„Circa zwei Drittel aller Krankheiten gehen von selbst weg. Positives Denken und der Wille, dass einem geholfen wird, kann den Heilprozess dabei beschleunigen.“
Homöopathie – wirkt nicht und hilft trotzdem?
Kortisonspritze oder doch lieber nebenwirkungsarme Globuli? Für immer mehr Patient*innen ist die Antwort auf solche Fragen klar: Sie wünschen sich natürliche Heilmethoden, weshalb sich die Homöopathie seit Jahren im Aufschwung befindet. Dennoch kann bis heute keine wissenschaftliche Studie eine Wirkung der Mittel über den Placebo-Effekt hinaus nachweisen. Den Glauben daran können diese Fakten im Homöopathie-Mutterland Deutschland jedoch nicht erschüttern. Bevor aber vorschnell alle Homöopath*innen in eine Schublade mit Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen gesteckt werden, lohnt sich ein genauerer Blick auf dieses Thema.
„Mir hats aber geholfen.“
Von einer Wirkung durch den Placebo-Effekt wollen Homöopath*innen nichts wissen. Sie berufen sich auf die vielen Erfolgsgeschichten, die sie der Homöopathie zuschreiben. Eine dieser positiven Erfahrungen hat Jochen N. bereits mit neun Jahren gemacht. Er verbrachte seine gesamten Sommerferien, anstatt mit Freunden, in einem kleinen Krankenhauszimmer. Diagnose: Kinderrheuma. Nach einem sechswöchigen Kampf und vielen Medikamenteninfusionen später, entschieden sich seine Eltern dazu, ihn gegen den Rat seines behandelnden Arztes aus dem Krankenhaus zu holen. Die zweite Anlaufstelle war ein Heilpraktiker, der homöopathisch praktizierte. Die anfängliche Skepsis seinen Methoden gegenüber verflog schnell, als es Jochen innerhalb weniger Wochen deutlich besser ging. Und auch heute noch kann man die Erleichterung der Mutter in ihrer Stimme kaum überhören. Sie ist sich sicher, die Homöopathie konnte helfen, als die Schulmedizin versagte.
Was ist Homöopathie?
Die Homöopathie ist der Alternativmedizin zuzuordnen und soll ganzheitlich auf den Körper und die Psyche einwirken. Ziel ist es dabei, durch die homöopathischen Mittel die Selbstheilungskräfte des Körpers zu stimulieren.
Was bei der Homöopathie wirkt, ist das System drumherum
Von erfolgreichen Heilungen durch die Homöopathie hat auch der Kinder- und Jugendpsychiater Martin Linnebach von Wedel schon oft gehört. Er bestreitet jedoch die Wirksamkeit von Globuli und Co. Für ihn ist klar, das was da wirkt sei die positive Erwartungshaltung gegenüber der Homöopathie.
Was wirkt, ist also nach wissenschaftlicher Annahme der Placebo-Effekt. Das heißt, dass bereits der Glaube des Patienten an die Wirksamkeit des Mittels einen heilenden Effekt haben kann. Auch der Zuspruch und die Unterstützung durch den*die Heilpraktiker*in, der*die oft eine starke Persönlichkeit besitzt, ist laut Linnebach eine entscheidende Komponente der Homöopathie. Diese Phänomene hängen nicht ursächlich mit der Homöopathie zusammen, werden aber von ihr als Erfolge vorgewiesen. Homöopath*innen dagegen gehen davon aus, dass Homöopathika Reize im Körper setzen, wodurch die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert werden. Dabei wirkt laut der Heilpraktikerin Ellen Müller eine höhere Energie, die wir noch nicht ganz begreifen können. Deshalb könne man den Wirkmechanismus der Homöopathie auch nicht wissenschaftlich belegen. Doch auch sie räumt ein, dass die Heilungschancen ihrer Patient*innen sinken, wenn sie eine negative Einstellung zur Homöopathie haben.
Im besten Fall ein Placebo-Effekt, im schlimmsten Fall wirkt es einfach nicht?
Der Spruch: “Hilft nicht, schadet nicht.“ trifft jedoch leider nicht immer zu. Denn hinter leichten Beschwerden können schwerwiegende Krankheiten lauern, erklärt Linnebach. Werden diese nicht rechtzeitig erkannt oder nur mit Globuli behandelt, kann das lebensgefährlich werden. Heilpraktikerin Müller sieht das anders. Sie erzählt, sie habe auch schon Menschen mit Krebs behandelt und das erfolgreich. Solange sie das Gefühl habe, mit der Homöopathie helfen zu können, tue sie dies auch. „Außerdem verschreibt ein*e Heilpraktiker*in nicht sofort ein homöopathisches Mittel, sondern versucht durch eine zeitintensive Anamnese während eines persönlichen Gesprächs die Ursachen herauszufinden.“ Ärzt*innen warnen jedoch ausdrücklich davor, sich bei Krebs ausschließlich auf eine homöopathische Behandlung zu verlassen, da dies zum Tod führen könne. Homöopathika sollten in diesem Fall höchstens zusätzlich zu einer schulmedizinischen Behandlung angewendet werden.
Auch interessant
Wo die Schulmedizin etwas von der Homöopathie lernen kann
Bei Kopfschmerzen sofort Tabletten verschrieben zu bekommen ist in der Schulmedizin mittlerweile eher Norm als Ausnahme. Das persönliche Arzt-Patienten-Gespräch wird dabei oft auf ein Minimum beschränkt. Das ist bei homöopathischen Behandlungen anders. Gerade deshalb wenden sich immer mehr Menschen von klassischen Behandlungsmethoden ab und suchen Hilfe bei alternativen Heilverfahren, so Frau Müller. Und auch der Psychiater Linnebach gibt zu bedenken, dass „das Erforschen der Konstitution und Gewohnheiten des Patienten durch eine genaue Anamnese in der Schulmedizin zu kurz“ komme. Hier könne die Schulmedizin noch etwas von der Homöopathie lernen.
Frau Müller sieht die Homöopathie deshalb als die „Medizin der heutigen Zeit“ an. Linnebach kommt beim Thema Homöopathie zu einem kritischeren Schluss. „Das Problem liegt nicht in der Akzeptanz von Homöopathie, kann aber zu einem werden, wenn dafür die Schulmedizin abgelehnt wird.“ Am Ende muss jeder das Für und Wider der Homöopathie kritisch abwägen, um sich selbst seine Meinung zu bilden. Eine Rücksprache mit einem*einer Schulmediziner*in ist jedoch immer ratsam.