„Ich saß auf der Arbeit und hatte das erste Mal so Angst vor den Symptomen, dass ich dachte, ich sterbe jetzt.“
Der lange Weg zur Diagnose
Das Post-COVID-Syndrom
Es ist Silvester und Hanna sitzt mit ihren Freunden am Tisch. Plötzlich fangen ihre Hände an zu zittern – eine Panikattacke. Kopfschmerzen, Schwindel und das Gefühl als wäre sie nicht mehr anwesend. Hanna war im Januar 2022 in Mexiko. Während ihres Urlaubs wurde ihr plötzlich schwindelig, ihr Kopf schmerzte und ihr wurde übel. Sie hatte jedoch keine Erkältungssymptome, wie sie für eine Corona-Infektion typisch sind. Zurück in Deutschland war der COVID-Test positiv. Nach einigen Tagen war dieser wieder negativ, die Symptome verschwanden allerdings nicht. Die Kopfschmerzen, der Schwindel und die Übelkeit traten in Schüben auf. Daraufhin stattete Hanna ihrem Hausarzt den ersten Besuch ab. Dabei sollte die Frage geklärt werden, ob es sich bei ihren Symptomen, um Nachfolgen der Corona-Infektion oder vielleicht doch einen exotischen Virus handele. Es wurde jedoch keine Ursache gefunden und so begann der Ärzte-Marathon.
Laut Definition der WHO spricht man von einem Post-COVID-Syndrom, wenn in einem Zeitraum von drei Monaten nach der Corona-Infektion Beschwerden neu auftreten oder fortdauern, über einen Zeitraum von mindestens zwei Monaten bestehen und auf keine andere Ursache zurückzuführen sind.
Der Ärzte-Marathon
Bei Hanna wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Dabei wurden für einige Symptome mögliche Ursachen gefunden. So wurde beispielsweise eine Skoliose der Lendenwirbelsäule und eine schiefe Nasenscheidewand festgestellt. Jedoch passten die Symptome und deren Ursachen nicht zum Gesamtbild. Die Vermutung, dass es sich um das Post-COVID-Syndrom handele, rückte immer näher. Hanna kämpfte nun bereits über zehn Monate mit den Symptomen und ihre Verzweiflung wurde immer größer.
Privatdozent Dr. Martin Alberer ist Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und Allgemeinmedizin in München. Er erklärt, dass die Symptome des Post-COVID-Syndroms häufig unspezifisch seien. Dies bedeute, dass die Symptome auch bei anderen Erkrankungen auftreten können und sich somit nicht direkt zuordnen lassen. Zu den Symptomen gehören laut Alberer beispielsweise Müdigkeit, Belastungseinschränkungen, Atembeschwerden, Konzentrations-, Merkfähigkeits- und Wortfindungsstörungen, Schmerzen, Schlafstörungen, sowie Episoden von Herzrasen.
„Ich saß auf der Arbeit und hatte das erste Mal so Angst vor den Symptomen, dass ich dachte, ich sterbe jetzt.“ Darauf folgte der erste Besuch in der Notaufnahme. Doch auch hier konnte keine Ursache gefunden werden. Die Krankenhaus-Besuche häuften sich in den darauffolgenden zwei Monaten. Hanna fasste den Entschluss, dass sie etwas ändern müsse. Sie begann mit einer Psychotherapie, um über ihre Angststörung und Panikattacken zu sprechen.
Seit der Corona-Infektion war inzwischen ein Jahr vergangen. Im Januar 2023 waren die Symptome wieder so stark, dass Hanna wieder in der Notaufnahme landete. Sie verbrachte fünf Tage im Krankenhaus auf der Suche nach einer Erklärung, jedoch ohne Erfolg.
Die Diagnose
Hanna wandte sie sich an einen Gesundheitsdienstleister, der ein Long Covid Programm anbietet und Erkrankte auf ihrem Weg unterstützt. Anhand eines Fragebogens wurden die Symptome und dessen Schweregrad bestimmt und daraus eine Diagnose abgeleitet. Es wurde eine schwere Long Covid Symptomatik festgestellt. Eine Theorie, die in ihrem Kopf schon lange umherschwirrte, wurde nach einem Jahr bestätigt. Die Diagnose von dem Post-COVID-Syndrom, sowie die Beratung durch einen Experten lassen Hanna aufatmen. Ein Jahr lang hatte sie sich unterschiedliche Krankheiten und Verläufe in ihrem Kopf ausgemalt, die immer mehr Panik und Angst in ihr auslösten.
Laut Alberer können auch psychiatrische Erkrankungen, wie beispielsweise Panikattacken, durch eine SARS-CoV-2-Infektion ausgelöst werden. Hierbei müssen allerdings weitere Faktoren miteinbezogen werden. Dazu gehören unter anderem soziale Faktoren und das Bestehen von Vorerkrankungen. Zudem könne das Post-COVID-Syndrom selbst psychische Probleme als sekundäre Krankheitsfolge verursachen. Es sei also wichtig und sinnvoll bei Patient*innen mit einem Post-COVID-Syndrom eine psychologische Abklärung und Mitbetreuung durchzuführen.
Es ist schwer, eine Diagnose durch einen einzigen Arzt zu erhalten. Häufig sei es notwendig, viele verschiedene Untersuchungen bei Fachärzten durchzuführen. Laut Alberer handele es sich üblicherweise um eine Ausschlussdiagnose. In seiner Praxis habe er in den letzten zweieinhalb Jahren ca. 570 Patient*innen im Alter von Mitte 20 bis Mitte 40 mit der Krankheit betreut. Die Praxis hatte eine eigenständige Post-COVID-Ambulanz eingerichtet. Das Wissen über die Krankheit wurde durch eigene Vortragstätigkeiten und Literaturrecherche angeeignet und auf dem aktuellen Stand gehalten. Auch der Austausch mit wesentlichen Versorgern von unterschiedlichen Patient*innen dieser Erkrankung führte zu einer umfassenden und besseren Versorgung der Betroffenen. Die Behandlung sei, laut Martin Alberer, rein symptomatisch. Eine wichtige Maßnahme sei das Einhalten des so genannten ,Pacings’. Die Patienten lernen ihre eigenen veränderten Belastungsgrenzen zu respektieren und diese nicht zu überschreiten. Bei Einhaltung eines angemessenen Pacings komme es bei vielen Patienten zu einer Stabilisierung der Symptomatik und einer langsamen Verbesserung.
Auch Hanna wurden verschiedene Behandlungsmöglichkeiten vorgeschlagen und sie hatte nun einen festen Ansprechpartner, der sie auf dem Weg unterstützte. Sie beantragte einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Mittlerweile ist Hanna in der fünften Woche in der psychosomatischen Tagesklinik. Sie lernt ihrem Körper wieder mehr zu vertrauen und gegen die Angst-/Panik-Störung vorzugehen. Dies helfe ihr, wieder zu ihrer alten Lebensfreude zurückzufinden. Die Symptome seien zwar nicht verschwunden, aber deutlich weniger geworden. Zu Beginn der Erkrankung hatte sie wochenlang starken Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen. Inzwischen sei der Abstand zwischen dem Auftreten der Symptome deutlich größer und die Dauer geringer geworden. Durch das Zusammenspiel des Long Covid Programms, ihrem Hausarzt und der Psychotherapie, seien ihre Symptome zwar nicht verschwunden, aber Hanna lernt damit umzugehen und ist gleichzeitig noch in Behandlung bei verschiedenen Fachärzten.
Hanna habe durch ihren Weg zur Diagnose und den bisherigen Erfahrungen viel gelernt. Man solle die Krankheit akzeptieren und den Körper ernst nehmen und ihm dann auch die Ruhe geben, die er braucht.
Die Redakteurin steht in freundschaftlicher Beziehung zu der Protagonistin.