gerade von ihrer besten Seite zeigt, was den Datenschutz und die Privatsphäre ihrer Nutzer angeht. Das Metaversum hat das Potenzial, die wohl sensibelste und massivste Datenbank von Nutzerdaten zu kreieren, die es auf der Welt gibt. Ein anderer Aspekt sind die psychischen Auswirkungen. Als ich die VR-Brille nach vier Stunden abgenommen habe, erschien die echte Welt vergleichsweise trist und langweilig. Gerade plauderte ich noch mit den unterschiedlichsten Menschen aus aller Welt und auf einmal stehe ich alleine in meinem Zimmer. Genau das ist, was sich viele von uns wünschen: der kaputten Welt entgehen und ein bisschen Urlaub machen. Wenn dann sogar unsere Arbeit und unsere Freunde in dieser Welt zu finden sind – was für einen Grund haben wir dann noch, uns mit der Realität auseinanderzusetzen? Das Suchtpotential, was davon ausgehen kann, ist meiner Meinung nach nicht zu unterschätzen. Auf der anderen Seite ermöglicht die VR-Technologie bereits jetzt neue Möglichkeiten in der Therapie sowie beim digitalen Arbeiten. Auf diese Vorteile sollten wir uns konzentireren, um in Zukunft alle davon zu profitieren.