Fakten über Alkohol, die wir ignorieren
Grundsätzlich, dachte ich, kann ich es mir sparen, eine Auflistung der erschreckenden Folgen von Alkoholkonsum in diese Kolumne zu packen. Denn leider klingen Fakten und Zahlen nur halb so bedrohlich, wie sich die Realität anfühlt. Als junger Mensch, der aufgewachsen ist mit Alkoholmissbrauch in der nahen Familie, kenne ich kleine Teile dieser Realität. Also um es gesagt zu haben: 2021 wurden mehr als 69 Tausend Menschen wegen einer Alkoholvergiftung stationär behandelt. Das sind 189 Menschen am Tag. Deutsche Jugendliche trinken wesentlich häufiger als Gleichaltrige in fast allen anderen Ländern in Europa - aber Hauptsache, wir sind stolz auf unser Bier.
Eine Entschuldigung für Alkoholkonsum finden viele bei jedem Zweck – es ist etwas Gutes passiert – „Lasst uns drauf anstoßen.“ Es ist etwas Schlechtes passiert – „Jetzt brauche ich wirklich einen Drink.“ Es ist ein stinknormaler Donnerstag, aber – „Hey, wir sind doch Studierende und außerdem nur einmal jung. Lasst uns Feiern gehen!“ Alle behaupten, sie hätten ihr Konsumverhalten im Griff – „Ich bin doch nicht süchtig.“ Newsflash: Das dachten alle Alkoholiker*innen in den Anfängen ihrer Sucht.
Du darfst dich gerne weiter selbst belügen - schlimmer ist jedoch: Die Droge, an die alle zwölf Sekunden ein Mensch sein Leben verliert, wird in unserer Gesellschaft glorifiziert. Es sterben also 7006 mehr Menschen am Tag an Alkohol als sich Singles über Parship verlieben. Aber egal wo ich hinschaue oder hinhöre, ob in den Gesprächen meiner Kommiliton*innen, auf Social Media, in Filmen, Serien, in Musik oder Werbung – Alkohol wird vergöttert und normalisiert. Der Spitzenanwalt Harvey Specter aus der Serie Suits trinkt Whisky bei jedem Sieg und jeder Niederlage. Auf TikTok werden mir regelmäßig Videos vorgeschlagen mit dem Titel „recover with me after a night out“ – selbst der Kater, die natürliche Reaktion des Körpers auf die Vergiftung, wird in der entsprechenden „clean girl aesthetic“ romantisiert.
Alkohol zu trinken ist so normal, dass diejenigen, die es nicht tun, sich viel zu oft dafür rechtfertigen müssen, eine Cola bestellt zu haben. Für viele ist es einfacher, sich eine angemessene Ausrede einfallen zu lassen als die irritierten Blicke zu ertragen. „Ich muss morgen früh raus“ „Mir geht’s grad nicht so gut.“ „Ich muss noch fahren...“ Apropos Fahren – fast jeden zweiten Tag stirbt ein Mensch an den Folgen eines durch Alkoholmissbrauch verursachten Autounfalls.
Aber an die erschreckenden Fakten haben wir uns alle schon gewöhnt. Es gibt sie immer und überall. Unser Zuckerkonsum ist mehr als bedenklich und erst neulich hat mir jemand erzählt, Sonnencreme sei krebserregend – so wie alles andere gefühlt auch. Schlimm ist nur, dass wir bei Alkohol von Kind auf gelernt haben, die Fakten zu ignorieren und zu verdrehen.
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