„Wir haben die Nase gehabt, uns mit diesem Bag-in-Box-Verfahren aufzustellen.“
Wenn Tradition auf regionale Wirtschaft trifft
Es ist September, die Sonne leuchtet golden und die warme Luft streift das Gesicht, während man mit dem Rad durch die Ortschaften fährt. In den Gärten der Familien und auf Wiesen sieht man sie schon hängen: reife Äpfel, Birnen und Quitten an Obstbäumen, die darauf warten, geerntet zu werden. Hier und da klauben Kinder fröhlich mit ihren Eltern und Großeltern die Äpfel und Birnen auf. Sie sammeln sie, um später davon ihren eigenen Apfelsaft zu haben. Zusammen bringt die Familie ihre Körbe voll frisch geernteten Äpfeln zu einer Mosterei ins nächste Dorf. In der Stadt ist es der nächste Supermarkt, den die Eltern aufsuchen, wenn die Kinder Apfelsaft haben wollen.
Was ist Lohnmost?
Lohnmost ist, wenn man das eigene Obst erntet und zu einer Mosterei bringt. Daraus wird dann Saft oder Most gepresst, den man im Gegenzug für einen günstigen Preis erhält. Man liefert kostenloses Obst zur Verarbeitung und zahlt dafür nur die Verarbeitungsgebühr.
Quellen: Sachsenobst, Lauwerths Natursäfte, Obsthof Gestorf, Markenhof
Streuobstwiesen werden immer weniger
Die Nachfrage nach Lohnmost sinkt. Das bestätigt Sebastian Hascher, Pressereferent des Landwirtschaftsministeriums Baden-Württemberg. Ein Grund dafür ist, dass es immer weniger Streuobstwiesen gibt. Das zeigt eine Streuobsterhebung in Baden-Württemberg im Jahr 2008, die vom Landwirtschaftsministerium veranlasst wurde. Die davon erhobene Streuobst-Baumanzahl umfasst etwa neun Millionen Bäume, die auf 116.000 Hektar angebaut sind. Das ist ein Rückgang von rund zwei Millionen Bäumen im Vergleich zu 1990. Die Streuobsterhebung aus dem Jahr 2018 zeigt, dass es nur noch etwa sieben Millionen Streuobstbäume in Baden-Württemberg gibt. Das ist wiederum ein enormer Rückgang innerhalb von zehn Jahren von 2008 bis 2018.
Für die Biodiversität sind Streuobstwiesen essenziell. Die Streuobstinitiative im Stadt- und Landkreis Karlsruhe setzt daran, diese zu fördern. Mit Aufpreisinitiativen versucht sie, einen Anreiz zu setzen, das regionale Obst zu nutzen. Das Prinzip dahinter ist, den Erzeuger*innen, die Streuobstbäume bewirtschaften, einen höheren Preis für ihr angeliefertes Obst auszuzahlen.
Neues „Bag-in-Box“ System sichert das regionale Geschäft
In Straßdorf bei Schwäbisch-Gmünd betreibt Alexander Seiz seine Lohnmosterei zusammen mit seiner Frau Andrea. Schon seit 66 Jahren ist die Mosterei Seiz ein Familienbetrieb. Auch wenn er es nicht hauptberuflich macht, entscheidet sich Alexander Seiz für die Übernahme der Mosterei: „Es ist eine ganz alte schwäbische Tradition und das hat mir dann doch wehgetan, wenn das einfach zu Ende geht.“
Als seinen Nebenjob baut er das Klein-Unternehmen neu auf. Neben den Säften sind nun auch Spezialitäten wie Secco, Most-Hugo und Cider aus dem regionalen Obst in einem kleinen Verkaufsraum in der Mosterei erhältlich.
„Wir haben die Nase gehabt, uns mit diesem Bag-in-Box-Verfahren aufzustellen“, meint Seiz. Dieses betreibt die Mosterei als eine der ersten seit 2004. Das neue Verfahren ist ein erheblicher Grund für Seiz, weshalb sein Betrieb noch läuft. Im Umkreis von Schwäbisch-Gmünd kenne er schon vier Mostereien, die schließen mussten.
Durch das fortschrittliche Bag-in-Box-System bleibt der Saft besser erhalten. Dabei wird der Saft nach dem Pressen in zwei Tanks gefüllt, auf etwa 80 Grad erhitzt und dann in Beutel verpackt. Somit können die Kund*innen den Saft des eigenen Obstes haltbar wieder mitnehmen.
Saftkonsum und -import dämpft die Lohnmosterei
Die Landwirtschaft verändert sich. Die Menge an Most, die vor vielen Jahren noch gepresst wurde, könne man zu heute nicht vergleichen, erklärt Seiz. Er berichtet nämlich: „Früher haben die Bauern etwa 1.500 bis 2.000 Liter Most gemacht. Der gleiche Bauer macht ein 100 Liter Fass heute.“ Die Zielgruppe für das Lohnmost-Angebot seien weniger die Landwirt*innen, sondern mittlerweile junge Familien. Sie seien sehr offen dafür und würden die Tradition des Saftpressens aus eigenem Obst aufleben lassen wollen, meint Seiz.
Nach Statistiken des Verbands der deutschen Fruchtsaft-Industrie e. V. (VdF) sinkt der Fruchtsaft- und Fruchtnektar-Konsum pro Kopf in Deutschland. 2020 lag der durchschnittliche Verbrauch pro Person in einem Jahr bei 30 Litern. 2021 sank der Wert auf 28,5 Liter und 2022 auf 28 Liter. Die Nachfrage nach Apfel-, Birnen- und anderen Fruchtsäften wird pro Kopf im Laufe der Jahre also geringer.
Hinzu kommt, dass die deutsche Wirtschaft sich auf den Import von Obst und Apfelsaft umorientiert. 2022 kamen etwa 137.000 Tonnen Apfelsaftkonzentrat aus anderen Ländern. Nach Angaben der VdF sind Polen und Österreich dabei die Hauptlieferanten für Deutschland. 2022 lieferte Polen etwa 64.000 Tonnen Apfelsaftkonzentrat. Das macht 46,9 Prozent aller Apfelsaftkonzentrat Importe aus.
Tradition und Qualität sichern das regionale Geschäft
Die regionale Qualität, die das Lohnmosten gewährleistet, sei für viele Kund*innen wichtig, so Seiz. Das führt er weiter aus: „Das ist einfach eine andere Qualität, weil sie natürlich dort beim Lohnmosten selber entscheiden, wie gut ihre Qualität vom Saft ist.“ Dazu kommt die lange Tradition, die damit verbunden wird. Den Saft aus eigenem Obst zu trinken, könne einen emotionalen Wert haben, erklärt der Pressereferent des Landwirtschaftsministeriums Sebastian Hascher. Zugleich würden die lokalen Unternehmen dadurch gefördert werden. Auch wenn die Nachfrage zurückgeht, gibt es budesweit laut dem Naturschutzbund Deutschland e.V. 419 stationäre als auch mobile Lohnmostereien.
„Das Lohnmost-Verfahren ist für viele Fruchtsaftkeltereien ein wichtiger Bestandteil der Fruchtsaftvermarktung“, beschreibt Hascher. Die Betriebe fördern ihr eigenes Geschäft, wenn sie den Kund*innen einen günstigen Verarbeitungspreis anbieten und dadurch kostenlos Obst bekommen, das sie verarbeiten können. „Es ist eine wichtige Form von Kunden- und Lieferantenanbindung für die Mostereien“, sagt Hascher, „wobei es in deren unternehmerischer Verantwortung liegt, dieses Verfahren rentabel zu gestalten.“ Seiz stimmt zu, dass die Branche nicht nur für die regionale Wirtschaft, sondern auch für die Natur wichtig sei, denn „wenn wir die Äpfel nicht mehr losbringen, dann werden auch die Bäume nicht mehr gepflegt.“
„Es ist eine wichtige Form von Kunden- und Lieferantenanbindung für die Mostereien.“
Trotz des rückläufigen Trends erweist sich die Lohnmosterei auf dem Land als rentabel. Doch stellt Seiz dabei klar: „Es ist nicht die Masse, die das macht. Die große Masse wird trotzdem zum Discounter gehen und ihren Saft dort kaufen." Gerade in den Städten fehle allein schon die Kapazität, Streuobst zu bewirtschaften. Der Ruf nach Regionalität ist da, doch die Wurzeln der Tradition des Lohnmosts sind in der ländlichen Region verankert.