Kinderfrage 4 Minuten

Kinderlos fürs Klima? Nicht mit mir!

Es sind zwei Frauen zu sehen, die sich um ein Plakat streiten. Auf dem Plakat steht: Ich lasse mir das Kinderkriegen nicht verbieten.
Besonders in der Gen Z spalten sich die Meinungen rund um die Frage: Kinder oder Klimaschutz? | Quelle: Anabel Giesbert
17. Mai 2024

Durch Bewegungen wie den Birth-Strike werden vor allem junge Frauen dazu aufgerufen, ihren Kinderwunsch aufzugeben. In ihren Augen ist der Verzicht auf Kinder die Lösung für das Problem des Klimawandels. Warum sie damit die Lage aber nur verschlimmern. Ein Essay.

Stuttgart, den 06.04.2024: Hitze-Rekord für Anfang April geknackt.

Knapp 30 Grad, ich sitze auf meiner Dachterrasse und hasse es. Ich will die Sonne genießen, aber meine Gedanken spielen verrückt: Wenn die Temperaturen schon Anfang April so hoch sind, wie warm wird dann erst der Frühling in zwanzig Jahren? Der Klimawandel ist eine riesige Bedrohung für die Menschheit, das sollte mittlerweile jeder verstanden haben. Laut dem Klimaexperten Jürgen Baumüller liegt die Lösung des Problems auf der Hand: Wir sollten auf Kinder verzichten. Doch ich will mir das Kinderkriegen nicht verbieten lassen. Mir ist bewusst, dass ich meinen Sohn oder meine Tochter in eine Welt setze, die von der Klimakrise bedroht wird. Aber ich will nicht daran glauben, dass die Lösung darin besteht, weniger Leben zu schaffen.

Es besteht Handlungsbedarf

Zweifel am Kinderkriegen sind verständlich – und erscheinen logisch. Fakt ist: Unser CO2-Fußabdruck ist zu groß. Laut Bundesamt für Umwelt- und Naturschutz liegt der Verbrauch in Deutschland bei 10,3 Tonnen pro Kopf. Der ideale CO2-Fußabdruck sollte unter einer Tonne liegen. Seit 1927 wächst die Weltbevölkerung zudem exponentiell an. Um das Klima zu schützen und den Treibhauseffekt nicht zu verstärken, ergeben sich also zwei Möglichkeiten: Entweder reduzieren wir den CO2-Verbrauch drastisch oder wir verringern die Weltbevölkerung.

Gesellschaftliche Verantwortung und politische Handlungsfelder

Betrachten wir die erste Möglichkeit: Weltbevölkerung reduzieren. Wie erreichen wir das am besten? Indem wir auf Kinder verzichten. Klingt erstmal plausibel und nachvollziehbar, aber zu kurz gedacht. Wenn alle Paare auf der Erde nur ein Kind bekommen, würde die Weltbevölkerung bereits nicht mehr wachsen, sondern sich langfristig sogar halbieren. Mal abgesehen davon, dass diese Rechnung keine Singles berücksichtigt. Würden wir die Weltbevölkerung halbieren, müssten wir allerdings mit Systemeinbrüchen rechnen. Weder das Wirtschafts- noch das Rentensystem könnte eine Halbierung der Weltbevölkerung tragen. 

Spielen wir das zweite Szenario einmal durch: CO2-Verbrauch pro Kopf drastisch senken. Jeder Mensch kann dazu beitragen, die Klimakrise zu bekämpfen. Wir können auf Fleisch verzichten, nur noch Secondhand tragen, unser Auto verkaufen und ja – wir können auch auf Kinder verzichten, um den CO2 Verbrauch zu senken. Es ist aber nicht Aufgabe des Einzelnen, den Klimawandel zu stoppen, sondern es ist eine Verantwortung, die auf dem Rücken der Gemeinschaft getragen wird. Die Industrie verursacht am meisten CO2. Warum also nicht hier ansetzen? Warum nicht schneller auf alternative Ressourcen ausweichen, um den Klimawandel zu stoppen? Warum soll ich für das Klima auf ein Kind verzichten, wenn die Politik es nicht einmal schafft, ein Tempolimit einzuführen? Ich fahre lieber 100 statt 200 km/h auf der Autobahn, wenn dafür mein Kind auf der Rückbank sitzt. Man kann wohl kaum bestreiten, dass Kinderkriegen die etwas bedeutsamere Entscheidung ist.

Es ist eine junge Frau mit einem Schild zu sehen. Auf dem Schild steht: Ich will Kinderkriegen, weil ich selbst Mama sein möchte.
Das Bedürfnis, selbst Mutter zu werden, steht für viele an erster Stelle. | Quelle: Anabel Giesbert
Es ist eine junge Frau mit einem Schild zu sehen. Auf dem Schild steht: Ich möchte meine Kinder in keiner zerstörten Welt aufwachsen sehen.
Die Angst vor einer zerstörten Welt fließt für viele in die Kinderfrage ein. | Quelle: Anabel Giesbert
Es ist ein junger Mann mit einem Schild zu sehen. Auf dem Schild steht: Ich will Kinder, weil sie die Welt voranbringen.
Sich für das Kinderkriegen auszusprechen, bedeutet Hoffnung zu haben. | Quelle: Anabel Giesbert
Es ist ein junger Mann mit einem Schild zu sehen. Auf dem Schild steht: Ich möchte keine Kinder haben, um die Umweltbelastung zu reduzieren.
Immer mehr Menschen sprechen sich gegen Kinder aus, weil sie die Umweltbelastung fürchten. | Quelle: Anabel Giesbert

Es ist eine Entscheidung, die nicht nur aus Angst vor der Klimakrise in Frage gestellt wird, sondern auch aus Angst vor den wachsenden politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten. „Vulnerable Geschöpfe in eine zerstörte Welt zu setzen, kommt für mich nicht in Frage.“ Lisa Poettinger, Studentin und Klimaaktivistin, ist mit dieser Aussage nicht allein. Die Bewegung Birthstrike – also Gebärstreik – hat sich genau aus diesem Grund zusammengeschlossen. Es ist eine Gruppe mit einem Großteil an Frauen um die 30, die wegen der drohenden Klimakatastrophe ihren Kinderwunsch aufgegeben haben. Solche Bewegungen werfen auch bei mir Zweifel auf. Wenn immer mehr junge Frauen auf Kinder verzichten, sollte ich meine Entscheidung dann auch hinterfragen? Es ist ein unterbewusster Druck, der bei mir entsteht. Selbst meine Mutter würde ihre Entscheidung heute überdenken. „Es ist kein ganz so spontanes und entschlossenes ‚JA‘ wie damals“, antwortet sie mir auf die Frage, ob ich Kinder kriegen sollte.

Blick nach vorne

Und trotzdem: Jede Generation hatte ihre Krisen und musste sich mit dunklen Zukunftsszenarien auseinandersetzen. Aus Angst davor auf Kinder zu verzichten, bringt nichts. Dann hätten wir bereits beim Einsatz von Nuklearenergie mit dem Kinderkriegen aufhören können. Außerdem nimmt uns diese Denkweise jegliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft. 

Mit dieser Einstellung bin ich zum Glück nicht allein. „Ich finde Kinder bringen Wandel und eine Gesellschaft braucht Kinder, damit sie weiter besteht. Ich habe die Hoffnung, dass wir das Ruder immer noch rumreißen können“, sagt die 31-jährige Mutter Luisa Schnelker. Kinder haben die Fähigkeit und das Potenzial, das Klima positiv zu beeinflussen – das nennt sich ökologischer Handabdruck. 

Mit dem ökologischen Handabdruck werden die Aktivitäten einer Person bezeichnet, die nicht nur ihre eigenen Umweltauswirkungen verringern, sondern auch die anderer Personen. Damit bildet der ökologische Handabdruck das Gegenstück zum Fußabdruck. 

 

Quelle: Kompetenzzentrum Nachhaltiger Konsum 

Wer könnte das Klima am besten retten, wenn nicht die Kinder klimabewusster Eltern? Durch gezielte Erziehung, die Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit fördert, können wir sicherstellen, dass die Zukunft in den Händen einer klimabewussten Generation liegt. 

Mal angenommen wir kriegen alle keine Kinder mehr. Wer gleicht dann den Fachkräftemangel aus? Wer zahlt in unser Rentensystem ein oder wer wird für den wirtschaftlichen Rückgang verantwortlich gemacht? Zugegebenermaßen ist das ein Extrem. Genauso kann ich fragen: Was passiert, wenn wir alle mindestens ein Kind bekommen müssten? Welche Ressourcen würden knapp werden? Welches Gesundheitssystem könnte die Versorgung sicherstellen? 

Ich bin kein Fan davon, in Extremen zu denken. Wer auf Kinder verzichten will, soll das machen. Aber ebenso wie ihr mich warnt, in welch schlimme Welt ich meine Tochter oder meinen Sohn setze, so muss ich auch zurück warnen: Wenn niemand mehr Kinder gebärt, können wir die Hoffnung direkt mit uns begraben. Kinderlos fürs Klima deshalb nicht mit mir!