“Mein Vermieter schrieb mir zwei Wochen bevor die Miete überhaupt fällig war Textnachrichten, um mich an die bald anstehende Zahlung zu erinnern.”
Neue Perspektiven für freie Fotografen?
Eine menschenleere Rambla, kurze Schlangen vor der Sagrada Familia – ein untypisches Bild, das sich gerade in der Tourismusstadt Barcelona zeigt. Noch vor einem Jahr waren Menschenmassen in Flip-Flops mit Rollkoffern der gewohnte Anblick für die Einheimischen. Heute, ein Jahr später, scheint die Stadt im Vergleich dazu beinahe stillzustehen. Bis vor kurzem lebte auch der freie Fotograf Juan Carlos noch hier. “Mit meinem Loft im Herzen der Stadt habe ich mir vor vielen Jahren einen Lebenstraum erfüllt”, erzählt Juan Carlos stolz, während ihm die langen Dreadlocks ins Gesicht fallen.
Vor einem Monat hat Juan Carlos jedoch seine Koffer gepackt und sich auf den Weg ins kalte Berlin, seine neue Heimat, gemacht. In Deutschlands Hauptstadt hat er einige Kontakte, bei denen er unterkommen kann. “Meine Freunde geben mir sehr viel Kraft in dieser Zeit und ermuntern mich weiterzumachen. Für ihre Unterstützung bin ich gerade jetzt sehr dankbar”, sagt der gebürtige Kubaner. Vor allem die fehlende staatliche Unterstützung während der Corona-Pandemie und der psychische Druck, die Miete für sein Studio irgendwann nicht mehr zahlen zu können, hat ihn zum Entschluss geführt, Spanien zu verlassen. In Deutschland erhofft er sich sowohl mehr Aufträge als auch eine bessere Unterstützung der Regierung in Ausnahmesituationen wie dieser.
Seine Situation sei ohnehin schon vor Corona schwierig gewesen, erzählt Juan Carlos. Viele seiner internationalen Kund*innen wollten aufgrund der Aufstände der Katalanen nicht mehr nach Barcelona reisen. Mitte März traf Corona auch Spanien besonders heftig. Die Konsequenz aus stetig steigenden Infektionszahlen war ein “harter Lockdown”, der seinem Namen alle Ehre machte. Knapp sieben Wochen lang durften die Spanier*innen nur für dringende Angelegenheiten das Haus verlassen. “Durch die Beschränkungen blieben dann auch noch inländische Kunden*innen aus, sodass ich praktisch keine Aufträge mehr hatte”, erzählt Juan Carlos bedrückt. Eine beängstigende Situation, die ihn viele schlaflose Nächte kostete: “Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich lebte quasi von meinen Ersparnissen und es war nicht in Sicht, wann sich die Auftragslage wieder verbessern könnte.”
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Robin Mümmler, ein freiberuflicher Fotograf aus Ludwigsburg, beschreibt die Corona-Zeit dagegen zunächst anders. Bis im März 2020 verdiente Robin sein Geld vor allem als Fotograf bei Veranstaltungen. Dann kam auch in Deutschland der erste Lockdown – und fast alle Veranstaltungen wurden abgesagt. Der 22-Jährige hielt sich anfangs mit kleineren Aufträgen über Wasser, die er vor allem von einer Agentur vermittelt bekam.
“Für den Kontakt zu einer Agentur in der ich selbst Praktikant war, bin ich besonders in dieser Zeit sehr dankbar.”
Nach dem Abitur machte Robin sein Hobby zum Beruf. Erste Berufserfahrung sammelte er in einer Agentur, bevor er 2018 den Weg in die Selbstständigkeit wagte. “Ich liebe es, mein eigener Chef zu sein und meine eigenen Ziele aufzustellen. In der Corona-Zeit habe ich aber gemerkt, dass ich als Solo-Selbstständiger quasi auf mich alleine gestellt bin”, sagt er. Über die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung von der Regierung beantragen zu können, sei er daher besonders dankbar.
In Deutschland können selbstständige Unternehmer*innen oder Freiberufler*innen während der Corona-Krise finanzielle Unterstützung von der Regierung beantragen. Selbstständige mit null bis fünf Angestellten, können in Baden-Württemberg Unterstützung von bis zu 9.000 Euro für drei Monate beantragen. Auf diese sind besonders freiberufliche Fotografen*innen mit einem eigenen Studio angewiesen, da es auch in Deutschland keine gesetzlichen Mietkürzungen gab. Robin wohnt derzeit aber noch bei seinen Eltern und muss auch keine Miete für ein Studio zahlen. Er hat während der Corona-Krise bisher insgesamt 4.300 Euro beantragt und erhalten um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. “Außerdem konnte ich mir neues Equipment für meine Imageviedeos kaufen, ohne das ich die Videos nicht anbieten könnte”, sagt er. Jedoch gibt es in Deutschland auch viele Fotograf*innen, bei denen die Unterstützung verspätet ankommt oder aufgrund hoher Betriebskosten nicht ausreicht.
Ganz anders habe das bei Juan Carlos in Spanien ausgesehen. Hier hat die Regierung zwar auch finanzielle Unterstützung angeboten, jedoch profitieren nur wenige Branchen davon. Künstler*innen, zu denen auch Juan Carlos gehört, warten beispielsweise meist vergebens darauf. “Ich habe auch den Eindruck, dass Menschen von außerhalb in Barcelona oft benachteiligt werden und weniger Unterstützung erhalten”, erzählt er. Allgemein bezeichnet er das Vertrauen der Spanier*innen in die Regierung als eher gering. Die Menschen würden sich notgedrungen lieber selbst helfen.
“Das Vorgehen der Regierung war total falsch. Sie haben einfach willkürlich Berufsgruppen ausgelassen, ohne einen Grund zu nennen. “
Ein Blick in die Zukunft
Bei Robin hat durch die Corona-Krise ein Umdenken stattgefunden. Mit dem Fokus auf Imagevideos möchte er nicht mehr so abhängig von Events sein. Für dieses Jahr hat er deshalb schon große Pläne. Auf der Agenda ganz oben steht ein eigenes Fotostudio und möglicherweise sogar ein Angestellter, der ihn beim Schneiden der Videos unterstützen kann. Auch er blickt hoffnungsvoll in die Zukunft und ist gespannt wann wieder größere Aufträge vor der Türe stehen.
Während sich Deutschland noch im Lockdown befindet, gestaltet Juan Carlos seine Webseite um und möchte sich nach einer kleinen Wohnung umschauen. Selbst wenn er in Deutschland als Fotograf erst wieder Fuß fassen muss, freut er sich darauf, wieder loslegen zu können. “Auch wenn ich die Sonne Spaniens vermisse, bin ich optimistisch, dass ich hier wieder erfolgreich als Fotograf arbeiten kann” sagt er.
Passend zu unserem Dossier "Corona-Alltag in Europa" empfehlen wir euch die vierte Folge unseres Podcasts "edit.diskutiert". Während viele Nachbarländer ihre Museen wieder öffnen, bleiben diese in Deutschland auch Anfang Februrar geschlossen. Doch gerade weil sie Bildungseinrichtungen sind, sollten Museen wieder öffnen dürfen, findet Edit-Redakteurin Tamara. Ihr Kommilitone Steven ist jedoch anderer Meinung. Kann sie ihn überzeugen? Hier kommt ihr zu Folge 4 von edit.diskutiert: "Geschlossene Museen – reine Symbolpolitik oder erforderliche Maßnahme?"