"Heimat bedeutet für mich Liebe."
Der Ländersammler
Was waren gefährliche Situationen bei deinen Reisen?
In Somalia wurde ich geschlagen, verprügelt und als „haram“ bezeichnet, was bedeutet, dass man gegen das islamische Gesetz verstößt. Ich hatte eine kurze Hose an, Ohrringe getragen und man konnte meine Tätowierungen sehen – das widerspricht der Kultur und als mir das erklärt wurde, habe ich mein Aussehen und Verhalten daran angepasst. In Afghanistan bin ich im Taxi mit einem Einheimischen durch Taliban-Gebiete gefahren. Um weniger aufzufallen, kleidete ich mich wie er, doch zum Glück wurden wir nicht gestoppt.
Wie hat deine Reisebegeisterung angefangen?
Das fing schon in meiner Kindheit an. Indem wir viele Austauschschüler beherbergten, holten wir uns quasi die Welt in unser Wohnzimmer. Außerdem machten wir jährlichen „Häusertausch“ mit Familien aus anderen Ländern. Seitdem spüre ich den Drang, mehr von der Welt zu entdecken. Der Wunsch zu reisen, kam nicht über Nacht, sondern allmählich.
Wann hast du zum ersten Mal daran gedacht, jedes Land der Welt zu bereisen?
Das war im Juni 2013. Ich war auf dem Weg von Saudi-Arabien nach Südafrika und realisierte, dass ich es gerade geschafft hatte, das schwerste Visum der Welt zu erhalten. Deshalb dachte ich mir, dass es jetzt möglich sein muss, auch alle anderen Visen zu bekommen – das war dann der ausschlaggebende Moment, indem ich mich entschied, alle Länder der Welt zu bereisen.
Wenn du reist, übernachtest du meistens im Zelt oder bei Einheimischen auf dem Sofa. Kam es schon einmal vor, dass du Leuten, bei denen du übernachtet hast, nicht vertraut hast?
Nein, das kam noch nie vor. Ich hatte noch nie negative Erfahrungen mit Einheimischen. Menschen denken oft in Kategorien wie: „Das sind wir und das sind die Anderen“, doch wenn man bei ihnen übernachtet, ist man definitiv Teil des „Wir“. Das ganze Prinzip des Couchsurfens basiert auf gegenseitigem Vertrauen.
Was waren bisher die härtesten Herausforderungen bei diesem Lebensstil?
Es gab immer wieder gesundheitliche Herausforderungen durch Malaria oder Dengue Fieber und es ist natürlich hart, seine Familie und Freunde nicht immer sehen zu können, wenn man das Verlangen dazu hat. Hart war es auch, als ich unschuldig im Gefängnis saß oder grundlos keine Visen bekam.
In welchem Land warst du unschuldig im Gefängnis?
Zum ersten Mal ist mir das in Burkina Faso passiert. Ich war an der ghanesischen Botschaft, um ein Visum zu bekommen und hatte meinen Reisepass nicht dabei. Dementsprechend konnte ich ihn nicht vorweisen, weshalb sie mich ins Gefängnis steckten. Dort wurde ich dann fünf Tage lang vergessen.
Was waren deine Gedanken und Ängste im Gefängnis?
Ich war frustriert, da ich niemanden anrufen durfte und dadurch niemand wusste, dass ich im Gefängnis war. Das Warten darauf, endlich jemanden kontaktieren zu können, fiel mir schwer.
Würdest du trotzdem wieder in Länder reisen, in denen dir Schlechtes widerfahren ist?
Ja. Ich mache niemanden für meine Handlungen verantwortlich. Negative Erfahrungen sind für mich nicht zwangsläufig negativ. Ich denke, das sind lediglich Lektionen.
Die Zugfahrt in Mauretanien ist zum Beispiel meine Lieblingsreiseerfahrung, gerade weil sie so herausfordernd ist. Es ist sehr kalt, es gibt kein Essen und man ist von schwarzem Staub bedeckt, da man in Containern auf Eisenerz sitzt. Aber es ist bereichernd, wenn man solche Herausforderungen gemeistert hat.
Sind Herausforderungen also ein wichtiger Bestandteil deines Lebens?
Ja. Ich war auch irgendwie traurig, als ich dann im März 2019 jedes Land der Welt bereist hatte. Ich habe die Herausforderung, jedes Land zu bereisen so genossen und plötzlich fiel das weg, denn ich war ja schon überall.
Was ist der Anreiz für deine Reisen?
Der hat sich schrittweise verändert. Zuerst wollte ich einfach neue Dinge sehen. Mittlerweile möchte ich Dinge auf eine neue Art und Weise sehen. Es geht mir darum, neue Menschen kennenzulernen und mit ihnen über ihre Weltsicht zu sprechen. Dadurch möchte ich mehr Verständnis entwickeln und andere Perspektiven kennenlernen.
Hattest du schon mal das Gefühl, dass du mit dem Reisen vor Verantwortung, wie einem festen Job, flüchtest?
Ich habe das nur hinterfragt, als es mir nicht gut ging. Wenn man vor Verantwortung, wie einem festen Job, davonrennt, ist das etwas, was man sich aussucht, weil man die Möglichkeit dazu hat. Man sollte mehr darauf hören, was für einen selbst das Richtige ist, denn nicht jeder ist für einen 9-to-5-Job gemacht.
Denkst du dein Lebensstil ist egoistisch?
Es ist schon ein bisschen egoistisch. Doch die Beziehung zu meinen Eltern wird dadurch bestimmt, dass wir miteinander reden, wenn etwas nicht stimmt.
Hattest du bereits Probleme mit Freunden oder Familienmitgliedern, die deinen Lebensstil nicht verstehen?
Ja, einige Freunde verstehen das nicht. Ich bin 30 Jahre alt und die meisten Leute in dem Alter haben mittlerweile Kinder und sind verheiratet. Aber das ist mir egal, denn auch wenn ich meist allein reise, treffe ich immer wieder Menschen, die auf meiner Wellenlänge sind. Nach ein paar Tagen fühle ich mich ihnen verbundener als ehemaligen Freunden.
Wenn du immer wieder woanders wohnst, hast du noch so etwas wie Heimatgefühle?
Heimat bedeutet für mich Liebe und das bekomme ich hier in Norwegen bei meiner Familie. Wenn meine Eltern sterben würden, bräuchte ich andere Menschen um mich, die mir dieses Gefühl vermitteln könnten. Aber im Moment ist meine Familie sowas wie meine feste Freundin. Sie geben mir die Unterstützung, die ich brauche und das genügt mir.