Weihnachtsmarkt 7 Minuten

O Tannenbaum, O Wirtschaftstraum

Geldscheine hängen an einem Weihnachtsbaum und zwei Weihnachstmarkttassen stoßen im Vordergrund an.
Zwischen Glühwein und Geschäft: Der Stuttgarter Weihnachtsmarkt als Wirtschaftsfaktor. Symbolbild | Quelle: Leana Kubitzki
12. Dez. 2024

Die Kassen der Standbesitzer*innen klingeln, das Weihnachtsgeschäft beginnt. Während wir einen Punsch trinken, rollt der Umsatz im Hintergrund. Aber wie profitabel ist der Weihnachtsmarkt als lokales Wirtschaftsereignis wirklich? 

6 Uhr morgens ...

… Irmgard Tinz schaltet bei sich zuhause den Ofen an und die erste Ladung Springerle wandert hinein. Bald sind ihre Anis-Festtagsgebäcke bereit für den anstehenden Weihnachtsmarkttag. Ab jetzt heißt es von 11 bis 22 Uhr im Stand stehen und den Weihnachtszauber unter die Besucher*innen bringen. Im Kopf die Gedanken: Wird es der umsatzstärkste Tag und woher kommen die Tourist*innen heute, wenn sie an mir vorbeischlendern?

Jedes Jahr verwandelt sich die Stuttgarter Innenstadt in ein Winterwunderland. Den Weihnachtsmarkt gibt es bereits seit mehr als 300 Jahren. Erstmals urkundliche Erwähnung fand er im Jahr 1692. Somit ist er einer der ältesten Weihnachtsmärkte Europas.

Die geschmückten Dächer der rund 250 Stände zeichnen ihn vor allem aus. 1.500 direkte, als auch indirekte Arbeitsplätze gibt es jährlich auf dem Markt. In diesem Winter wird es den Weihnachtszauber täglich vom 27. November bis zum 23. Dezember auf dem Markt-, Schloss-, Schiller- und Karlsplatz geben. Mittlerweile strömen jährlich rund vier Millionen Besucher*innen durch die geschmückten Gassen im Kessel. Gerade davon profitiert das städtische Image und auch Branchen wie lokale Händler*innen oder der Tourismus.

Quelle: stuttgarter-weihnachtsmarkt.de

Irmgard Tinz in ihrer Küche. In der Hand hält sie ein Blech voll mit Springerle.
Irmgard Tinz in ihrer Weihnachtsbäckerei: Hier entstehen Springerle für den Weihnachtsmarkt.
Quelle: Leana Kubitzki

Vor 51 Jahren hat sich Irmgard Tinz mit großem Herzklopfen erstmals auf dem Weihnachtsmarkt beworben. Seither steht ihr Wachsmodell- und Springerle-Stand auf dem Schillerplatz. Sie freut sich jährlich über Stammkund*innen, aber auch neue Tourist*innen, die es zu ihr verschlägt. Wie Tinz berichtet, durchlaufe man vorher einen Bewerbungsprozess: Die Bewerbungszeit beginne im März und die Produkte werden nun zunächst mit Ungewissheit vorproduziert. Erst ab Oktober wissen Standbesitzer*innen, die auch Beschicker*innen genannt werden, ob sie in diesem Jahr erneut einen Stand eröffnen können. Jährlich gibt es rund 1.500 Bewerbungen.

Ab wann spricht man von Gewinn?

Bevor die Kassen klingeln, stapeln sich Kosten für Miete, Strom, Dekoration oder Personal. „Da fallen einige Kosten an, bis man am Eröffnungstag mal die Tür aufschließt und hofft, man verkauft etwas“, so Irmgard Tinz. Anfang Dezember wird die Standmiete an das Marktamt überwiesen. So haben Beschicker*innen bereits einige Verkaufstage Zeit, um erste Einnahmen zu erzielen und die Kosten nicht vollständig vorstrecken zu müssen. Die Standmiete in diesem Jahr für einen sechs mal zwei Meter Stand beträgt bei Tinz 1.606,50 Euro. Am Ende des Markts müsse dann noch die Stromrechnung gezahlt werden. Sie verrät, dass die erste Verkaufswoche mit Ausgaben draufgehe. Für Beschicker*innen wie Tinz sei es trotzdem das Geschäft des Jahres: „Der Weihnachtsmarkt ist mein Hauptverdienst.“ Ab der zweiten Marktwoche lasse sich dann bei ihrem Stand von Gewinn sprechen. 

„Der Weihnachtsmarkt ist mein Hauptverdienst.“

Irmgard Tinz, Standbesitzerin

Aber es gibt auch Beispiele wie Daniel Kromer: Er verkauft bereits seit Jahrzehnten durch familiären Hintergrund handgestrickte Wollartikel und nun schon seit neun Jahren auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt, nachdem er von der Warteliste angenommen wurde. Denn wenn im jeweiligen Verkaufsbereich Bedarf an neuen Ständen ist, könne man von der Warteliste angenommen werden. Er arbeitet das Jahr über als Flugbegleiter und nimmt sich im November und Dezember zum Verkaufen frei. Somit ist er nicht so abhängig von den Gewinnen auf dem Markt wie jemand, bei dem es die einzige Einnahmequelle ist. Sein Geschäft sei jedoch „extrem schwankend aufgrund des Wetters“. Denn bei 15 Grad verkaufe er deutlich weniger, als wenn es schneit und man sich warme Handschuhe oder noch ein Geschenk für die Mama kauft.

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Im Zeitraum von 30 Jahren lässt sich beobachten, dass die Standmiete und Stromkosten stetig angestiegen sind. | Quelle: Irmgard Tinz | Grafik: Leana Kubitzki

Profit, aber für wen?

Die Planung des Markts wird von der Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart übernommen. Projektleiterin Julia Wilhelm trifft die Auswahl der Beschicker*innen und ist für die Organisation sowie den Auf- und Abbau zuständig. Die Dekoration der Hütten, ebenso die Vielfalt der Stände seien aus ihrer Sicht das Besondere am Stuttgarter Weihnachtsmarkt. Dabei gehen die Standgebühren der jährlich 200 bis 300 Stände an in.Stuttgart. Julia Wilhelm betont jedoch: „Profitieren ist das falsche Wort. Wir zahlen damit unsere Ausgaben, wie den Sicherheitsdienst, die Platzmiete und so weiter.“ Aber wer profitiert dann durch solch ein Großevent in der Stadt? „Der Weihnachtsmarkt bringt vor allem auch für die Geschäfte Umsatz, da er ein sehr großer Magnet ist“, so Wilhelm. 

Umsatztreiber im Dezember

„Als wirtschaftlicher Push-Faktor im Dezember ist der Weihnachtsmarkt unerlässlich“, so Holger Siegle, Geschäftsführer der City-Initiative Stuttgart. Laut Siegle sei der Dezember der umsatzstärkste Monat im Jahr. Das liege nicht nur am Weihnachtsgeschäft, sondern auch am Weihnachtsmarkt. Zur Winterzeit präsentiere sich Stuttgart am atmosphärischsten, was den Umsatz ebenso unterstützt.

„Als wirtschaftlicher Push-Faktor im Dezember ist der Weihnachtsmarkt unerlässlich.“

Holger Siegle, City-Manager und Geschäftsführer CIS

Gibt es noch Glühwein für 3,50 Euro? Wohl eher nicht. Kostensteigerungen werden immer auffälliger, sodass man damit rechnen sollte, für Essen oder Geschenkartikel tiefer in die Tasche greifen zu müssen. Laut Daniel Kromer seien Preise und Herstellungskosten im Vergleich zu den Jahren davor angestiegen. Dadurch kämen Verkäufer*innen nicht daran vorbei, die Verkaufspreise anzuheben. Holger Siegle merkt an, dass das Gehalt der Kund*innen nicht gleich zur Inflation angestiegen sei. Sie spüren die Ausgaben eher im Geldbeutel. Auch wenn die Besucherzahlen weiter ansteigen, habe sich das Konsumverhalten geändert. 

Touristenmagnet

Laut der Tourismusabteilung der Stadt Stuttgart sei eine hohe Nachfrage an Hotels und Veränderungen bei Zimmerpreisen erkennbar. Veranstaltungen wie ein Weihnachtsmarkt tragen dazu bei, dass sich die Nachfrage erhöht. Die ersten beiden Marktwochen, vor allem die Tage Donnerstag bis Sonntag, seien stark in der Nachfrage, was Übernachtungsgäste angeht, so die Marktforschung der Stadt Stuttgart. Hier spreche man auch von sogenannten Peak-Zeiten. Hotelbetreiber*innen schlagen mit den Preisen für Zimmer auf, um auch vom Weihnachtsgeschäft zu profitieren. Das Image der Stadt zähle: Wer den Weihnachtsmarkt besucht, solle dazu angeregt werden, auch einen Bummel in die Stadt zu machen. Sobald Besucher*innen mit dem Impuls nach Hause gehen, zu einem späteren Zeitpunkt wieder nach Stuttgart zu kommen, profitiert die Stadt. Tourist*innen kommen aus vielen Teilen Europas und vor allem aus der Schweiz auf den Weihnachtsmarkt. Tagestourist*innen, die extra für den Markt anreisen, sowie etliche Busunternehmen sind ein wichtiger Umsatztreiber für das Weihnachtsgeschehen.

Verkaufsszene auf dem Weihnachtsmarkt an Irmgard Tinz Stand.
Herzlichkeit am Stand: Ein Weihnachtsmarkt-Moment bei Irmgard Tinz. Symbolbild
Quelle: Leana Kubitzki

Es ist 22 Uhr ...

... Stände schließen langsam, die letzten Besucher*innen schlendern Richtung Ausgang und allmählich legt sich Stille über den Markt. Irmgard Tinz blickt zufrieden auf den Schillerplatz. Trotz müder Beine bleibt ein Gefühl der Freude: Wieder ein Tag, an dem sie die Tradition der Springerle an zahlreiche Kund*innen weitergeben konnte. Morgen früh um sechs wartet der Ofen wieder auf sie – denn der Wirtschafts- und Weihnachtszauber ist noch nicht vorbei.