„Diese Beobachtungsstudien haben ein großes methodisches Problem: Sie können keine Ursächlichkeit beweisen.“
Wie Zucker nur besser: Süßstoffe als Alternative
Mittagspause: kurz in den Supermarkt, ein Brötchen und etwas zu trinken besorgen. Eine Cola steht verführerisch im Kühlregal bei der Kasse. Heute wieder die normale oder doch einmal die Zero?
Vermutlich weiß jede*r, dass eine zuckerhaltige Cola nicht das gesündeste Getränk ist. Ein halber Liter hat alleine schon 18 Würfel Zucker. Die Lust nach Süßem ist uns angeboren, denn der energiereiche Nährstoff konnte in früheren Zeiten das Überleben sichern. Deshalb schüttet unser Gehirn den Botenstoff Dopamin aus, wenn wir Zucker essen. Als süße Belohnung bekommen wir gute Laune. Doch der Überlebensvorteil von damals wandelt sich heute in sein Gegenteil.
Mehr als die Hälfte der Deutschen und fast jedes dritte Kind in der Europäischen Union ist übergewichtig oder adipös. Dabei zählt Übergewicht zu den häufigsten Ursachen für Tod und Behinderung. Auch das Risiko für Krankheiten, wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ-2-Diabetes erhöht sich stark.
Vor diesem Hintergrund spricht sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für eine Reduzierung des Zuckerkonsums aus. Deshalb werden immer öfter zucker- und kalorienfreie Alternativen zum normalen Haushaltszucker verwendet – sogenannte Süßungsmittel.
Xylit, Aspartam und Saccharin – bitte was?
Süßungsmittel gelten als Zusatzstoffe, die in der EU zugelassen werden müssen. Dabei muss man in der Gruppe der Süßungsmittel zwischen den natürlichen Zuckeralkoholen und den synthetischen Süßstoffen unterscheiden.
Zuckeralkohole werden aus natürlichen Rohstoffen gewonnen, sind chemisch mit Zucker verwandt, aber weniger süß und kalorienärmer. Sie werden in der Regel nicht verstoffwechselt und bleiben im Darm, wo sie von Bakterien verdaut werden. Deshalb können sie in großen Mengen abführend wirken. Bekannte Zuckeralkohole sind Xylit, ähnlich süß wie Zucker, und Erythrit, das besser verträglich ist. Durch ihre zuckerähnliche Konsistenz eignen sie sich gut zum Backen.
Das, was in der Cola Zero in der Mittagspause steckt, sind Süßstoffe. Diese kalorienfreien Zuckeralternativen werden synthetisch hergestellt und haben je nach Art des Stoffes eine Süßkraft, die um das 30- bis 3.000-fache von Haushaltszucker ausmacht. Es gibt aber viele verschiedene Süßstoffe, die unterschiedlich aufgebaut sind und sich in wesentlichen Eigenschaften unterscheiden – beispielsweise, ob sie in den Blutkreislauf gelangen oder einfach wieder ausgeschieden werden. Zudem werden in Lebensmitteln und Getränken häufig Mischungen verwendet.
Die Wissenschaft stellt das vor eine Herausforderung. Stefan Kabisch, Studienarzt und Ernährungsforscher an der Charité Universitätsmedizin in Berlin, meint deshalb, dass man „die Süßstoffe nicht als eine Gruppe über alle Studien hinweg betrachten darf“. Doch noch weitere Aspekte müssen beachtet werden, wenn man die Studien dazu unter die Lupe nimmt.
Sprechen Studien klare Worte?
Vermutlich stellt man die Zero Cola schnell zurück ins Kühlregal, wenn man auf die Schlagzeilen hört: „Neue Studie zeigt: Süßstoffe erhöhen Sterblichkeit, Krebs- und Diabetesrisiko.“ Doch um welche Studien geht es? In der Regel werden langfristige Folgeerkrankungen, wie Krebs, Diabetes, Herzinfarkte oder auch die Sterblichkeit durch sogenannte Beobachtungsstudien erforscht, erklärt Kabisch.
Bei der Beobachtungsstudie wird eine Gruppe von Menschen über einen bestimmten Zeitraum beobachtet, ohne dass eingegriffen wird. Das Verhalten wird also nicht gesteuert, sondern lediglich erfasst. Anhand der Erkenntnisse und Daten können Zusammenhänge oder Muster in den Verhaltensweisen erkannt werden.
Diese Studien zu den langfristigen Auswirkungen von Süßstoffen zeigen tatsächlich, dass Menschen, die Süßstoffe konsumieren, ein erhöhtes Risiko haben, früher zu sterben oder an Krebs und Diabetes zu erkranken. Doch der Studienarzt merkt an: „Beobachtungsstudien haben ein großes methodisches Problem: Sie können keine Ursächlichkeit beweisen.” Das heißt, sie können nicht klären, ob Süßstoffe die Ursache für eine erhöhte Sterblichkeit oder ein erhöhtes Krebsrisiko sind. Sie können lediglich einen Zusammenhang feststellen.
Kabisch hält es hingegen für viel wahrscheinlicher, dass die Ursächlichkeit eigentlich umgekehrt ist. „Süßstoffkonsument*innen sind meistens Menschen, die sich weniger bewegen, die häufiger rauchen und häufiger Alkohol trinken, sodass viele Faktoren zusammenkommen, die diese erhöhte Sterblichkeit erklären können. “
Ein Studientyp, der genauere Aussagen über die Auswirkungen von Süßstoffen auf die Gesundheit treffen kann, ist die Interventionsstudie. Zum Beispiel bekommen verschiedene Gruppen gezielt eine zuckerhaltige Cola oder eine Cola Zero. Danach werden bestimmte Risikowerte, wie Gewicht, Blutdruck oder Cholesterin überprüft. Der Ernährungsforscher merkt an, dass diese Studien aber ziemlich teuer sind. „Technisch ist alles machbar, wenn man das Geld dafür ausgeben möchte.”
Für eine Entscheidung vor dem Kühlregal mit den Colas wäre eine einfache Antwort hilfreich. Was sagen also aussagekräftige Studien zu den Süßstoffen? Stefan Kabisch ordnet ein.
Führen Süßstoffe zu mehr Herzinfarkten?
Nein. „Aus Beobachtungsstudien ist diese Assoziation nicht belastbar und eher fraglich“, erklärt der Ernährungsforscher. Interventionsstudien untersuchen Parameter, die Herzinfarkte begünstigen, wie Gewicht, Blutzucker, Blutdruck und Cholesterin. Wären Süßstoffe in der Lage, diese Werte schlechter zu machen, könnte dies Herzinfarkte fördern. Aber man sehe, dass diese Werte alle besser werden. „Also gibt es überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass Herzinfarkte durch Süßstoffe häufiger werden.”
Süßstoffe als Verbündete bei Diabetes?
Ja. Weitere Forschung ist aber erforderlich. „Die Interventionsstudien zeigen, dass bei Menschen, die Süßstoffe anstelle von Zucker konsumieren, die Risikowerte für Diabetes, also Gewicht und Blutzucker, besser werden“, sagt Kabisch. Süßstoffe können also dabei helfen, Gewicht zu verlieren und haben keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft empfiehlt Süßstoffe als gelegentlichen Zusatz in Lebensmitteln und Getränken im Rahmen einer diabetesgerechten Ernährung.
In Deutschland ist jede*r Zehnte an Typ-2-Diabetes erkrankt. Bei Typ-2-Diabetes kann das Hormon Insulin die Körperzellen nicht mehr richtig aufschließen, um Zucker aus dem Blut in die Zellen zu schleusen. Dadurch staut sich der Zucker im Blut und der Blutzuckerspiegel steigt. Hauptursachen sind, neben erblichen Veranlagungen, Übergewicht und Bewegungsmangel sowie eine unausgewogene, zuckerreiche Ernährung.
Sind Süßstoffe krebserregend?
Nein. Studien konnten das aber nicht eindeutig beweisen. Der Studienarzt beurteilt: „Risikofaktoren für viele Krebsarten sind Adipositas und Diabetes. Wenn diese durch Süßstoffe verbessert werden, spricht das eher gegen eine krebsfördernde Wirkung.“
Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) den Süßstoff Aspartam dennoch als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft. Diese Gruppe ist die dritthöchste von vier Stufen und wird im Allgemeinen verwendet, wenn es begrenzte, aber nicht überzeugende Beweise für Krebs beim Menschen gibt. Die WHO selbst ordnet auch nochmals ein, dass die Studien, die für diese Einstufung herangezogen wurden, keinen ausreichenden Verdacht auf eine krebserregende Wirkung von Süßstoffen bestätigen. Deshalb sei ein normaler Konsum unbedenklich.
Apropos normaler Konsum: Wie viele Cola Zero dürfte man maximal am Tag aus dem Kühlregal nehmen? „Da in einer Cola Süßstoff-Mischungen sind, müsste man sechs, sieben Flaschen trinken, um die Tageshöchstdosis zu erreichen”, sagt Stefan Kabisch.
Verändern Süßstoffe unser Mikrobiom?
Ja. „Doch dazu muss man sagen, dass jede Änderung unserer Nahrungsqualität das Mikrobiom verändert“, merkt der Ernährungsforscher an. Wenn wir mehr oder weniger Zucker essen, ändere sich das Mikrobiom, aber auch wenn wir mehr oder weniger Fleisch essen. „Jede Komponente unserer Nahrung ist für manche Bakterien im Darm toll und für andere nicht.“ Doch welche Bakterien gut und welche schlecht sind, sei bisher nur bruchstückhaft erforscht.
Als Mikrobiom bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen, zum Beispiel Bakterien oder Viren, die den Menschen oder andere Lebewesen besiedeln. Bei jedem Menschen setzt sich das Mikrobiom unterschiedlich zusammen. Der Großteil davon sind Bakterien, wovon die meisten den Magen-Darm-Trakt besiedeln.
Die Forschung zu Süßstoffen und dem Mikrobiom wurde durch eine Studie aus dem Jahr 2014 angestoßen. Doch diese sei nur begrenzt aussagekräftig, ordnet der Studienarzt ein. Die Studie zeigte, dass sich bei vier von sieben Teilnehmenden mit einer Veränderung des Mikrobioms durch Süßstoffe auch der Stoffwechsel verschlechterte. Doch bereits vor dem Süßstoffkunsom unterschied sich bei den vier Testpersonen das Mikrobiom von den restlichen Teilnehmenden. Deshalb deutete die Studie lediglich an, dass die individuelle Zusammensetzung des Darmmikrobioms, den eigenen Stoffwechsel möglicherweise anfälliger für eine Verschlechterung durch den Süßstoffkonsum macht.
Trotz vieler weiteren Studien und Experimente, blieb ein klarer Durchbruch in der Forschung rund um Süßstoffe und dem Mikrobiom bislang aus, stellt Stefan Kabisch fest. „Nein, auch nach 500 Papern ist da nichts Solides dabei.”
Original Cola oder Cola Zero?
Die aktuelle Studienlage kann also nicht beweisen, dass Süßstoffe der Gesundheit schaden. Der Ernährungsforscher ergänzt: „Bei Süßstoffen ist es sehr unwahrscheinlich, dass man das jemals beweisen wird.“
Über Zucker sprechen die Studien hingegen klare Worte: Der Stoffwechsel wird schlechter, die Leute nehmen zu, eine Fettleber entsteht, das Cholesterin und die Entzündungswerte steigen. „Zucker ist sicherlich nicht der einzige Auslöser dafür, dass Menschen übergewichtig werden, Diabetes, Herzinfarkt oder Krebs kriegen. Aber er leistet zumindest einen starken Beitrag dazu. Deshalb sind Süßstoffe mit höchster Wahrscheinlichkeit besser als Zucker.”
Noch besser sei allerdings generell weniger süß oder gar nicht süß zu essen. Denn wer viel Süßstoff konsumiert, bleibt an den süßen Geschmack gewöhnt und die Lust auf Süßes bleibt bestehen.
„Süßstoffe sind mit höchster Wahrscheinlichkeit besser als Zucker.“
Geschmacksknospen auf Reset
Tatsächlich kann man den eigenen Geschmackssinn umgewöhnen. Bereits nach wenigen Wochen Verzicht auf Zucker und Süßstoffe verändert sich die Wahrnehmung vieler Lebensmittel. Was man vorher als normal empfand, kann dann auf einmal viel zu süß schmecken.
Also am besten die Cola in der Mittagspause öfters mal im Kühlregal stehen lassen und stattdessen zum Wasser greifen.