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Ein schneller Blick aufs Handy und schon blinken sie auf: Meldungen über den Krieg in der Ukraine, Terror in Nahost, Naturkatastrophen und steigende Lebenskosten. Die Nachrichten überschlagen sich und viele junge Menschen fühlen sich davon überrollt. Der stetige Nachrichtenfluss führt zu einem Phänomen, das im medienwissenschaftlichen Fachjargon als „News Fatigue“ bezeichnet wird.
„News Fatigue“ als Reaktion auf Überforderung
Laut Arnd Engeln, Psychologe und Professor für Markt- und Werbeforschung an der Hochschule der Medien in Stuttgart, lösen Negativnachrichten eine physiologische Reaktion aus: „Eine schlechte Nachricht wird vom Gehirn als Bedrohung wahrgenommen. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, der Körper schaltet in Alarmbereitschaft." Hält dieser Zustand an, führe das zu Erschöpfung und Hilflosigkeit. „News Fatigue“, auch als Nachrichtenmüdigkeit bezeichnet, beschreibt demnach die psychologische Erschöpfung oder Abneigung, die durch den dauerhaften Konsum von Nachrichten entstehen kann.
Die unsichtbare Last der Informationsflut
Die Ursachen der Nachrichtenmüdigkeit sind vielschichtig. Dauerkrisen wie der Klimawandel, die Pandemie und geopolitische Konflikte manifestieren sich in einer Flut negativer Schlagzeilen, die zu einer anhaltenden psychischen Belastung werden können. Positive Meldungen, die potenziell einen Ausgleich schaffen könnten, geraten oft in den Hintergrund – nicht zuletzt, weil Negativmeldungen stärker wahrgenommen und häufiger angeklickt werden. Gleichzeitig erschwert die Menge an Nachrichten es, Relevantes von Unwichtigem zu trennen, wie eine Studie der Universität Gießen zeigt.
Der Drang, stets auf dem Laufenden zu bleiben, führt zu einer Art dauerhaften Teilaufmerksamkeit: Wir scrollen durch Feeds und überfliegen Schlagzeilen – doch die Inhalte bleiben oft oberflächlich und unverarbeitet. Hinzu kommt eine digitale Erschöpfung durch die Nutzung digitaler Geräte und den damit verbundenen physischen und mentalen Belastungen. Arnd Engeln erklärt, dass „der Zustand der Alarmbereitschaft auch zu einer erhöhten Aufmerksamkeitszuwendung führt. Stress im Sinne von Aktivierung kann gesund sein, der Mensch braucht aber kein immer gleiches Belastungslevel." Diese fortwährende Reizüberflutung würde uns in einem Zustand ständiger Anspannung halten und wenig Raum für echte Erholung lassen.Als Reaktion auf diese Erschöpfung ziehen sich immer mehr Menschen zunehmend aus der Nachrichtenwelt zurück, wie aus den Berichten des Reuters Instituts hervorgeht. Manche meiden Nachrichten sogar vollständig – ein Verhalten, das jedoch das Risiko birgt, den Anschluss an bedeutende gesellschaftliche Entwicklungen zu verlieren.
Engeln vergleicht den ununterbrochenen Medienkonsum mit einer Drogensucht: „Es hat viele Elemente davon. Langfristig fühle ich Erschöpfung und Energieverlust, ziehe mich sozial zurück und vernachlässige gesündere, erholsamere Aktivitäten.“
Besonders junge Menschen fühlen sich emotional belastet
Die wachsende Erschöpfung durch die Nachrichtenflut ist längst kein rein subjektives Gefühl mehr – sie betrifft große Teile der Gesellschaft, besonders aber junge Menschen. Laut dem Reuters Digital News Report für das Jahr 2024 empfindet über die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen die ständige Verfügbarkeit von Nachrichten inzwischen als emotional belastend. Ein Anstieg um 21 Prozent seit 2019. Auch bei den 25- bis 34-Jährigen fühlen sich 40 Prozent der Befragten überfordert, während ältere Generationen (55+) mit 38 Prozent weniger betroffen scheinen. Insgesamt geben 41 Prozent der Erwachsenen an, sich von der Nachrichtenmenge erschöpft zu fühlen.
Diese Überforderung wirkt sich zunehmend auf das Konsumverhalten aus. Ganze 69 Prozent der Erwachsenen versuchen zumindest gelegentlich, Nachrichten bewusst zu vermeiden – 14 Prozent tun dies sogar regelmäßig. Besonders politische Berichterstattung wird häufig gemieden, wenn sie als überwältigend oder einseitig wahrgenommen wird, was auf eine Art von Themenverdossenheit hindeuten kann.
Neuer Schwung für die Medienlandschaft?
Ein möglicher Ansatz, um der wachsenden Nachrichtenmüdigkeit entgegenzuwirken, könnte im geplanten Reformstaatsvertrag liegen. Ziel ist es, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk moderner und digitaler zu gestalten. Spartenprogramme wie Phoenix, tagesschau24 oder ZDFinfo könnten zusammengelegt werden, während Kulturkanäle wie Arte und 3sat „geclustert“ werden sollen. Gleichzeitig soll das Angebot verschlankt und der Fokus stärker auf digitale Formate gelegt werden, um besonders jüngere Zielgruppen besser zu erreichen. ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab warnt jedoch davor, dass diese Reformen die publizistische Qualität gefährden könnten und gerade die Erreichbarkeit junger Menschen mit spezifisch aufbereiteten Informationsinhalten erschweren könnten.
Neben der Strukturreform stellt sich jedoch auch die Frage nach neuen inhaltlichen Impulsen. Konstruktiver Journalismus könnte hier ein Weg sein, der Müdigkeit und dem schwindenden Interesse an Nachrichten entgegenzuwirken. Indem nicht nur Probleme aufgezeigt, sondern auch Lösungsansätze und Handlungsmöglichkeiten beleuchtet werden, kann Journalismus Orientierung bieten und die Verbindung zum Publikum stärken – ohne dabei die kritische Distanz zu verlieren.
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