Die Küchensteher*innen
Man hört den dumpfen Bass der Musik schon von Weitem. Je näher ich der Hausparty komme, desto lauter werden die Gespräche der Leute. „Hey, schön dich zu sehen! Möchtest du was trinken?“, fragt mich eine Freundin. Klar möchte ich was trinken und folge ihr in die Küche. Und hier sind sie auch schon. Die Küchensteher*innen gehören wie die gute Musik zu jeder wilden Hausparty. Man kennt sie und war bestimmt schon selbst Teil von ihnen. Eng quetschen sie sich in die meist viel zu kleine Küche, um dort abseits vom Partyvolk Gespräche ohne Presslufthammer-Lautstärke zu führen. Doch erst durch Corona erkennt man, wie wichtig die Küche oder jeder andere eher ruhige, aber trotzdem interessante, Rückzugsort auf Partys ist. In Zeiten von Ausgangssperren und Social Distancing vermisst man doch eher die Nähe zu seinen Freund*innen als eine riesige Tanzfläche. Das ist auch ganz normal und auch wichtig. Berührungen und Nähe zu anderen Menschen sind laut dem Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten stressmindernd und lassen das Herz ruhiger schlagen (natürlich situations-abhängig). Die Küche lässt das Herz bei vielen Leuten jedoch höherschlagen. Unter anderem hat sie den überragenden Vorteil, Essen und Getränke im Überschuss zu liefern. Nicht zuletzt deswegen wird jede*r klassische Partygänger*in ab und zu Küchensteher*in. Die attraktive Person, die man schon den ganzen Abend lang beäugt, lernt man nicht auf der Tanzfläche bei „Partycharts-Bangern“ in Flugzeuglautstärke, sondern in der Küche bei einem kalten Stück Pizza kennen. Der Mangel an Sitzgelegenheiten in der Küche lässt die Hardcore-Küchensteher*innen kreativ werden. Die Arbeitsplatte oder Bierkästen werden umfunktioniert zu Sitzbank und Sitzsack.
Beim Küchenstehen ist es wie beim Alkoholtrinken. Man macht es, weil andere es tun. Wenn dein*e Freund*in in ein Gespräch mit jemandem in der Küche verwickelt ist, wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zur*m Küchensteher*in. Dabei spielt die Anzahl der Menschen eine ausschlaggebende Rolle. Hier ist es ähnlich wie mit dem Coronavirus: in beide Richtungen geht es exponentiell. Wenn die Musik wieder vertretbar ist und man lieber wieder feiern möchte, leert sich die Küche so schnell, wie sie sich gefüllt hat. Bis auf die Hardcore-Küchensteher*innen, die schon im Vorhinein nicht so sehr Bock auf Party hatten. Mit ihnen gibt es aber auch immer “Ansprechpartner*innen“, damit der Kreislauf von vorne beginnen kann.
Wenn man nun, wenn alles vorbei ist, als Nachzügler*in zur nächsten großen Hausparty kommt, sollte die Frage also nicht lauten: „Wie ist die Stimmung/Musik?“, sondern „Wie voll ist die Küche?“