„Wir hoffen, dass das Projekt große Strahlkraft haben wird und als Blaupause für andere Objekte dient.“
Subkultur auf Zeit
Die Schwaben-Bräu-Passage in Bad Cannstatt – bald ein Haus für Soziales, Kultur, Handwerk und mehr? Das rosafarbene Gebäude aus den 80ern galt aufgrund eines hohen Anteils an Spielhallen und einer großen Taubenpopulation lange Zeit als Problembau. Jetzt soll es anderweitig genutzt und aufgewertet werden. Das Initiativenkollektiv PRISMA ist eingezogen und soll durch alternative Angebote das Gebäude zu einem Ort für alle machen. Am 12. Mai 2023 war die große Eröffnung, doch Ende 2025 läuft der Mietvertrag auch schon wieder aus.
Nach der Akademie für Raumforschung und Landesplanung wird der Begriff Zwischennutzung für Brachflächen und leerstehende Gebäude verwendet, die, nachdem ihr ursprünglicher Zweck aufgegeben worden ist, bis zur Realisierung einer neuen Nutzung vorübergehend anderweitig belebt werden. Zwischennutzungen erfolgen durch Dritte und meist ohne, dass ein Wechsel des Eigentümers oder der Eigentümerin stattfindet.
Früher war die Cannstatter Bahnhofsstraße eine bekannte und hoch angesehene Flaniermeile und die Passage beherbergte ein Hotel und ein Kino. Danach stand das Gebäude lange Zeit leer und war bekannt für seinen heruntergekommenen Anblick. Die Stadt Stuttgart kaufte 2020 das Gebäude auf und entwickelte die Idee, die Fläche an interessierte Kulturakteur*innen zu vermieten. Zum ähnlichen Zeitpunkt suchten einzelne Initiativen nach Räumlichkeiten, so auch Valentin Leuschel von der Ateliergemeinschaft CIS+. Die Suche nach Raum liefe schon „viele, viele Jahre“, sagt Leuschel. Dann kam der Vorschlag der Wirtschaftsförderung, die dafür zuständig ist, die Wirtschaft in einer bestimmten Region zu beleben.
Eine einzelne alternative Gruppe konnte die Fläche und die damit verbundenen Kosten aber nicht allein stemmen, weshalb sich das temporäre Initiativenkollektiv PRISMA aus vier Gruppen bildete. „Sunny High“ ist ein inklusiver Musikclub, „Common’s Kitchen“ betreibt Foodsharing und veranstaltet Kochabende mit Fairteiler-Lebensmitteln, die „Galerie Palermo“ und die „Ateliergemeinschaft CIS+“ sind Kunstinitiativen. Das Kollektiv wiederum wird von dem Verein Fläche e.V. vertreten, der sich „aus einer bürokratischen Notwendigkeit“ gebildet habe, um den Mietvertrag zu unterschreiben, erklärt Leuschel. Gemeinsam mit Surja Ahmed und Heide Fischer bildet er den Vorstand. Dem Verein gehört offiziell das zweite Stockwerk und er kümmert sich hauptsächlich um die Mietkosten, um den einzelnen Initiativen diesen Druck zu nehmen.
Vor- und Nachteile von Zwischennutzung
Um festzustellen, ob die Zwischennutzung eine sinnvolle Lösung für Subkultur sein kann, muss man sich ihre Vor- und Nachteile anschauen und ob es Alternativen gibt. Dabei ist zwischen Mietenden und Vermietenden zu unterscheiden, da diese unterschiedliche Interessen vertreten. Die Mietenden sind in diesem Fall Fläche e.V. und die Vermietenden die Stadt Stuttgart.
„Zwischennutzung ist oft eine Notwendigkeit für Gruppen wie das PRISMA-Kollektiv“, sagt Leuschel. Viele Eigentümer würden eher an kommerzielle Betriebe vermieten wollen, da dort Umsatz und Ertrag erwartet werden könne. „Der Wunsch nach geeignetem Raum zur Miete ist groß“, sagt Surja Ahmed – und dieser wird von der Wirtschaftsförderung gehört.
Die Herausforderung: „Wir sind grundsätzlich als Wirtschaftsförderung nicht befähigt, Räume zu fördern. Wir können nicht finanziell unterstützen, sondern wir versuchen einfach, Leerstand zu vermeiden. Das ist unser Hauptanliegen“, sagt Maike Jakoby von der Wirtschaftsförderung Stuttgart. Die Zwischennutzung durch subkulturelle Gruppen sei dafür eine schöne Lösung. „Wir hoffen, dass das Projekt große Strahlkraft haben wird und als Blaupause für andere Objekte dient“, sagt Jakoby. „Es geht immer um die Machbarkeit bei der Umsetzung solcher Projekte und wir möchten die sein, die das möglich machen.“
Ein Vorteil für die Mietenden sei, dass man so auch Räume nutzen könne, die sich zum Beispiel für Ausstellungen perfekt eignen würden, für die eine längerfristige Nutzung aber keinen Sinn mache, so die Vorstandsvorsitzende Surja Ahmed. Sie macht klar, dass für größere Projekte wie die Schwaben-Bräu-Passage eine längere Nutzung wünschenswert sei. „Wir fangen mit dem Projekt an und dadurch, dass es Zwischennutzung heißt, wissen wir schon, dass es ganz klar ein Ende hat“, sagt Leuschel. Zu der begrenzten Zeit kommt auch noch die Bürokratie hinzu, die es erschwert, solche Projekte durchzusetzen. „Wir haben zwei Jahre damit verbracht, überhaupt eine baurechtlich genehmigte Versammlungsstätte zu werden.“ Diesem Problem ist sich auch die Wirtschaftsförderung bewusst: Die Ressourcen in den Verwaltungen seien knapp, daher dauere das Ganze manchmal länger, sagt Jakoby. „Es kann aus Mangel an Bewerbern nicht an Personal aufgestockt werden, sondern das muss das bestehende Personal zusätzlich machen“, erklärt sie.
„Dadurch, dass es Zwischennutzung heißt, wissen wir schon, dass es ganz klar ein Ende hat.“
Zwischennutzung hat für die Stadt Stuttgart den Vorteil, dass sie das Wohnumfeld aufwertet. Zwischennutzung wird sogar oftmals gezielt dafür eingesetzt. „Das passiert wiederum zu unserem Nachteil“, erklärt Leuschel. „Wir stecken da ehrenamtliche Arbeit rein, um den Quadratmeterpreis in die Höhe zu treiben.“ Doch was sind die Nachteile des Leerstands für die Stadt? Die Wirtschaftsförderung meint, dass es normal sei, dass Räume hin und wieder kurzzeitig frei werden. Trotzdem hat Leerstand Nachteile, denn so passiert genau das Gegenteil von Aufwertung in den Vierteln.
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Lösungsansätze
Ahmed und Leuschel wissen genau, wie man Subkultur besser fördern kann: „niederschwellige Förderangebote schaffen“. Es geht darum, dass alle Förderangebote finden können, auch ohne tieferes Verwaltungswissen. „Wir kennen die Förderlandschaft Baden-Württemberg. Das ist unserer Ausbildung geschuldet. Es gibt genug Gruppierungen von jungen Menschen, die nicht die Erfahrung haben, um zu wissen, wie ein Förderantrag aussieht“, erklärt Leuschel. Die Wirtschaftsförderung bietet dafür Hilfsangebote, zum Beispiel den Leitfaden für kreative Zwischennutzer oder die Raumvermittlungsplattform Roomstr.
Die Lösung für das Raumproblem scheint die Zwischennutzung zu sein, wirkliche Alternativen gibt es nicht. Es ist eine gute Möglichkeit, Leerstand zu überbrücken, auch wenn das bedeutet, dass Großprojekte wie die Schwaben-Bräu-Passage eingeschränkt werden, da schon sehr viel Zeit in bürokratische Anforderungen gesteckt werden muss, bevor man überhaupt zur tatsächlichen Umsetzung des Projektes kommt. Aber sie bietet Subkultur Raum und trägt zu einem attraktiveren, bunteren Stadtbild bei.
Das Beste daraus machen
Die Resonanz zu dem Projekt ist sehr gut. Und das auch schon am Tag der Eröffnung, sagt Anil vom Legal Café und Migrantifa – auch Initiativen der Schwaben-Bräu-Passage. „So was gibt’s halt zum ersten Mal in Stuttgart“, fährt er fort. Dennoch ist die Zeit begrenzt und die endgültige Fertigstellung geht nur langsam voran. „Wir versuchen einfach, das Beste draus zu machen und bisher ist es uns auch ganz gut gelungen“, sagt Anil. Eine langfristige Nutzung wäre im Fall der Schwaben-Bräu-Passage besser, aber die Zwischennutzung gibt Stuttgart etwas Neues. Das sieht auch Ahmed: „Es ist immer wichtig, dass es Raum gibt, wo andere Lebenskonzepte bestehen können, die eben nicht in kommerziellen Räumen Platz finden.“ Und auch wenn die Zwischennutzung für manche Projekte nicht die perfekte Lösung ist, kann sie genau das ermöglichen.