Älterwerden

Gerade mal 20

Wer ich in meinen Zwanzigern sein will, entscheide ich schlussendlich selbst.
14. Febr. 2023
Meine Zwanziger sind aufregend. Und sie machen mir Angst. Zwischen der Sorge etwas zu verpassen und der Suche nach mir selbst, versuche ich Antworten auf die großen Fragen zu finden. Eine Kolumne über das Älterwerden.

Ich schaue auf den Sperrbildschirm meines Handys und sehe die herunterzählenden Tage bis zu meinem 21. Geburtstag. Ab dem heutigen Tag sind es noch 123 Tage. Wenn ihr das hier lest, sind es noch weniger. Ich mag es diesen besonderen Tag mit meiner Familie und meinen Freund*innen zu verbringen, wirklich. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass sich bei mir der Sinn des Älterwerdens in den letzten zwei Jahren gewandelt hat. Wenn ich den Menschen in meinem Umfeld erzähle, dass ich Angst vor dem Älterwerden habe, schauen mich die meisten mit einem Stirnrunzeln und ungläubigen Augen an. Sie denken vielleicht, es hätte einen eitlen Grund. Dass ich Angst vor der nächsten Falte habe, die sich auf meiner Stirn ausbreiten könnte oder dass ich in ein paar Jahren für jedes Wehwehchen zu meinem Hausarzt des Vertrauens renne. Aber nein, darum geht es überhaupt nicht. Ich empfinde Unbehagen, weil die Zwanziger nicht nur eine Zeit der Selbstbestimmtheit, sondern auch eine der Unbestimmtheit sind. Ich könnte ja schließlich alles sein! Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde diesen Gedanken genauso befreiend, wie beängstigend.

Der Sprint meines Lebens

Während ich mich im dritten Semester meines Bachelorstudiums befinde und immer noch keine Beziehung hatte, heiratet mein Schulfreund nächstes Jahr die Liebe seines Lebens. Meine ehemalige Kindergartenfreundin hat jetzt selbst ein Kind. Als ich 20 wurde, bekam ich das Gefühl einen neuen Vertrag mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Jetzt begann die Reise auf der Timeline der Zwanziger. Ich stehe am Anfang dieser Timeline wie an einer Startlinie, als müsste ich gleich den Sprint meines Lebens absolvieren. Meine Hände sind zu Fäusten geballt, mein Herz fängt an schneller zu schlagen und wenn ich versuche loszurennen, stolpere ich über die Steine meiner eigenen Unsicherheit. Habe ich schon etwas verpasst? Wer möchte ich eigentlich sein? Was macht mich aus? Welche Menschen möchte ich in meinem Leben haben? Bin ich überhaupt schon bereit, mich mit diesen Fragen zu konfrontieren?

Wenn meine Oma mal wieder über die „junge Generation“ redet und wie sie als Jugendliche eine klare Vorstellung von ihrem Leben hatte, kann ich mir ein demonstratives Augenrollen nicht verkneifen. Unsere Großeltern scheinen nicht zu verstehen, dass unsere Generation durch einen überbordenden Perfektionismus geprägt ist. Der Satz: „Du kannst alles sein“ ist mehr eine Pflicht als eine Empfehlung. Wir müssen schließlich nicht mehr nur darüber nachdenken, welche beruflichen Erfolge wir mit triumphierendem Lächeln unserem Lebenslauf ergänzen werden und welche Farbe unser erstes Auto haben soll, sondern auch darüber, welche Welt unsere Großeltern uns überhaupt hinterlassen. Wie lebenswert ist das Leben in 50 Jahren? Sehe ich meine Kinder hier aufwachsen? Ist die Farbe meines ersten Autos nicht eigentlich voll egal?

Alles zu seiner Zeit

Ich glaube, worum es bei diesen Zukunftsängsten geht, ist auch eine gewisse Sorge vor Kontrollverlust. Ich muss auf alles vorbereitet sein, um alles zu meistern. Vielen Dank dafür, Perfektionismus. Aber vielleicht geht es genau darum: Nicht vorbereitet zu sein und mal volle Kanne zu scheitern. Wissen, dass man manchmal eben auch noch nicht wissen kann. Ich bin schließlich doch erst 20.

Ich muss meinem Alter in Zukunft mal öfter die Hand reichen, mir selbst auf die Schulter klopfen und mich daran erinnern, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich muss Frieden mit dem Countdown auf meinem Sperrbildschirm schließen, der munter weiter die Tage runterzählt und mir leise zuflüstert: „Älter wirst du sowieso“.

Eine weitere Folge meiner Kolumne „Zwanzig und ein Mal gefragt“ findet ihr hier.