„Da könnte man auf der einen Seite 'Hallelujah' singen, auf der anderen Seite 'I love you'.“
Hallelujah, Bro!
Blind Date, Eistee, Reise, Battles – Das sind einige Namen von Luna Simãos Singles. Ihre Songs erzählen von ihrem Leben, Selbstzweifeln, Erfolgen und ihrer einzig wahren Liebe – Jesus. „Contemporary Christian Music“, kurz CCM, ist ein Überbegriff für alle musikalischen Genres, aber in christlich. Man findet die Songs in den Billboard-Charts unter der Kategorie „Hot Christian Songs“ bei christlichen Radiosendern und christlichen Festivals, nur in den Gesangsbüchern der meisten Kirchen sucht man sie vergeblich. Wenn nicht in der Kirche, wo hört man dann die neuesten Hits der christlichen Szene? Und wer hört zu?
Luna Simão gehört mit rund 16.500 monatlichen Hörer*innen auf Spotify zu den bekanntesten Sängerinnen im deutschsprachigen CCM. Auf der ersten großen Bühne stand die heute 27-Jährige mit 17. Beim Bundesvision Song Contest sang sie sich für Schleswig-Holstein mit ihrem Song „Bis zu den Wolken“ auf Platz sechs. Damals kannte sie keinen Gott. Heute beschreibt sie ihn als das Zentrum ihres Lebens.
Die 180-Grad Wende
„In mir war ein ganz großer Switch, es ist hell geworden, als hätte jemand einen Lichtschalter angemacht.“ So erinnert sich Luna an die Zeit, in der sie anfing, sich mit der Bibel und der Person Jesus Christus zu beschäftigen. Damals hat sich ihr Leben um 180 Grad gewendet. „Das war dann für mich ganz selbstverständlich, dass ich das, was ich erlebt habe, auch in meine Songs einbauen möchte.“ Zu ihrem damaligen Team hat dieser Wunsch nicht gepasst: Als sie anfängt, Texte zu schreiben, in denen Gott vorkommt, wird ihr geraten, das lieber sein zu lassen, weil ihre Fanbase dann nicht mehr „relaten“ könne. Für die 18-jährige Luna war das schwer zu schlucken und doch nachvollziehbar. Da sich ihre Richtungen zu stark unterscheiden, trennt sie sich schließlich von ihrem Team.
Vier Jahre lang veröffentlicht sie keinen einzigen weiteren Song. 2018 erscheint dann ihre zweite EP „Irgendwann“. Ihre frühere Fanbase besteht nicht mehr und die neue Community reagiert positiv auf die Veränderung in Lunas Texten. Doch wer ist diese Community? Eine kleine christliche Nische? Auf die Frage hin, für wen Luna ihre Texte schreibe, erklärt die Musikerin: „Ich schreibe, was mir auf dem Herzen liegt, in der Sprache, die ich spreche. Ich habe da nicht unbedingt eine Zielgruppe im Kopf.“ Sie bekomme oft Feedback und Nachrichten von Christ*innen, aber teilweise auch von Menschen, die nichts mit Kirche zu tun hätten.
Ulrich Hafner kennt sich aus mit der christlichen Musik – zumindest innerhalb der Kirche. Der hauptberufliche Kirchenmusiker leitet mehrere Chöre an der Liebfrauenkirche in Bad Cannstatt. Neben katholischer Kirchenmusik hat er auch das Konzertfach Orgel und Musiklehrer studiert. In seinen Chören singen immer wieder Menschen, die nicht regelmäßig in den Gottesdienst gehen. „Musik zieht Leute in die Kirche, vor allem, wenn sie gut ist.“ Außerhalb christlicher Kreise spiele christliche Musik jedoch keine Rolle.
Philipp geht für gewöhnlich jeden Sonntag in den Gottesdienst einer Freikirche. In seiner Freizeit hört er viel Elektro-Pop. Der 22-Jährige gehört zu den jungen Menschen, für die christliche Musik Teil ihres Alltags ist: „Mir gefällt christliche Musik, weil sie voll die guten Werte vermittelt. Wenn ich sie höre, habe ich immer richtig gute Laune und ich kann da voll auftanken und bin immer so voller Freude.“ In der Spotify-Playlist findest du seinen aktuellen Lieblingssong aus der CCM-Szene „Author / Perfector“.
Von Mozart bis Metal
Die Musik der Kirche entwickelte sich als Parallelstruktur zu der sogenannten „säkularen“ Musik, also die nicht explizit christliche Musik. Nur selten gibt es eine Verbindung der beiden Stränge. Als Beispiel dafür nennt Ulrich Hafner Wolfgang Amadeus Mozart, der seine Arien mit christlichen Texten unterlegte. Die Szene christlicher Popmusik ist mittlerweile fast so vielfältig wie die säkulare Musikszene, nur wesentlich kleiner. Sie hat alles, was die nicht christliche Musikszene auch hat: Konzerte mit Lichtanlage und Nebelmaschine, Festivals und Song Contests, Musikmagazine und eigene Studiengänge – eine kleine Parallelwelt.
Nicht nur in diesen Bereichen, auch musikalisch passt sich die christliche Musik immer mehr an die säkulare an. Ulrich Hafner sieht dort keinen Unterschied mehr: „Da könnte man auf der einen Seite 'Hallelujah' singen, auf der anderen Seite 'I love you'.“ Allein anhand des Texts könne man die christliche Musik von anderer unterscheiden. Eine andere Musikwelt, die in der gleichen Umlaufbahn fliegt und nur hin und wieder eine Rakete nach außen sendet. „You Say“, ein Song der Sängerin Lauren Daigle, eroberte 2018 für 43 Wochen die amerikanischen Charts und läuft bis heute in den Radios. Ein deutsches Beispiel ist „Real Life“, ein Song von den christlichen Rappern O'Bros, der auf Spotify mehr als fünf Millionen Streams erreicht hat.
Für Ulrich Hafner darf christliche Musik gerne in der Nische bleiben. Dem Kirchenmusiker ist es wichtig, dass diese immer einen Zugang zu irgendeiner Form von Gottesdienst findet. Schließlich gehöre sie in die Kirche und nicht in die Stadthalle. Lunas Songs werden noch in keiner Kirche gespielt. Das ist auch nicht ihr Ziel. Die Sängerin erzählt ihre eigene Geschichte. Sie wünscht sich, dass die Zuhörenden zum Nachdenken angeregt werden. Schon oft hat sie von Label-Bossen und Musikproduzent*innen den gut gemeinten Rat gehört, sie solle sich nicht in der christlichen Nische verstecken. Sie selbst sieht ihre Musik nicht als Nischenmusik, eher als Musik für die Seele. Musik, die sich auch mit den Fragen des Lebens beschäftigt, hat für sie die volle Daseinsberechtigung: „Am Ende des Tages brauchen wir das allemal, so einen tiefgründigen Song zu hören.“
*Autorin steht im freundschaftlichen Verhältnis mit einem der Protagonisten.