„Man muss den Diskurs auch innerhalb der Altersklasse so weit führen, dass er repräsentativ ist.“
Mitte 20 und weit überstimmt
Zwei Jahre ist es her, dass die Koalitionsparteien DIE GRÜNEN und CDU den Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg unterzeichnet haben. JETZT FÜR MORGEN steht in großen Lettern auf der ersten Seite des Koalitionsvertrags. Im Hintergrund das Bild eines nebeligen Waldes, der von einzelnen Lichtstrahlen durchdrungen wird.
Die grün-schwarze Regierung hat es sich im gemeinsam erarbeiteten Papier zur Aufgabe gemacht, dieses Licht im Dunst von Coronakrise, mangelnder Digitalisierung und schwer vorankommender Klimapolitik zu sein. Dafür steht ein Dreiklang, der auf den Punkt bringt, was in dieser Zeit besonders wichtig sein soll: konsequenter Klimaschutz, eine neue wirtschaftliche Stärke und echter Zusammenhalt.
Eine Auswertung der Redebeiträge im Landtag zeigt, welchen Stellenwert die Landesregierung den drei Punkten jeweils beimisst. Deutlich wird: Umweltthemen machen den kleinsten Teil der Reden aus. Dabei will das Land im Süden Deutschlands „Klimaschutzland Nummer 1“ werden.
Die Themen in der baden-württembergischen Politik spiegeln die Stimmung der Bevölkerung: Bis zum Ausbruch der Pandemie stieg laut Politbarometer zwar das Interesse für Klima-Themen in der deutschen Bevölkerung. Währenddessen empfanden die meisten Menschen dann die Coronakrise als wichtigstes Problem. Seit Anfang 2022 gilt das Klima wieder als eines der drängendsten Problem – jedoch nicht im Landtag.
Dort beschäftigt man sich infolge des Überfalls auf die Ukraine – den die Koalitionspartner in ihrem Vertrag nicht berücksichtigen konnten – mit der Energiekrise und der Inflation. Themen, die auch die Menschen in Baden-Württemberg belastet haben. So gaben es 70 Prozent der Bevölkerung in einer Umfrage des Allensbach-Instituts 2022 an.
Doch das ist nur die Meinung der gesamten Bevölkerung. Anhaltende Proteste von Klimaklebern, Studien und Umfragen beleuchten, dass für den jungen Teil Deutschlands der Klimaschutz ein dauerhaft präsentes Problem ist. Auch laut Alena Trauschel (FDP) – mit 24 Jahren die jüngste Abgeordnete des Landtags – darf der Umweltschutz im Lichte neuer Krisen nicht an Bedeutung verlieren: „Wir können nicht immer warten, bis eine Krise so akut ist, dass man sie angehen muss. Wir müssen langfristiger denken.“
Junge Abgeordnete nur 44 Mal am Mikrofon
Mit Felix Herkens und Erwin Köhler ist Trauschel die Einzige, die der sogenannten Generation Z im Landtag angehört. Zu dieser Generation rechnet man alle Personen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind. Bei keiner anderen Altersgruppe stieg die Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl so stark an. Gleichzeitig fühlt sich nach einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap keine andere Altersgruppe von der Politik so wenig gehört.
Und auch im baden-württembergischen Parlament können sich die Jüngsten nur selten Gehör verschaffen. Von über 2.500 Redebeiträgen entfallen gerade einmal 1,7 Prozent an die drei Gen Z-Abgeordneten. Dabei macht ihre Altersgruppe in Baden-Württemberg etwa 13 Prozent der Bevölkerung aus. Auch international stellen junge Menschen nur zehn Prozent der Parlamentsmitglieder.
Klar, auch Ältere können die Themen vertreten, die junge Menschen bewegen. Immerhin wohnen auch Leute unter 30 in den Wahlkreisen der Politikschaffenden. Dabei zeigt die Forschung, dass junge Menschen vor allem wegen persönlicher Merkmale wie des Alters glaubwürdiger über das Klima sprechen können. Eine Untersuchung der Bundestags-Reden der Universität Mannheim zeigt außerdem, dass jüngere Abgeordnete häufiger in Debatten zum Klimaschutz sprechen. Woran das liegt, konnten die Forscher nicht abschließend klären. Es könne sowohl am Interesse der jüngeren Abgeordneten liegen als auch an der Parteiführung, die Jüngere aus Gründen der Glaubwürdigkeit vorschickt, so einer der Autoren, Marc Debus.
Erwin Köhler (27, Grüne) meint ebenso, dass alle Betroffenen für sich selbst sprechen müssen. Deshalb würden mehr junge Menschen für junge Themen in der Politik gebraucht. Es geht jedoch nicht nur um reine Repräsentation, sondern auch um Repräsentativität. Menschen zwischen 13 und 28 haben viele Interessen. „3 von 154 Abgeordneten reichen nicht, um diese Themen abzudecken. Man muss den Diskurs auch innerhalb der Altersklasse so weit führen, dass er repräsentativ ist“, sagt Köhler.
Zu wenig Fokus auf die Jüngeren
Die Vielschichtigkeit der jungen Bevölkerung zeigt sich auch in der aktuellsten „Zukunft? Jugend fragen!“-Studie des Bundesumweltministeriums. Die drei wichtigsten Themen für Leute zwischen 14 und 22 seien demnach soziale Gerechtigkeit, der Zustand des Bildungswesens und der Umwelt- und Klimaschutz. Themen, die von vielen Seiten beleuchtet werden müssen und zu denen es viele verschiedene Ansichten gibt – auch innerhalb der jüngeren Bevölkerung.
Zum Teil werden diese Punkte bereits von den jungen Abgeordneten im Landtag vertreten. Erwin Köhler setzt sich als Jugendsprecher seiner Partei für die intensivere politische Beteiligung von Jugendlichen und kulturelle Bildung ein. Währenddessen ist Alena Trauschel im Bereich der beruflichen Bildung aktiv oder versucht durch die Europapolitik des Landes unter anderem Klimathemen voranzubringen.
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Genug ist das trotzdem noch nicht: „Wenn ich mich an meine Reden erinnere, weiß ich nicht, ob ich diese jungen Themen mehr hätte unterbringen können. Aber es wäre wahrscheinlich öfter gegangen, als ich geglaubt habe“, meint beispielsweise Köhler. Über Umweltschutz explizit hat er beispielsweise nie gesprochen. Wäre der Anteil junger Abgeordneter größer, könnten womöglich alle Themen abgedeckt werden, die für Leute unter 30 durchgehend so relevant sind.
Denn egal, ob junge Leute wegen ihrer Parteispitzen öfter über junge Themen – und gerade über Umweltschutz – reden oder aufgrund ihres eigenen Interesses. Tatsache ist: Sie bringen die Punkte ein. Andere aktuelle Krisen, wie der Arbeitskräftemangel oder die großen Bildungslücken, zeigen: Der Fokus auf den Nachwuchs wurde schon viel zu lange vernachlässigt.
Und vielleicht haben junge Lichter eine andere Energie und Glaubwürdigkeit, um sich für die im Nebel liegenden Themen des Koalitionsvertrags einzusetzen, die sie unmittelbar betreffen und bewegen.
Methodik der Datenerhebung
Untersucht wurden die Protokolle der Landtagsreden in Baden-Württemberg vom 11. Mai 2021 bis zum 11. Mai 2023. Erhoben wurden Name, Geschlecht, Geburtsjahr, Partei und Funktion der redenden Abgeordneten. Außerdem wurden für die Redebeiträge der Regierungsparteien Oberthemen und Unterthemen festgelegt. Da ein Abgleich mit den Zielen des Koalitionsvertrags stattfinden sollte, wurden die Themen dem Dreiklang aus „konsequentem Klimaschutz“, „wirtschaftlicher Stärke“ und „echtem Zusammenhalt“ zugeordnet. Die Datenerhebung umfasst lediglich Hauptthemen. Es konnten nicht alle Inhalte eines Redebeitrags berücksichtigt werden.