Auf ins Unbekannte
Ich bin jetzt 20 und habe bisher in drei Städten gelebt: Heidelberg, Dossenheim und Stuttgart. Wobei Dossenheim ein Ort und eher eine „Schlafstadt“ von Heidelberg ist, wie mein Vater gerne anmerkt (sagt das bloß keinen Ur-Dossenheimer*innen).
Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich mit sechs Jahren auf gar keinen Fall aus unserer Wohnung ausziehen wollte, weg von meinen Freund*innen aus dem Kindergarten, weg von dem Café mit meinem Lieblingseis und dem Park, in dem ich nach dem Geigenunterricht immer mit meiner Mutter gespielt habe. Als sie mich fragte, „Alice, wie würdest du es finden, wenn wir umziehen?”, schrillten bei meinem kleinen Ich die Alarmglocken.
Ich hatte Angst, alles, was ich bisher kannte, zurückzulassen und nie wieder zu sehen. Als wäre Dossenheim ein anderer Planet und Heidelberg Lichtjahre anstatt nur wenige Kilometer entfernt. Rückblickend ganz schön dramatisch.
Mein gewohntes Umfeld zu verlassen, hat mir noch nie gefallen. Ich weiß, ich weiß, man muss auch mal raus aus der Komfortzone, leichter wird es trotzdem nicht. Klein-Alice fand das neue „Zuhause” am Anfang gar nicht toll.
Dreizehn Jahre nach ihrem ersten Umzug ist die große Alice trotz Vorfreude auf ihr Studium mit einem dicken Kloß im Hals nach Stuttgart gekommen – zwischen Klamotten und Co. Angst vor dem nächsten Lebensabschnitt im Karton. Warum will dieses beklemmende Gefühl jedes Mal einfach nicht locker lassen?
Danke für nichts, Biologie
Evolutionär bedingt ist Angst etwas Gutes, weil sie uns vor Gefahr warnt. Wir haben also Angst vor Dingen, weil wir verletzlich sind. Blöd nur, wenn sie uns im Weg steht. Eben weil wir verletzlich sind, haben wir Angst. Danke dafür.
Ich bin wohl nicht die einzige, die sich alle möglichen Worst-Case-Szenarien ausmalt, wenn wieder eine Veränderung ansteht.
Umzug nach Dossenheim: Die kleine Alice könnte in der Schule keinen Anschluss finden und ganz allein am Tisch sitzen, während die Kindergarten-BFF sie schon längst ersetzt hat. Umzug nach Stuttgart: Die große Alice könnte keinen Anschluss finden und ganz allein in der Mensa essen. Oder noch schlimmer, im Stuttgarter ÖPNV-Dschungel in den falschen Bus steigen, am besten noch mit einstelligem Handy-Akkustand. Veränderungen überfordern manche Menschen mehr, andere weniger.
Je älter wir werden, desto unangenehmer fühlen sie sich an. In der Pubertät können wir in der Regel nicht genug Neues erleben, unser Gehirn organisiert sich um. Ab den Zwanzigern nimmt unsere Risikobereitschaft langsam ab.
Ganz schön ironisch, wenn man bedenkt, dass eine Veränderung uns anfälliger für die Angst vor Veränderungen macht.
Nicht so pessimistisch, bitte!
Die Kontrolle gibt wohl niemand gerne ab. Nicht zu wissen, was eine neue Situation mit sich bringt, ist oft beängstigend, aber Veränderungen sind deswegen nicht automatisch schlecht. Ja, die Komfortzone zu verlassen lohnt sich tatsächlich. Klingt wie ein Kalenderspruch, ist aber wahr.
Die kleine Alice hat damals Freunde gefunden und die große Alice auch. Letztere ist nur einmal in den falschen Bus gestiegen, weil sie nach einem langen Vorlesungstag ohne Kaffee ziemlich müde war, aber das ist eine andere Geschichte.
Eine weitere Folge meiner Kolumne „Die einzige Konstante” findet ihr hier.