"Es hat mich zu sehr frustriert immer diese Kontrolle und Maßregelungen um mich herum zu haben und zu sehen."
Die Heimat in uns - Leben und Arbeiten in Singapur
„Es ging auch viel über den Bauch“, beschreibt Lena, „überhaupt vom ganzen flattrigen, ungewohnten Gefühl.“ Rund siebzehn Flugstunden und zehntausend Kilometer trennen sie und ihre Familie von der Heimat in Hamburg. In Südostasien tauchen die Korrespondenten in fremde Kulturen ein, erleben andersartige Religionen und exotische Bräuche. „Wie toll ist das“, staunt Holger zu Beginn des Abenteuers, „ein paar Jahre in einem völlig anderen Land, in einer völlig anderen Kultur zu leben und darüber berichten zu können.“
Einleben
Das "Asien für Anfänger", wie die Familie Singapur nennt, enthält viele westliche Züge, unterscheidet sich aber stark vom Alltag in Deutschland. Das Singen der Amseln weicht dem aufgeregten Kreischen aus den dunkelgelben Schnäbeln der Myna-Vögel. Die Luft sei flüssig, so Holger. Man könne sie „trinken, nicht atmen. Es riecht nach überreifen Früchten, Gewürzen - bisschen faulig und süß.“ Auch die Affen auf dem Schulgelände sind für Johnny anfangs eine Umstellung. Wenn man nicht aufpasst, klauen sie den Kindern das Pausenbrot.
Es braucht eine gewisse Zeit, bis die Familie auch mit dem Gefühlsleben ankommt und den Charakter des Landes verinnerlicht. Nach ungefähr einem halben Jahr haben sie sich mit der anfangs fremden Umgebung vertraut gemacht und diese als Heimat für die nächsten Jahre anerkannt. Woran sich Lena und Holger allerdings bis heute nicht gewöhnen, ist das "auf Schritt und Tritt überwacht werden“ und die fehlende "offene Diskussionskultur".
Heimkommen
Lenas und Holgers Berichterstattung in Südostasien ist geprägt von Themen wie Bombenräumungen in Laos, blutige Drogenkriege auf den Philippinen oder die gnadenlose Verfolgung der muslimischen Minderheit in Myanmar. Sie werfen bei ihren Dienstreisen Licht auf die unbequemen Schattenseiten der sonst so beliebten Urlaubsländer. Diese Reisen bieten eine abenteuerliche Abwechslung zum eher sterilen Singapur - und zur Freude der beiden - "Asien hundert Prozent".
Wenn die Korrespondenten von ihren Dienstreisen in die Löwenstadt zurückkehren, genießen sie deren Vorzüge auch wieder und bestätigen: "Unsere Wohnung und unsere Terrasse mitten im Grünen - das ist schon Zuhause hier in Singapur."
Kultur
Der Vielvölkerstaat Singapur lässt keine Gelegenheit aus, kulturelle Feste zu feiern. Kaum ist das Strahlen des indischen Lichterfests Diwali erloschen und die Weihnachtslieder ausgeklungen, findet sich die Familie inmitten von prächtigen Farben für das Fest zum chinesischen Neujahr. Kultur ist für die Korrespondenten ein weiterer Faktor, der das Heimatgefühl beeinflusst. Sie transportiert auch in fremde Länder wie Singapur ein Stück rituelle Herkunft. Für die Verbindung zu Deutschland bringen sie deshalb Bräuche von Zuhause nach Singapur mit. Besonders die Rheinländerin der Familie muss zur Karnevalszeit die Kostüme aus der Kiste holen. Aber auch andere Bräuche aus Deutschland werden in Singapur von der Familie gefeiert.
"Wir feiern jedes Jahr Weihnachten mit ausklappbarem Weihnachtsbaum."
Lena wird nach der Zeit in Singapur ebenfalls den ein oder anderen Feiertag von dort in ihren deutschen Kalender eintragen und mit asiatischen Souvenirs zelebrieren. So kommt die rituelle Verbundenheit zum weit entfernten Südostasien mit nach Hamburg.
Mosaik
Viele Einflüsse wirken auf das Heimatgefühl der Familie ein. Sinnliche Dinge wie Gerüche und Geschmäcker - aber auch Momente der Begegnung und des Innehaltens. Sogar selbstverständliche Vorgänge wie die Jahreszeiten gehören dazu - die gibt es in Singapur nicht. Johnny vermisst besonders den Schnee.
Auf die Frage, ob Singapur zur langfristigen Heimat werden kann, antworten Lena und Holger mit einem klaren "Nein". Das Land ist nur Heimat auf Zeit, wie „ein langer Schullandheimaufenthalt“. Für eine dauerhafte Heimat ist es ihnen zu fremdartig. Johnny hat dazu scheinbar eine andere Meinung...
...oder auch nicht. Denn wenn er an Heimat denkt, hat er ganz bestimmte Bilder aus Hamburg im Kopf, wie "unser kleines Häuschen wo wir einen kleinen Garten haben und daran, dass wir da auch mal Igel anlocken wollen. Und an unsere beiden Katzen Kuno und Taxi. Und Schweinesand auch."
"Ich glaube Heimat hat etwas mit Herz zu tun, gar nicht mit Herkunft."
Es sind Erlebnisse wie Igel anlocken oder mit dem Boot zur Insel Schweinesand zu fahren, die tief im Gefühlsleben der Familie verankert sind und die das wehmütige Bauchgefühl von Heimat unterwandern. Doch es gibt auch Dinge in Singapur, die Johnny vermissen wird und gerne mitnehmen würde. Den warmen Tropenregen und seine Schulfreunde. Nicht so gut geeignet, im oft kalten und nassen Hamburg, wären der Pool im Garten und die Wasserspielplätze.
"Ich nehme von überall, wo ich war ein Stück Heimat mit, weil da auch Leute sitzen, die ich mag, die ich in mein Herz geschlossen habe." Das gilt für Holger auch, wenn er mit seiner Familie in die Hawker-Center geht, in denen man sich durch eine Vielzahl von Garküchen und somit quer durch asiatische Spezialitäten essen kann. "Man merkt die Leute sehen anders aus, die sprechen anders, die glauben an andere Götter, die essen andere Dinge, aber so in ihrem Herzen sind die eigentlich genau wie ich. Aus Asien nehme ich deshalb auch ein Stück Heimat mit." Seit vier Jahren leben die Drei schon in Singapur und werden noch mindestens ein Jahr aus ihrer Heimat auf Zeit berichten.
Dabei ist Heimat für die Familie kein fester Ort, sondern ein Mosaik aus verschiedenen Erlebnissen, Orten und Menschen. Auch wenn Singapur kein dauerhafter Heimatort für die Korrespondenten sein kann, wird es sich in dieses Mosaik einfügen und dadurch ein dauerhafter Bestandteil des Gefühls „Heimat“ für sie sein.