„Täglich mit jungen motivierten Leuten zusammenzuarbeiten, ist das, was mir am meisten gibt.“
„Master Entrepreneurship in Lissabon oder unbekanntes Schokoriegel–Startup?“
Wann hast du entschieden, deine bevorstehende Karriere als Wirtschaftsingenieur nicht weiterzuverfolgen?
Während meines Pflicht-Praktikums bei einem großen Automobilkonzern habe ich gemerkt: Die Studienrichtung macht mich nicht glücklich. Großkonzernstrukturen, Produkte, hinter denen ich nicht stehe, so wie Luxusautos. Ich war in einer kleinen Sinnkrise, obwohl es erst mit der Karriere losgehen sollte. (lacht) Meine zwei Mitgründer haben mich angerufen. Matthias meinte: „Hey, ich hab ‘nen gesunden Schokoriegel in der WG-Küche entwickelt. Hast du Bock mitzuwirken?“ Er hat mir das ein bisschen erklärt. Das entfachte das Feuer in mir und ich dachte: Wenn ich meine Zeit in etwas investieren könnte, was Menschen zu einem gesünderen Leben führt und gleichzeitig lecker schmeckt, würde das super viel Sinnhaftigkeit für mich bedeuten, viel mehr als ‘ne Luxuskarosse. Ich wusste sofort: Das will ich ausprobieren.
Warum hast du dann überhaupt Wirtschaftsingenieurwesen studiert?
Im Nachhinein ist man immer schlauer, ne? Ich bin meinen Stärken nachgegangen, hatte Leistungskurs Mathe und Physik. Während des Studiums habe ich gemerkt, dass mein Herz nicht für Maschinen schlägt, es aber trotzdem durchgezogen. Man nimmt immer was aus seinem Studium mit raus, aber es war von vornherein keine Herzensentscheidung.
Wie reagierten deine Familie und Freunde, als du davon erzählt hast?
Meine Familie hat mich von Anfang an unterstützt. Sie hat mir vertraut und gesehen, dass ich dafür brenne. Sie hat die Leidenschaft gespürt, mit der ich heute noch darüber rede. Dann war klar: „Ja mach das, mein Sohn.“ (lacht) Von den Freunden war es eher so: „Mach du mal, aber ganz ehrlich wie viele Schokoriegel gibt’s auf dem Markt?“ Ich denke nicht, dass viele wirklich an den Erfolg geglaubt haben.
Warum ausgerechnet ein Schokoriegel?
Meine zwei Mitgründer wollten einen nährstoffreichen Snack für das Nachmittagstief entwickeln. Matthias hatte lustigerweise ein Schokoladen-Selbstmach-Set daheim. Mit dem zweiten Mitgründer Thomas hatte er die Idee: „Lass uns mal den Zucker weglassen und viele Hanfsamen reinkippen.“ Weil Hanfsamen viel Protein und viele Omega-3-Fettsäuren enthalten. Dann kam ihnen die Idee: „Lass uns das mal verkaufen. Das gibt es noch nicht aufm Markt.“
Wie ging es dann weiter?
Wir haben das Produkt entwickelt, waren am Businessplan schreiben und haben das EXIST-Gründerstipendium bekommen. Dann stand die Entscheidung an: Master Entrepreneurship in Lissabon oder unbekanntes Schokoriegel–Startup.
Du bist schon seit einigen Jahren bei „the nu company“ tätig. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei dir aus?
(Lacht) In einem Wort: Voll, im zweiten Wort: Jeden Tag anders. Der Tag geht um acht Uhr los. Mit meinem Team, wir sind ja nicht so ganz klassisch strukturiert, habe ich zwei wöchentliche Austausch-Meetings. Dazwischen kommen ständig Marketing-Meetings, Telefonate und auch Presse-Interviews. Mein Tag hat meistens zwölf Stunden. Es ist schon viel Arbeit, macht aber auch mega Bock.
Was liebst du an deinem jetzigen Beruf am meisten?
Dass mein persönlicher Lebenssinn deckungsgleich mit dem ist, was die Firma macht. Ich bin extrem dankbar dafür, weil ich mitgestalten darf und Glück hatte, dass wir diese Idee hatten.
Du hast es schon kurz angedeutet. Bei „the nu company“ wird das Holocracy-Prinzip gelebt. Was steckt dahinter?
Es geht darum, dass wir in einer Agentur zusammenarbeiten, in der die Entscheidungen dort getroffen werden, wo die Kompetenz am höchsten ist. Wir treffen nicht alle Entscheidungen zusammen und singen „We Are Family“. Es läuft eben nicht so wie in einer klassischen Machthierarchie, bei der jede Entscheidung immer eins höher getragen werden muss– was langsam ist und oft politisch. Bei uns treffen die Gründer strategische Entscheidungen. Trotzdem entscheidet beispielsweise die Social Media Managerin, was morgen für ‘n Post kommt, weil sie das am besten kann.
Und wie gut funktioniert diese Organisationsstruktur?
Es funktioniert sehr gut, aber nicht perfekt. So wie ich es im Team wahrnehme, ist es wahnsinnig empowernd. Es ist nicht jedermanns Ding, schnell Verantwortung zu übernehmen. Bei uns ist das absolut der Fall: Man kommt hier rein und es geht los. Das heißt viel Verantwortung, dafür aber auch starke Lernkurven. Das muss man wollen.
Der Weg von der Gründung bis heute, mit mittlerweile 73 Tausend Followern auf Instagram, war sicherlich nicht einfach. Auf welche Hürden bist du gestoßen?
Es gab mehrere Milestones, die wir überstehen mussten. Eine Hürde war Geld zu bekommen. Wir haben zwei Crowd-Funding Kampagnen gestartet, unzählige Förderungen bei Landesbanken eingereicht und versucht Kredite zu erhalten. Viele Anträge wurden abgelehnt. Eine weitere Herausforderung ist das Team: Eine Kultur und die Motivation aufrechtzuerhalten, wenn jeden Monat neue Leute anfangen, ist super schwer, gerade jetzt während Corona. Immer wieder ‘ne gute Stimmung im Team zu behalten, ist herausfordernd.
Jedes Unternehmen hat seine Schwächen. In welchen Bereichen wollt ihr euch bei „the nu company“ noch verbessern?
Wir können in der Lieferkette noch transparenter werden. Es ist schwer bei so vielen Zutaten zu 100 Prozent transparent zu sein. Mein Wunsch wäre es, die Hanfsamen, die aus China kommen, aus Europa zu beziehen. Beim Thema Aufforstung würde ich gerne mehr deutsche Projekte unterstützen.
Eure Kampagne „Go big or go home“ ist im Oktober gestartet. Teil davon ist ein offener Brief im „Spiegel“, in dem ihr die fehlende Zuckersteuer von Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, kritisiert. Wie war die Reaktion?
Wir hatten zusätzlich eine offizielle Anfrage ans Ernährungsministerium geschrieben. Da kam sogar ein Tag später ‘n Anruf. Uns wurde gesagt, dass nicht auf offene Briefe geantwortet wird, dass unsere Herangehensweise kein Vertrauen für ein Gespräch schafft und bereits alles zum Thema Zucker gesagt sei. Also sehr abweisend. Wir wissen, dass wir provokativ waren. Wir werden trotzdem nicht aufgeben und uns mit anderen Unternehmen zusammenschließen.
Riesige Plakate in Großstädten mit provozierenden Sprüchen, wie „Esst ihr euer Zeug eigentlich selbst?“ gehören ebenfalls zu eurer Kampagne. Was sagen die Lebensmittelgroßkonzerne?
Die Großkonzerne haben in Form von Linked-In Posts geantwortet. Sie haben gesagt: „Wir machen schon super viel, wollt ihr nicht Teil davon sein?“ Und wir mussten sagen: „Entschuldigung, es geht hier nicht um grün anmalen und ‘n bisschen Nachhaltigkeitsstrategie, sondern um fundamentale Änderungen in unserem System.“ Daraufhin hat die Geschäftsführerin von Nestlé Confectionery geantwortet und uns zu einem Gespräch eingeladen. Wir wollen auf jeden Fall in den Dialog gehen.
Warst du schon immer so umweltbewusst oder kam das erst durch „the nu company“?
Ich war schon immer bewusst in Sachen Ernährung, aber längst nicht auf diesem Niveau. Es hat sich über die Zeit multipliziert.
„Früher hab ich jeden Tag zweimal Fleisch gegessen. Jetzt bin ich Veganer.“
Ich glaube, man muss sich so ein bisschen step by step rantasten. Mich haben Dokus wie „care of spirity“ und „earth lenghts“ krass geprägt. Die waren für mich wirkliche Game Changer.
Wenn du deinem 20-jährigen Ich einen Ratschlag mit auf den Weg geben könntest, welcher wäre das?
Meinem 20-jährigen Ich, oh Gott. (lacht) Ich fühl mich auch wie 20, bin leider 29. (überlegt) Was willst du für einen Impact mit deinem Leben hinterlassen? Und überlege dir einfach gut, ob du Teil von ner Welt sein willst, die unseren Planeten wiederaufbaut. Oder ob du Teil eines Hamsterrads sein willst, das unseren Planeten ausbeutet. Das ist jetzt sehr auf Öko ausgerichtet, aber die elementarste Frage unserer Zeit. Ich glaub, die 20-Jährigen heute sind deutlich reflektierter über die Klimakrise und Co. als ich es mit 20 war. Was ich gelernt habe, ist, einfach groß zu denken und sich Ziele zu setzen, die mutig sind. Der Weg dahin ergibt sich nach und nach, wenn man konsequent daran arbeitet.