Deutschland ohne Motor
Die Automobilindustrie ist ein Herzstück der deutschen Wirtschaft. Sie spielt eine zentrale Rolle – wirtschaftlich, gesellschaftlich und international. Direkt beschäftigt sie rund 773.000 Menschen in Deutschland (Stand 2024). Laut dem statistischen Bundesamt hängen Millionen weitere Jobs, zum Beispiel in Zulieferbetrieben, Dienstleistungen und Logistik, indirekt von ihr ab. Die Branche sichert Existenzen in unzähligen Familien und stärkt ganze Regionen.
Die Gewinnwarnungen der deutschen Automobilriesen zeichnen jedoch ein düsteres Bild: VW erwartet in diesem Jahr 14 Prozent weniger Gewinn als prognostiziert, BMW verzeichnet einen Rückgang von 15 Prozent und Mercedes berichtet von 16 Prozent weniger Gewinn. Diese Verluste gehen in die Milliarden und sind auf die sinkende Nachfrage zurückzuführen. Um die Ursachen besser zu verstehen, zeigt die folgende Tabelle die Verteilung der ausgelieferten Fahrzeuge von Porsche weltweit.
Deutsche Automobilhersteller erzielen etwa zwei Drittel ihres Umsatzes im Ausland, wobei die USA und besonders China die wichtigsten Märkte bilden. Laut dem Verband der Automobilindustrie (VDA) hängen rund 70 Prozent der Arbeitsplätze in der Branche direkt vom Export ab. Während Deutschland heute noch über 22 Produktionsstandorte verfügt, verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend auf Forschung und Entwicklung. Damit wollen die Hersteller den internationalen Markt besser bedienen.
Um Zölle zu umgehen und lokale Kundenwünsche zu erfüllen, produzieren VW und Mercedes große Teile ihrer Fahrzeuge in China. BMW setzt stärker auf die Produktion in den USA. Diese Strategien sparen Kosten, schwächen jedoch Deutschlands Rolle als Produktionsstandort.
Wenn Deutschland als Produktionsstandort nachlässt, bedeutet das weniger Steuern für den Staat. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bringt die Automobilindustrie mit einem Anteil von etwa fünf bis sechs Prozent an den gesamten Staatseinnahmen Milliarden in die Staatskasse. Dieses Geld fließt in Bildung, Infrastruktur und Sozialleistungen. Es verschafft der Politik finanziellen Spielraum, auch in Krisenzeiten handlungsfähig zu bleiben.
Die Automobilbranche ist zudem ein weltweites Aushängeschild. Marken wie BMW, Mercedes oder Volkswagen stehen für deutsche Ingenieurskunst, Qualität und Präzision. Sie stärken das Image Deutschlands als innovativen und verlässlichen Wirtschaftsstandort. Oder werden es mehr und mehr die Maschinenbau-, Pharma- und Chemieindustrie und womöglich auch Digitalisierung und KI und die Erneuerbare Energien sein, die das Image Deutschlands prägen?
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Chinas Einfluss
Ein Faktor, der zum Kollaps beiträgt, ist Chinas Wirtschaftsflaute. Über die Hälfte der verkauften Fahrzeuge deutscher Hersteller gingen in den letzten Jahren dorthin. Laut dem Research der LBBW besitzen in Nordamerika und Europa fast 70 Prozent der Führerscheininhaber ein Auto, während es in China nur etwa 30 Prozent sind. Das zeigt das enorme Potenzial des Marktes.
Doch die aktuelle Wirtschaftskrise in China dämpft diese Aussichten. Die schwache Konjunktur und die Immobilienkrise drücken die Konsumlaune. Viele Chinesen sparen und vermeiden größere Anschaffungen wie Autos. VW, Mercedes und BMW kämpfen mit Absatzrückgängen. Porsche, das ein kleineres und hochpreisiges Marktsegment bedient, steht ebenfalls unter Druck. Während BMW und Mercedes ihre Verluste teilweise durch den US-Markt ausgleichen, fehlt VW diese Diversifizierung. Die starke Abhängigkeit vom chinesischen Markt wird zum Schwachpunkt.
Nicht nur Chinas Wirtschaftsflaute hat Einfluss auf den Absatz der deutschen Hersteller, sondern auch aufsteigende Wettbewerber. Die Grafik zeigt die Marktanteile ausgewählter Fahrzeughersteller in China in Prozent.
Während deutsche Marken Anteile verlieren, gewinnen Wettbewerber wie der amerikanische Hersteller Tesla und der chinesische Hersteller BYD an Boden. Sie punkten mit innovativen, erschwinglichen Elektroautos, die laut dem Handelsblatt oft staatlich gefördert sind. Deutsche Hersteller, lange für Spitzen-Verbrenner bekannt, verlieren ihren Vorsprung in der Elektromobilität. Kunden bevorzugen lokal optimierte Elektroautos zu günstigeren Preisen. Die Folge sind sinkende Marktanteile und Produktionskürzungen, die Jobs und Steuereinnahmen in Deutschland gefährden.
Standort Deutschland
Sinkende Gewinne zwingen die Hersteller, Kostenfaktoren genauer zu analysieren. In China profitieren Unternehmen von günstigerer Energie, niedrigeren Löhnen und staatlichen Subventionen. Deutschland ist hingegen der teuerste Produktionsstandort in Europa. Hohe Personalkosten, Bürokratie und Steuern drücken auf die Margen. VW hat bereits Standorte wie das Werk in Wolfsburg geschlossen. Hersteller investieren zunehmend im Ausland, während Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort an Bedeutung verliert. Zusätzliche Einfuhrzölle in den USA könnten die Situation weiter verschärfen.
Deutschland hinkt bei der Umstellung auf Elektromobilität hinterher. In China fährt fast jedes zweite neu zugelassene Auto elektrisch, während in Deutschland der Anteil nur bei 20 Prozent liegt. Das Ende der Förderprämie für E-Autos hat viele Käufer zurück zu Verbrennern bewegt. Zudem bleibt die Ladeinfrastruktur lückenhaft. Während chinesische Hersteller konsequent auf Elektroautos setzen, verfolgt die deutsche Industrie noch eine Dualstrategie – und verliert dadurch an Tempo. Die Grafik zeigt die Anzahl der Fahrzeuge je öffentlichem Ladepunkt in Europa.
Die Reaktion der deutschen Automobilhersteller
Mercedes hat die neue vollelektrische G-Klasse auf den Markt gebracht, Porsche den vollelektrischen Macan. Audi hat in diesem Jahr bereits 15 neue Modelle vorgestellt und VW bietet ein „Produktportfolio vom Verbrenner über den Hybrid bis hin zum vollelektrischen Fahrzeug“ – so Arno Antlitz, CFO & COO der Volkswagen Group. VW hat aber auch ein konzernweites Performanceprogramm aufgelegt und Rückstellungen für Restrukturierungsmaßnahmen gebildet. Dei einigen Werken steht die Schließung zur Diskussion, beispielsweise bei dem in Wolfsburg. Audi entwickelt mit Partnern neue Modelle in der chinesischen Stadt Changchun, um den chinesischen Markt „local for local“ zu bedienen. Mercedes fährt ebenfalls die „local for local“-Strategie. VW schließt sich dem an, mithilfe einer neuen Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Autohersteller Rivian, der sich auf elektrische Modelle spezialisiert hat.
Die Richtung ist klar: Die deutschen Autobauer wollen ein neues Produktportfolio mit mehr Elektromodellen und sie wollen dort produzieren, wo es wirtschaftlich am sinnvollsten ist. Franz Hubik, Reporter für das Handelsblatt, fasst die Investitionstätigkeiten der Automobilhersteller zusammen: „Man muss sich um die deutschen Fahrzeughersteller keine Sorgen machen, weil das internationale Konzerne sind. Ihr Risikopuffer ist groß und keiner der Konzerne schreibt Verluste. Aber um den Standort Deutschland mit den Beschäftigungszahlen schon, die gehen zurück.“
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Obwohl in der Politik viel über den Abbau von Bürokratie und staatliche Unterstützung diskutiert wird, passiert wenig. Am 23. September 2024 traf sich die Automobilindustrie mit Wirtschaftsminister Robert Habeck zu einem Autogipfel, um Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu finden. Das Treffen führte jedoch zu keinen greifbaren Ergebnissen.
Oliver Blume, CEO von VW, betont: „Am Ende müssen wir wieder verstehen, dass die Industrie Grundlage unserer Gesellschaft, unseres Wohlstands und unserer Demokratie ist. Und dafür müssen alle mit anpacken.“ Es sei daher unerlässlich, dass die Politik „die richtigen Förderungen für Forschung und Entwicklung einrichtet und einen industriefreundlichen Rahmen aufsetzt“. Die nächsten Monate werden spannend: Schaffen es Politik und Unternehmen, die richtigen Entscheidungen für eine nachhaltige Zukunft zu treffen und die Automobilindustrie weiterhin auf Kurs zu halten? Oder erleben wir, dass der nächste große Motor der deutschen Wirtschaft in ganz anderen Bereichen anspringt – vielleicht sogar bei den Erneuerbaren Energien, der Digitalisierung, der Künstlichen Intelligenz?