„Mach deine Arbeit gut und lerne, was du lernen kannst. Dann brauchst du deine Ellenbogen nicht.“
Wenn das Singen Sicherheit kostet
Seit fast 17 Jahren ist die Griechin mit den warmen, dunklen Augen bereits in Deutschland. Zu Beginn des Gesprächs legt sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, das den Raum erhellt. Ihre einnehmende Präsenz macht es einem leicht, sie sich auf der Opernbühne vorzustellen.
Schlechte Arbeitszeiten, kaum Planungssicherheit und eine mickrige Bezahlung – Was würden Sie mir raten, wenn ich mit dem Gedanken spielen würde, Opernsängerin zu werden?
„Do it”, wenn du Geduld hast, mach es. Wir brauchen junge Menschen, die gut singen. Diese Kultur darf nicht verloren gehen. Natürlich ist es schwierig, das sage ich auch – aber „give it a try”. Es ist es wert. Für mich war es das.
Sie sind in Griechenland geboren und aufgewachsen. Woher wussten Sie, dass die Musik Ihre Zukunft sein würde?
Stamatia muss nicht wirklich nachdenken, um auf diese Frage zu antworten. Dabei wandert ein kleines Lächeln über ihr Gesicht.
Ich wusste schon immer, dass ich das will – keine Ahnung warum.
Meine Mama hatte früher Schallplatten und eine davon war Schwanensee von Tschaikowsky. Ich war damals so beeindruckt davon. Mit zehn Jahren durfte ich dann Klavierunterricht nehmen. Später habe ich bei einer Audition für einen Chor in Athen mitgemacht. Sie suchten junge Leute und ich hatte das Glück, genommen zu werden.
Bei dieser ersten Bühnenerfahrung haben Sie auch eine Art Idol kennengelernt: Marlis Petersen. Sie wurde von der Zeitschrift Opernwelt bereits vier Mal zur Sängerin des Jahres gekürt.
Sie konnte alles mit ihrer Stimme machen und ich war so beeindruckt, dass ich wissen wollte, wie sie das macht. Als ich dann mit ihr auf der Bühne stand, war das wirklich ein Erlebnis. Dort auf dieser Bühne hat sich meine Leidenschaft bestätigt, weil ich gemerkt habe, dass ich mich dabei gut fühle.
Sie haben zunächst an der Aristoteles-Universität Thessaloniki Musikwissenschaft studiert und promoviert. Weshalb der Schritt nach Deutschland?
Über Stamatias Gesicht legt sich eine nachdenkliche Miene, die erahnen lässt, dass dieser Schritt kein einfacher war.
In Griechenland fehlt es uns leider an der musikalischen Kultur, wie man sie in Deutschland kennt. Aber bei diesem Projekt mit Marlis Petersen habe ich Leute kennengelernt, die in Deutschland gearbeitet haben. Sie haben gesagt: „Wenn du ernsthaft studieren willst, musst du nach Deutschland.“
Deshalb habe ich mich mit 24 Jahren entschieden: Wenn ich Sängerin werden möchte, muss ich dorthin. In Essen habe ich dann mein Studium mit dem „Master of Music / Voice Performance” an der Folkwang Universität der Künste abgeschlossen.
Im Musikgeschäft heißt es bekanntlich: Je früher man anfängt, desto besser. War es mit 24 Jahren nicht zu spät, ein Gesangsstudium zu beginnen?
Ja, eigentlich schon. Aber ich habe vor einem Lehrer in Essen vorgesungen und er hat gesagt: „Wenn du eine leichtere Stimme für junge, einfache Rollen hättest, wäre es schwierig – mit 24 müsstest du bereits auf der Bühne stehen. Aber mit einer melancholischen, lyrischen und schwereren Stimme sehe ich durchaus Chancen.“ Das war allerdings ein Risiko, weil ich nicht wusste, ob das klappt.
Der oder die Bessere bekommt den Job – der Konkurrenzkampf in der Musikbranche ist hart. Haben Sie das auch in Ihrem Studium gespürt?
Sie nickt, noch bevor die Frage zu Ende gestellt ist.
Während meines Studiums in Essen gab es jedes Jahr ein Opernprojekt. Für die Hauptrolle wurde ein Vorsingen veranstaltet, und natürlich bekam diese Rolle nur die Beste. Dabei war immer dieses nagende Gefühl präsent: Wie gut bin ich? Wie gut sind die anderen? Es ist ein ständiger Vergleich.
Was ich nicht gemacht habe, ist dieses „Ellenbogenzeigen”. Das macht mich eng und klein. Da bin ich nicht der Typ dafür.
Ist das ein Vor- oder Nachteil in diesem Beruf?
Ich denke immer: Mach deine Arbeit gut und lerne, was du lernen kannst. Dann brauchst du deine Ellenbogen nicht. Trotzdem ist der Job hart, und oft bekommen die „Killer“ das, was sie wollen. Ich habe nicht immer alles erreicht, was ich mir gewünscht habe, aber gelernt, das zu akzeptieren.
In dieser Branche gibt es zwei Wege: Ellenbogen zeigen oder jammern. Ich benutze diese Mechanismen nicht. Ich schlucke vieles runter, was aber auch nicht immer klug ist. Manchmal muss man den Mut haben zu sagen: „Das passt so nicht, können wir etwas ändern?“ Man muss einen Mittelweg finden, denke ich. Ich bin aber auch ein eher introvertierter und schüchterner Mensch.
Introvertiert und trotzdem im Rampenlicht? Ist das nicht ein starker Kontrast?
Ruhig und bedacht, antwortet sie auch auf die provokante Frage.
Ja, absolut. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Auf der Bühne bin ich nicht Stamatia, sondern die Rolle. Ich frage mich, was dieser Charakter tun und fühlen würde – und das bin dann nicht mehr ich. Aber das ist genau das, was ich an meinem Beruf so liebe: in unterschiedliche Charaktere einzutauchen.
Manche sind mir sehr ähnlich, wie zum Beispiel Mimì in „La Bohème”, von Natur aus introvertiert. Und andere Charaktere, wie die „Lustige Witwe”, sind total extrovertiert. Aber das ist etwas sehr Schönes. Es ist, als würde man immer wieder in eine neue Haut schlüpfen.
Trotzdem bleibt es eine Herausforderung. Wenn ich für eine Rolle vorsingen muss, ist es für mich schwer, mich in dieser kurzen Zeit zu öffnen. In einem anderen Beruf mit einer Probezeit von sechs Wochen hat man diese Zeit. Aber in einem Vorsingen hast du 15 Minuten und da musst du abliefern und zeigen, was du kannst.
Gab es in Ihrem Studium oder danach einen Schlüsselmoment, in dem Sie dachten: „Jetzt fängt meine berufliche Laufbahn an, jetzt geht es los?”
Mein erster Job. 2011 habe ich die Pamina in „Die Zauberflöte” in Hagen gesungen und dann kam ein festes Engagement in der Oper Schwerin. Das war unglaublich. Ich dachte, ich habe im Lotto gewonnen. Vorher habe ich nur von Konzerten und einem Stipendium gelebt. Da hatte ich dann das erste Mal Geld.
Oft heißt es, dass die Musikbranche schlecht bezahlt. Seit der Spielzeit 2017/18 sind Sie am Theater Pforzheim fest angestellt. Wie gut leben Sie von Ihrem Geld?
Die Bezahlung ist nicht so gut. Aber Deutschland steht grundsätzlich noch gut da. Ich weiß, was es bedeutet, in Griechenland als Sängerin zu arbeiten. Das ist schrecklich. Ich bin einfach sehr dankbar, dass ich einen festen Job habe. Das ist alles andere als selbstverständlich.
Aber auch in der deutschen Theaterbranche wird eher schlecht bezahlt. Und wir müssen viel opfern. Zum Beispiel bekommen wir den Probenplan immer einen Tag vorher. Unser Alltag ist immer abhängig von den Probezeiten.
Wir sind wirklich mit dem Theater verbunden und das ist nicht einfach. Du kannst dein Leben nicht planen. Es ist ein fester Job für ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre oder vier Jahre, aber nicht für immer. Mit jeder neuen Spielzeit im Oktober heißt es: Entweder bekommst du eine Kündigung oder eine Verlängerung. Und das ist immer ein mentaler Stress. Man fragt sich ununterbrochen, was kann ich tun, damit ich hier bleiben kann? Es ist alles wirklich unsicher.
„Wir sind wirklich mit dem Theater verbunden und das ist nicht einfach. Du kannst dein Leben nicht planen.”
Sie seufzt einmal kurz. Nach der nächsten Frage hellt sich ihre Miene aber augenblicklich wieder auf.
Warum sind es Ihnen diese Opfer wert, diesem Beruf bis heute nachzugehen?
Es sind die tollen Rollen, die Leidenschaft, die ich fürs Singen habe und die kleinen Sieg-Momente. Zurzeit studiere ich wieder die „Così fan tutte” von Mozart, die ich zuletzt im Studium gesungen habe. Und ich merke immer wieder: Heute sind viele Stücke so einfach, in denen ich früher um jeden Ton gekämpft habe. Für diese Entwicklung in den letzten 15 Jahren bin ich so dankbar. Das ist ein Geschenk. Das ist ein Sieg-Moment.
Ein anderer war meine erste „La traviata”. Das ist eine wirklich besondere Rolle und ich dachte, das schaffe ich nie. Dann habe ich es gesungen und nach der Premiere fühlte ich mich so stark. Dieses Gefühl, wenn du eine schwierige Partie bekommst und denkst, das ist zu schwer und irgendwann läuft es doch. Das ist auch ein Sieg-Moment. Und deshalb verliebe ich mich immer wieder in meinen Beruf.
Stamatia bedankt sich mehrmals für das Interview. Es erinnert an die Art, wie sie sich nach jeder Vorstellung zum Applaus verbeugt. Aufrichtig dankbar für das Interesse an ihrer Kunst – und der Leidenschaft, die sie lebt.