Nachhaltigkeit

Schon mal Quallenchips probiert?

Ein Quallenschwarm im Wasser, auch Quallenblüte genannt.
03. Dez. 2021
Qualle auf der Speisekarte, als Plastikfilter oder auf dem Acker? Meeresforscher*innen haben herausgefunden, was die Qualle alles kann und wie wir durch die Tiere künftig nachhaltiger leben könnten.

„Sie haben einen eigenen Geschmack an Salz und sind ein bisschen fischig. Aber alles sehr dezent, nur so ein Hauch davon“, berichtet Dr. Holger Kühnhold. Seine selbstproduzierten Quallenchips seien zwar crunchy, zergehen aber auf der Zunge. Man könne sie nicht mit einem Kartoffelchip vergleichen. „Aber sie sind auf jeden Fall nicht glibberig, alle denken das immer“, erzählt der Meeresökologe.

Kühnhold befasst sich im Rahmen des Projekts „food4future“ damit, wie wir uns künftig nachhaltiger und ressourcenschonender mit Nährstoffen versorgen können. Dabei hat der Forscher sich speziell mit der Aquakultur und dem Nährstoffprofil von Quallen auseinandergesetzt.

Definition Aquakultur

Dabei handelt es sich um die kontrollierte Produktion von Pflanzen und Tieren aus dem Meer mit dem Zweck der menschlichen Ernährung.

Im asiatischen Raum stehen Quallen schon seit Jahrhunderten auf der Speisekarte, doch in Europa werden die Tiere noch nicht als Lebensmittel anerkannt. Deshalb handle es sich dabei noch um eine Zukunftsvision und auch „ein bisschen um verrückte Ideen“, meint Kühnhold.

Quallen bestehen zu 95 bis 99 Prozent aus Wasser. Da bleibt nach dem Kochen nicht viel im Topf übrig. „Deswegen spreche ich ganz gezielt von Nährstoffen“, so der Forscher.

Die Tiere sind sehr kalorienarm. Auf 100 Gramm kommen etwa 36 Kalorien. Kühnhold zufolge sind dafür viele hochwertige Stoffe enthalten: essenzielle Aminosäuren, Spurenelemente, hochwertige Fettsäuren. Es seien aber auch Stoffe gefunden worden, die den Blutdruck senken und Gewichtsreduktion begünstigen. Außerdem gehe der Forscher durch den hohen Proteingehalt davon aus, dass ein Sättigungsgefühl ausgelöst wird.

Hauchdünne Quallenchips, in verschiedenen Geschmackssorten.

"Ich glaube, dass sich unsere Nahrung diversifizieren muss, dass wir mehr Nahrung aus dem Meer gewinnen müssen.“

Dr. Holger Kühnhold

Der europäische Gaumen bevorzugt vor allem große Fische, wie zum Beispiel Lachs oder Thunfisch. Die beiden Arten waren laut dem Fisch-Informationszentrum 2020 die Lieblingsfische der Deutschen. Doch die aus dem Meer zu holen sei nicht nachhaltig für das marine System. Denn da es nur wenige große Fische gibt, überfischen wir so laut Kühnhold die Ozeane. Dabei werde die Ressource „Meer“ überhaupt nicht in dem Maßstab genutzt, wie wir das eigentlich könnten. „Ich glaube, dass sich unsere Nahrung diversifizieren muss, dass wir mehr Nahrung aus dem Meer gewinnen müssen“, so der Forscher. Er beschäftigt sich daher auch mit den Tieren weiter unten in der Nahrungskette. Denn Nahrungsmittel und vor allem tierische Proteine zu produzieren ist Kühnhold zufolge einer der Schlüsselfaktoren, wodurch wir unsere Umwelt zerstören. Hinzukomme der zunehmend große Wettbewerb um Frischwasser und fruchtbares Land, welche dem Umweltbundesamt nach immer knapper werden.

Rückgang von Land und Süßwasser

Jährlich gehen weltweit etwa zehn Millionen Hektar Ackerfläche verloren. Das entspricht einer Fläche von ungefähr 14 Millionen Fußballfeldern. Hauptursachen dafür sind Landgewinnung durch Abholzung, Brandrodung, Umbruch und eine intensive, nicht standortangepasste Landwirtschaft. Allein in Deutschland verbrauchen wir 3.350 Liter Wasser pro Person durch unseren Lebensmittelkonsum an nur einem Tag! Das entspricht etwa 22 Badewannen Süßwasser.

Quelle: Umweltbundesamt

Quallen als Düngemittel

Aber die Qualle kann noch mehr: „Die Forschung der letzten vier Jahre hat gezeigt, dass Quallen als Düngemittel genauso gut funktionieren, wie chemischer Dünger“, so Dr. Jamileh Javidpour. Die Forscherin koordiniert das EU-Projekt „GoJelly“. Es untersucht die Rolle der Quallen und die verschiedenen Möglichkeiten, die Tiere zu nutzen.

Laut Javidpour verfügen Quallen über viele Nährstoffe, wie Nitrat und Phosphat. Diese eignen sich gut als Dünger, wenn man sie richtig herstelle. Und genau das sei der Knackpunkt: „Weil das kostet!“, meint die Forscherin. Denn Düngemittel aus Quallen herzustellen sei zwar eine nachhaltige, aber auch eine teure Angelegenheit. „Wir haben die Daten geliefert“, so Javidpour. Doch die Umsetzung in den großen Maßstab sei ein Schritt, den nun die Industrie gehen müsse.

„Es hat uns drei Jahre gebraucht, bis wir einen Quallen-Plastikfilter hergestellt haben.“

Dr. Jamileh Javidpour

Dem UN⁠-Umweltprogramm ⁠UNEP⁠ zufolge treiben mittlerweile durchschnittlich 13.000 Plastikmüllpartikel auf jedem Quadratkilometer Meeresoberfläche. Tun wir nichts dagegen, wird 2050 mehr Plastik im Meer schwimmen als Fische.

„Aber wir beschäftigen uns viel mehr mit dem Makroplastik, dem großen Plastik, das man sieht", so Javidpour. Dabei seien die Effekte von Nanoplastik sehr groß, denn die könnten auch im Körper eines Menschen landen. Bei Nanoplastik handelt es sich um Größen in millionstel Millimetern. Die kleinen Plastikteilchen beinhalten schädliche Substanzen, die über die Nahrungskette in die Fische und auch in unsere Mägen gelangen können. Wie eine Studie des WWF belegt, nehmen wir wöchentlich etwa fünf Gramm Plastikpartikel über die Nahrung zu uns. Das entspricht der Menge einer Kreditkarte. Um zu verhindern, dass mehr Plastik in die Meere gelangt, hat GoJelly einen Plastikfilter entwickelt. Dabei haben die Forscher*innen sich bestimmte Eigenschaften von Quallen zunutze gemacht.

„Alles basiert auf einer wissenschaftlichen Publikation von 2015”, erzählt Javidpour. Forscher*innen haben damals unterschiedliche Quallenarten untersucht und Goldpartikel angesetzt. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Schleim der Quallen die Goldpartikel band. „Also warum nutzen wir nicht diesen Charakter, um Nanoplastik zu filtern?“, meint die Forscherin. „Es hat uns drei Jahre gebraucht, bis wir einen Quallen-Plastikfilter hergestellt haben", erzählt sie. Ihr Quallen-Plastikfilter sei bereits an Klärwerken getestet worden und über 95 Prozent der kleinen Plastikteilchen seien dabei herausgefiltert worden.

Plastik in den Ozeanen

Mehr als 70 Prozent der Abfälle schwimmen in tieferen Wasserschichten oder sinken auf den Meeresboden. Das macht das Abfischen von Plastik unmöglich. Der Abbau von Plastik kann mehrere hundert Jahre dauern. Durch äußere Faktoren wie Licht oder Temperatur werden Kunststoffe mit der Zeit spröde und zerfallen in immer kleinere Teile in sogenanntes Mikroplastik. Wenn das Mikroplastik sich immer weiter zersetzt, wird es irgendwann zu Nanoplastik. Mikroplastik kann auch über Kosmetika, Reinigungsmittel oder beim Waschen synthetischer Kleidung ins Abwasser gelangen. Auch moderne Kläranlagen können nur einen Teil herausfiltern, der Rest gelangt in die Ozeane.

Quelle: Deutsche Umwelthilfe

Die Bedeutung der Tiere

Bei GoJelly ging es den Forscherinnen und Forschern darum, Quallen und ihre Rolle im Ökosystem besser kennenzulernen. Javidpour meint, die Bedeutung von Quallen sei in der Wissenschaft lang unterschätzt worden. Dabei seien sie sehr wichtig für ein gesundes Marinesystem: „Über hundert Fischarten ernähren sich von ihnen. Sie sind Meister der Evolution und der Adaption, sie passen sich also gut an“, erklärt die Forscherin. Durch Klimaerwärmung und Überfischung bekommen Quallen laut Javidpour in einigen Gebieten die Möglichkeit, sich stark auszubreiten. „Da haben wir uns gefragt: Was kann man mit der Biomasse machen, die sowieso vorhanden ist und bisher ignoriert wurde?“, erzählt sie.

„Jede Innovation sollte nachhaltig sein.“

Dr. Jamileh Javidpour

Trotz dem vielseitigen Nutzen, den Quallen erwiesen haben, dürfen wir nicht leichtsinnig werden, wie die Forscherin erklärt: „Man kann die Qualle anders sehen und die Biomasse anders nutzen. Aber vergesst nicht, dass wir aus der Vergangenheit lernen müssen und nicht blind anfangen dürfen, etwas zu produzieren“.

Der Forscherin gehe es darum, Ressourcen sinnvoll zu nutzen, Ideen mit Nachhaltigkeitseffekt umzusetzen, denn „jede Innovation sollte nachhaltig sein“. In den ostasiatischen Ländern gebe es schon seit Jahren eine Quallen-Überfischung. Das beeinflusse auch die Population anderer Tierarten „und das sollte überhaupt nicht passieren“, meint die Forscherin. „Jede Art der Fischerei sollte unter die Lupe genommen werden und geguckt werden, wir aus dem Meer nehmen dürfen“, so Javidpour.

Ob nun als Chips, Plastikfilter oder Dünger - in Quallen steckt mehr, als die meisten denken. Man kann mit den Tieren nicht die Welt retten. Sie sind aber ein gutes Beispiel dafür, was in der Zukunft noch getan werden kann und muss, damit wir nachhaltiger leben.