Die Sache mit dem deutschen Film
„Vom Dorf in die großen Kinos“, verkündet der Titel des Zeitungsartikels, der meine Aufmerksamkeit erregt. Es geht um den Inhaber einer Produktionsfirma in der Nähe von Stuttgart. Dieser gibt jetzt sein Regiedebüt. „Spannend“, denke ich. Ein aufstrebender Filmemacher aus Deutschland? Sofort suche ich nach dem Film im Internet. „Chill, Brudi“ soll er heißen. Es ist natürlich eine Komödie. Und mit „unkonventionellen Gags“ soll mal wieder „der Fluch der deutschen Komödie gebrochen werden“, so die Filmschaffenden selbst. Nur eine Bedingung stellen sie an die Kinobesucher*innen: Lasst das Gehirn an der Garderobe! Ich schaue mir den Trailer an und merke, dass die Forderung ernst zu nehmen ist. Und das ärgert mich.
Nach zwei Minuten Filmvorschau, in denen von vulgären Witzen bis hin zu absoluter Idiotie alles zu finden ist, außer schauspielerisches und inszenatorisches Können, heißt es: „April 2024 im Kino. Ob ihr wollt oder nicht.“ Ich will nicht. Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits Kommentare und Kritiken vorbeiziehen, die lauthals den Tod des deutschen Films verkünden. Todesursachen: Kreativität-, Niveau- und Humorlosigkeit. Tatverdächtige: der cineastische Serienmörder Til Schweiger (unter anderem schuldig gesprochen für „Manta Manta – Zwoter Teil“), Regiestuhl- und Drehbuchschänder Bora Dagtekin (seine letzte Übeltat: „Chantal im Märchenland“) und nun auch der Filmemacher aus der Nähe von Stuttgart. Denn sein Film verkörpert all jenes, mit dem der deutsche Film in den letzten Jahren identifiziert, oder vielmehr auf was dieser reduziert wird. Und das ärgert mich noch mehr.
Es gibt auch gute deutsche Filme
Deutsche Filme können so viel mehr sein als hirnlose Unterhaltung, seichte Liebeskomödien und „Eberhofer“-Krimis. Haben wir nicht zuletzt mit dem Kriegsdrama „Im Westen nichts Neues“ vier Oscars einsacken können? Mit dem Coming-of-Age-Drama „Sonne und Beton“ einen Überraschungserfolg an den Kinokassen landen können? Und mit dem tragischen „Systemsprenger“ für so viel Aufsehen sorgen können, dass die damals 11-jährige deutsche Hauptdarstellerin nur wenig später neben Schauspiel-Urgestein Tom Hanks auf der Leinwand zu sehen war? Wir haben eben doch Kreativität, Niveau und Talent in der deutschen Filmwelt. Und in seltenen Fällen haben wir wohl auch so etwas wie Humor.
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Das Problem ist jedoch, dass alles, was sich abseits des Einheitsbreis bewegt, von der großen Masse sorgfältig außer Acht gelassen wird. Ganz aktuell zum Beispiel „Das Lehrerzimmer“. Ein deutsches Drama, welches die Strukturen der Gesellschaft auf die Schule überträgt und die heutige Debattenkultur behandelt, so Regisseur İlker Çatak. Klingt vielleicht etwas hochgestochen, doch die Erfolge sprechen für sich. „Das Lehrerzimmer“ räumte in fünf Kategorien des Deutschen Filmpreises ab, gewann zwei Auszeichnungen auf der Berlinale und wurde als bester internationaler Film sogar für die Oscars nominiert. Und? Hast du schon mal was von diesem Film gehört?
Das Publikum ist das Problem
Für das Image unserer Filmkultur sind wir als deutsches Publikum selbst verantwortlich. Und die Zuschauerzahlen zeigen, dass wir lieber dem torkelnden Til und seinen Schnapsideen eine Bühne bieten möchten als wirklich guten Filmen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass hohe Zuschauerzahlen nicht gleich einen guten Film ausmachen. Schweigers „Manta Manta – Zwoter Teil“ beispielsweise lockte zwar ein Millionenpublikum ins Kino, schaffte es auf den gängigen Bewertungsplattformen aber gerade mal auf zwei von fünf Sternen. Das hat noch nicht einmal für die goldene Himbeere gereicht. Bevor man sich aber über den nächsten deutschen Misserfolg aufregt und all seinen Ärger auf die gesamte Filmszene schiebt, sei gesagt: „Chill Brudi!“ In der deutschen Filmlandschaft gibt es wahnsinnig viel Schönes zu entdecken. Man muss nur danach suchen.
Nach alldem vermag man ins Grübeln zu kommen. Vielleicht sind ja gar nicht die Filme in Deutschland das Problem, sondern das Publikum. Denn dieses gibt wohl gerne das Gehirn an der Garderobe ab. Oder lässt es gleich ganz zuhause.